Energiewende muss wieder Fahrt aufnehmen

Bild: mrganso/Pixabay.com

Die Energie- und Klimawochenschau: Ein Fortschrittsbericht mit wenig Fortschritten, die Diskussion um eine CO2-Steuer, Plastikmüll und schwimmende Power-to-Gas-Anlagen

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Auch wenn der zweite Fortschrittsbericht zur Energiewende des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) zunächst Positives herausstellt, ist er mehr oder minder ein Eingeständnis gravierender Defizite in der Klimapolitik.

"Positiv schlägt zu Buche: Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch betrug im Jahr 2017 36 Prozent. Im Jahr 2018 ist ein weiterer Aufwärtstrend zu verzeichnen. Zugleich führt der auf Grundlage des EEG 2017 vollzogene Paradigmenwechsel hin zu wettbewerblich ermittelten Fördersätzen zu einem deutlich kosteneffizienteren Ausbau der erneuerbaren Energien", heißt es in dem Bericht. Auch das von der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" unterbreitete Ziel für einen Kohleausstieg bis 2038 wird positiv hervorgehoben. Dann beginnt aber schon die Liste der Verfehlungen, etwa des Energieeffizienzziels von 20 Prozent Energieeinsparung bis zum Jahr 2020 oder der anvisierten Energieeinsparungen im Gebäudesektor.

Im Verkehrssektor sieht es noch schlechter aus. "Der Endenergieverbrauch im Verkehr entwickelte sich mit einem Anstieg um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und um 6,5 Prozent gegenüber dem Jahr 2005 weiterhin gegenläufig zu den Zielen des Energiekonzepts. Es ist davon auszugehen, dass das 2020-Ziel (minus 10 Prozent) unter den bisherigen Rahmenbedingungen erst nach 2030 erreicht werden kann. Erhebliche weitere Anstrengungen sind erforderlich, um so schnell wie möglich eine Trendumkehr einzuleiten."

In Punkto zukünftige Lösungen wird insbesondere der im März vorgelegte Zwischenbericht der Nationalen Plattform "Zukunft der Mobilität" erwähnt. Wir erinnern uns: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte sich im Januar vorab und ohne wissenschaftliche Argumente gegen einen Vorschlag der Verkehrsexperten gestellt, ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen einzuführen.

Auf Seite 5 des Fortschrittsberichts findet sich dann das Eingeständnis des klimapolitischen Totalversagens, und zwar in einem positiv formulierten Satz: "Die Treibhausgasemissionen sind im Jahr 2017 leicht und nach erster Schätzung 2018 deutlich zurückgegangen. Gegenüber 1990 sind sie 2017 insgesamt um 27,5 Prozent gesunken." Sprich: Bis Ende 2017 fehlten 12,5 Prozent, um das Ziel einer Emissionsreduktion um 40 Prozent bis 2020 zu erreichen. Auch hier wird auf die Arbeit der Strukturwandelkommission verwiesen, die Vorschläge erarbeiten sollte, um "die Lücke zur Erreichung des Klimaziels für 2020 so weit wie möglich zu reduzieren". Innerhalb eines Jahres sind da jedoch kaum Wunder zu erwarten.

Beim Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion sei das Ziel für 2020 knapp erreicht. Um einen Anteil erneuerbaren Stroms von 65 Prozent bis 2030 zu erreichen, werden eine Reihe notwendiger Maßnahmen benannt. Dazu zählen die Ausweisung weiterer Flächen für den Ausbau der Windenergie an Land und ein zügiger Netzausbau. Außerdem sei eine verstärkte Sektorkopplung zwischen Strom, Wärme und Verkehr erforderlich.

Windenergie stagniert

Tatsächlich ist es so, dass der Ausbau der Windenergie an Land derzeit stagniert, wie der Brancheninformationsdienst iwr berichtet. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 seien Windenergieanlagen an Land mit einer Kapazität von etwa 194 Megawatt neu in Betrieb gegangen. Im Jahr 2018 lag der Brutto-Zubau der Windenergie an Land bei 2.402 Megawatt und fiel damit schon sehr niedrig aus. Doch selbst dieses Niveau wird wohl 2019 verfehlt werden.

Auch auf europäischer Ebene sollte beim Ausbau von Wind- und Solarenergie gewaltig zugelegt werden. Das geht aus einem Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Verzeichneten Windenergie und PV ab 2005 noch große Zuwachsraten, habe sich die Entwicklung seit 2014 verlangsamt. Etwa die Hälfte der Mitgliedsstaaten könnten ihre Ziele im Bereich erneuerbare Energien für 2020 verfehlen. Die Prüfer des Rechnungshofs bemängeln, dass die Förderung vielfach zunächst zu hoch war, das Senken der Förderung dann aber abschreckend gewirkt habe.

Die CDU und die CO2-Steuer

In der CDU wird derzeit über die Einführung einer CO2-Steuer gestritten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte noch Anfang Mai eine CO2-Steuer ausgeschlossen, unter anderem mit dem Argument, dass sie Berufspendler und Geringverdiener zu stark belasten könnte. Doch inzwischen musste die CDU eine Wahlschlappe bei der Europawahl einstecken, die großteils als Antwort auf ihre mangelhafte Klimapolitik zu lesen ist.

Nun hat die Gruppierung "Union der Mitte" ein Konzept zum Klimaschutz vorgelegt. Dieses sieht eine allgemeine CO2-Abgabe von 60 Euro pro Tonne vor, die bis 2030 auf 120 Euro steigen soll, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung will die CDU nun bis September ergebnisoffen über ein Modell zur CO2-Bepreisung debattieren.

Für eine CO2-Steuer spricht eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgeforschung. "Damit der Kohleausstieg wirklich etwas bringt für die Stabilisierung unseres Klimas, muss er kombiniert werden mit einem Mindestpreis auf CO2 oder der Löschung von Emissionszertifikaten", heißt es in einer Pressemitteilung des PIK.

Eine Reduzierung und schließlich ein Ausstieg aus der Kohleverstromung könnten nämlich andernfalls zu einer Verlagerung führen. Würde zunächst ein Teil der Kohlekraftwerke abgeschaltet, würde die insgesamt produzierte Strommenge sinken und der Strom damit teurer werden. Das wiederum könnte Anreiz für die Betreiber der verbleibenden Kohlekraftwerke sein, mehr Strom zu erzeugen. Auf europäischer Ebene würde durch den deutschen Kohleausstieg die Nachfrage nach Emissionszertifikaten sinken und damit ihr Preis. Dies wäre wiederum ein Anreiz für ausländische Kohlekraftwerksbetreiber, mehr Strom zu produzieren. Würde jedoch ein CO2-Preis von 30 bis 60 Euro pro Tonne bis 2030 eingeführt und würden zudem Emissionszertifikate gelöscht, könnten derartige Verlagerungseffekte vermieden werden.

Plastikmüll als Emissionsquelle

Die Verbrennung fossiler Rohstoffe ist zwar die größte Quelle für Treibhausgasemissionen, nicht aber die einzige. Ein wachsendes Problem könnte zukünftig auch die Menge von Plastik darstellen, die sich - zu drei Vierteln der seit 1950 produzierten Menge in Form von Müll - auf der Erde angesammelt hat.

Kunststoffe werden aus Öl und Gas hergestellt und setzen im Laufe ihres Zerfalls wieder Treibhausgase frei. Darauf weist ein Kapitel des kürzlich von der Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlichten Plastikatlas hin. Emissionen aus der bisherigen und der prognostizierten Plastikherstellung bis 2050 sowie aus der Verbrennung von Kunststoffabfällen könnten 56 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalente freisetzen. Dies entspräche 10 bis 13 Prozent des verbleibenden Kohlenstoffbudgets bis 2050, das nicht überschritten werden sollte, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad beschränkt werden soll.

Die Emissionen aus Kunststoffabfällen könnten jedoch auch höher ausfallen, wenn immer mehr Plastik verbrannt würde, um die Umweltverschmutzung durch Plastik einzudämmen. Offizielle Kunststoffrecyclingquoten von 45 Prozent in Deutschland sind bestenfalls irreführend - sie drücken nämlich nur aus, welcher Anteil bei den Recyclingunternehmen eingeht, nicht jedoch, wie diese den Plastikmüll wirklich verwerten. Die tatsächliche Recyclingquote für Plastik in Deutschland, sprich, für Recycling, bei dem neue Kunststoffprodukte hergestellt werden, liegt gerade einmal bei 15,6 Prozent.

Die Meere als Treibstofffabriken für einen CO2-neutralen Verkehr zu nutzen, schwebt einer Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Forschungsinstitute aus der Schweiz und aus Norwegen vor. Mithilfe riesiger schwimmender Photovoltaikinseln soll per Elektrolyse Wasserstoff gewonnen und dann mit Kohlendioxid aus dem Meerwasser zu Methanol umgewandelt werden. Das wäre im Prinzip keine neue Technik, sondern schwimmende Power-to-Gas- bzw. Power-to-Liquid-Anlagen.

Dafür, die Produktion auf das Meer zu verlegen, würden zwei Dinge sprechen - zum einen die hohe CO2-Konzentration im Meerwasser, zum anderen, dass dadurch keine Flächenkonkurrenz entstünde. Die Forscher haben unter anderem durchgerechnet, wie diese Technik dimensioniert sein müsste, um ein Äquivalent des jährlich im Verkehr ausgestoßenen Kohlendioxids zu binden. Das Ergebnis: 170.000 schwimmende Methanolfabriken, jeweils bestehend aus 70 PV-Inseln mit 100 Quadratmeter Fläche. Jede dieser Methanolfabriken würde 90 Millionen US-Dollar kosten. Das klingt einigermaßen utopisch und könnte mit massivem Rohstoffverbrauch und bisher unbekannten Umweltauswirkungen verbunden sein. Bislang ist es wohl kaum mehr als ein Gedankenexperiment.

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