Brasilien: Lula da Silva war offenbar nach Justizmanipulation inhaftiert worden

Bolsonaro mit Sérgio Moro, der Lula als Ermittlungsrichter hinter Gitter brachte und von Bolsanaro als Justizminister eingesetzt wurde. Bild: Marcos Corrêa/PR/CC BY-SA-2.0

Leak belastet Justizminister Moro massiv. Bundesregierung: Verfahren gegen Lula da Silva "nicht politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Brasilien hat der amtierende Justizminister Sérgio Moro in seiner Zeit als Ermittlungsrichter offenbar vorsätzlich dafür gesorgt, dass der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva inhaftiert wird, um ihn an einer Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2018 zu hindern. Dafür habe er wiederholt Staatsanwälten Tipps gegeben, wie eine international weiterhin umstrittene Korruptionsanklage gegen den Politiker vorangetrieben werden kann.

Nach einem Bericht des Investigativ-Portals The Intercept hat Moro Staatsanwälten von seinem Handy aus wiederholt Ratschläge, Kritik und Tipps zukommen lassen, um die Untersuchungen im Fall "Lava Jato" (Autowäsche) voranzutreiben. Dabei handelt es sich um einen ausgedehnten Korruptionsskandal, in den staatliche und halbstaatliche Unternehmen sowie Politiker verwickelt sind. Lula da Silva wurde in diesem Zusammenhang 2016 angeklagt und 2017 von Moro selbst zu gut neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Strafmaß wurde später noch einmal erhöht. In Brasilien und international sind Prozess und Urteil massiv umstritten, weil gegen Lula keine belastbaren Beweise vorgelegt werden konnten.

Nach Meinungsumfragen hätte Lula die Präsidentschaftswahl 2018 gewonnen, wenn er nicht inhaftiert worden wäre. Ein von der linksgerichteten Arbeiterpartei kurzfristig ernannter Ersatzkandidat, Fernando Haddad, war dem rechtsextremen Wahlsieger Jair Bolsonaro unterlegen. Nach seiner Wahl ernannte Bolsonaro Moro zum Justizminister.

Moro hatte Lula da Silva in seiner international harsch kritisierten Urteilsbegründung zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Jurist warf dem Politiker vor, von einer Baufirma als Bestechung eine renovierte Wohnung am Meer erhalten zu haben. Dieser Vorwurf konnte aber nie durch Dokumente belegt werden.

Am Sonntag hatte The Intercept Auszüge aus umfangreichen Chat-Protokollen der Messenger-App Telegram veröffentlicht, die mutmaßlich vom Mobiltelefon Moros stammen. Es liege ein "riesiger Fundus" von Gruppenchats vor, die zudem Audiodateien, Videos und anderen Dokumente enthalten.

Auszüge aus Chats zwischen Staatsanwälten enthalten offenbar auch Äußerungen von Deltan Dallagnol, dem leitenden Staatsanwalt in der Lava-Jato-Untersuchung. Dallagnol äußerte demnach noch vier Tage vor der Anklageerhebung im September 2016 Zweifel an der Stichhaltigkeit der Vorwürfe gegen Lula da Silva.

"Es ist, als würde man die andere Mannschaft daran hindern zu spielen. Es ist, als hätten sie sich entschieden, den Ball allein zu spielen", zitiert die britische Tageszeitung The Guardian Carlos Melo, Professor für Politikwissenschaft an der Business School Insper in São Paulo. Auch in Brasilien gelte die Trennung zwischen Anklägern und Richtern.

Einige der geleakten Botschaften belegen offenbar, dass Staatsanwälte während des Wahlkampfes gegen eine Entscheidung eines Richters des Obersten Gerichtshofs vorgegangen sind, nachdem dieser der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo erlaubt hatte, Lula da Silva im Gefängnis zu interviewen. Dies, so die Argumentation, könne dessen Wahlchancen erhöhen.

"Die Beziehung des (ehemaligen) Richters (Sérgio Moro) zu den Staatsanwälten ist skandalös", sagte der Chefredakteur von Intercept Brasil, Leandro Demori. "Das ist nach brasilianischem Recht illegal."

In einer Erklärung am Sonntagabend sagte Moro, dass die Enthüllungen "keine Unregelmäßigkeiten belegen". Die Veröffentlichungen ignorierten vielmehr "das riesige Korruptionsnetzwerk der Operation Lava Jato". Zugleich beklagte Moro "kriminelle Infiltration" der Telefone von Staatsanwälten.

Demori äußerte sich nicht dazu, wie sein Onlinejournal an das Material gelangt ist. Es stamme von einer anonymen Quelle. Der Datensatz sei allerdings umfangreicher als Informationen, die der NSA-Whistleblower Edward Snowden dem in Rio lebenden Journalisten Glenn Greenwald zugespielt hat. Greenwald gründete später The Intercept und ist Koautor des Artikels vom Sonntag.

Bolsonaro selbst hat auf die Enthüllungen noch nicht reagiert. Einer seiner ebenfalls politisch aktiven Söhne, Carlos, wies in einem Tweet lediglich darauf hin, dass Greenwalds Ehemann David Miranda für die linke Partei Sozialismus und Freiheit (POSOL) in brasilianischen Kongress sitzt. Die Bundesregierung hatte das Verfahren gegen Lula trotz massiver Kritik von Beginn an stets verteidigt. "Nach Einschätzung der Bundesregierung gibt es keine Anhaltspunkte, das Verfahren gegen den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva als politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig anzusehen", antwortete sie auf eine parlamentarische Anfrage.