MH17: Nach der Kritik von Malaysias Regierungschef am JIT

Rekonstruiertes Cockpit der MH17. Bild: Dutch Safety Board

Malaysia wollte man von Anfang nicht dabei haben. Bestätigt ein Marschbefehl der 53. Luftabwehrbrigade von Juni 2014 deren Beteiligung am Abschuss?

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Im Fall des Abschusses der malaysischen Passagiermaschine MH-17 lief alles seinen Gang. Das schon kurz nach dem Abschuss ausgegebene Narrativ, dass die von Russland unterstützten Separatisten oder Russland direkt dafür verantwortlich waren, schien sich Schritt für Schritt zu bestätigen, zumal aus Russland verschiedene Hypothesen angeboten wurden, die sich kaum halten ließen, und erst einmal auch keine Radarbilder. Dann legte sich das Gemeinsame Ermittlungsteam JIT fest, dass die Buk-Rakete, mit der MH17 abgeschossen wurde, aus Russland kam, gestützt weitgehend auf Bellingcat. Kurz darauf beschuldigten die niederländische und australische Regierung Moskau direkt, für den Abschuss verantwortlich zu sein. Es wurde allerdings bislang noch immer keine Anklage gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen vor einem Gericht erhoben.

Am 17. Juli vor 5 Jahren wurde die MH17 abgeschossen. In der Ukraine gibt es einen neuen Präsidenten, der offenbar irgendwie versuchen will, eine Verständigung mit Russland zu erreichen, während der Ukraine-Konflikt, der weiter schwelt, schon länger kein Top-Thema mehr ist. Die Frage ist zunehmend, zu welchem Ergebnis das JIT kommt, wenn es denn überhaupt gerichtsfeste Beweise geben sollte.

Die Ukraine war auffällig schnell aus dem Schussfeld genommen worden, obgleich Kiew trotz Erkenntnissen und vermutlich aus Gründen, keine Einkünfte zu verlieren, den Flugraum über dem umkämpften Gebiet nicht gesperrt hatte. Kritisch war schon, dass die Ukraine überhaupt ins JIT aufgenommen wurde, mit der Folge, die Untersuchung beeinflussen zu können, zumal Kiew behauptet, dass just an dem Tag des Abschusses keine Radarstation aktiv war, was bestritten wird. Beschuldigungen der Separatisten basierten zunächst vorwiegend auf Informationen des ukrainischen Geheimdienstes SBU, der alles andere als objektiv ist. Vor allem aber wurden nicht verschiedene Möglichkeiten verfolgt oder auch nur erwogen, sondern lediglich nach Hinweisen auf die Verantwortung der Separatisten und Russland. Darauf deutet einiges hin, aber Alternativen wurden erst gar nicht in die Ermittlungen einbezogen.

Malaysias Rolle im JIT

Bislang hatten nur Russland und einige Journalisten und Blogger Zweifel am Narrativ erhoben, auch wenn klar war, dass das JIT gespalten war, schließlich sind nur die Niederlande und Australien vorgeprescht, um direkt Russland zu beschuldigen, nicht aber Belgien und Malaysia. Die Ukraine macht sowieso Russland verantwortlich, dass die Niederlande und Australien sie nicht einschlossen, dürfte lediglich taktische Gründe gehabt haben, um nicht bezichtigt zu werden, interessengeleitet zu agieren (MH17: Über was wollen Niederlande und Australien mit Russland verhandeln?).

Auffällig war bereits, dass zunächst Malaysia nicht in das Gemeinsame Ermittlungsteam mit aufgenommen wurde, obgleich es sich um eine malaysische Maschine handelte und 46 Opfer aus Malaysia stammten. Die Ukraine war hingegen von Anfang an dabei. In der Zeit wurde von den Niederlanden, Belgien, Australien und Ukraine noch eine Geheimhaltungsvereinbarung abgeschlossen, nach dem über Informationen, die veröffentlicht werden, Konsens herrschen muss. Erst vier Monate nach dem Abschuss wurde Malaysia nach Protesten der Regierung in das JIT aufgenommen.

Erst Monate nach dem Absturz durften Ermittlungsteams an die Unglücksstelle, die auch nur Teile des Flugzeugwracks mitnahmen. Dafür wurden Sicherheitsbedenken angegeben, allerdings hatten Journalisten offenbar ohne Gefahr den Ort besichtigen und Aufnahmen machen können. Es heißt, Grund sei gewesen, dass die Niederländer zunächst nicht direkt mit den Separatisten verhandeln wollten. Spätere Abkommen wollte das niederländische Außenministerium nach einer Anfrage von RTL nicht veröffentlichen. Die Zurückhaltung von Informationen ist überhaupt groß bei der niederländischen Regierung.

Kritik des Regierungschefs von Malaysien, Mahathir Mohamed

Der jetzige malaysische Präsident Mahathir Mohamad, der dies schon bis 2003 war und den amerikanischen Krieg gegen den Terror und den Irak-Krieg scharf kritisiert hatte, hatte im Dezember 2015 aus der Opposition heraus die Übergabe des Wracks gefordert und kritisiert, dass Malaysia nur widerstrebend ins JIT aufgenommen wurde. Er kritisierte auch, dass die Black Box, die zunächst nach Verhandlungen mit den Separatisten Malaysia überreicht wurde, dann zur Auswertung den Niederlanden und Großbritannien übergeben wurde: "So weit ich weiß, enthält die Black Box Aufzeichnungen der Gespräche und Geräusche vor dem Absturz. Kann es sein, dass die Malaysier nicht fähig sind, die Aufzeichnungen zu hören? Sind nur die Niederländer und Briten dazu imstande?"

Die US-Regierung habe sofort behauptet, dass es sich um eine russische Rakete gehandelt habe: "Wie haben sie die Rakete so schnell identifiziert und sogar diejenigen, die sie abgeschossen haben?" Auch die damalige Regierung betonte, so der Verkehrsminister Datuk Seri Liow Tiong Lai, zumindest beim Bericht des Dutch Safety Board, dass daraus nicht hervorgehe, wer für den Abschuss verantwortlich war.

Man muss annehmen, dass die US-Regierung hinter dem zunächst versuchten Ausschluss von Malaysia gestanden haben könnte. Malaysia wurden und werden zu gute Beziehungen zu Russland unterstellt, zudem hat sich das Land und vor allem Mahathir unbeliebt gemacht, der westliche Demokratien kritisierte, meinte, die Juden würden die Welt beherrschen, behauptete, dass die US-Regierung ihre Finger bei den 9/11-Anschlägen im Spiel gehabt haben könnte und dann vor allem den Irak-Krieg verurteilte. Nach der Hinrichtung von Saddam Hussein erklärte Mahathir, George W. Bush und Tony Blair seien ebenfalls Kriegsverbrecher, sie hätten mehr Menschen getötet als Hussein.

Jetzt aber hat der wieder gewählte malaysische Regierungschef Mahathir das Narrativ erneut in Frage gestellt. Er sagte, Malaysia sei bei den Untersuchungen außen vor geblieben, zudem sei eben gar nicht erst nach anderen Möglichkeiten gesucht worden, es würden Beweise für die Verantwortung Russlands fehlen. Das hatte zunächst "nur" der neue Verkehrsminister gesagt, was Mahathir aber nun bestätigte und nicht einfach mehr beiseite gewischt werden kann (Soll Malaysia an den Pranger gestellt werden?).

Nebenbei wird interessant nicht nur, warum Malaysia bei den Ermittlungen zunächst nicht beteiligt worden war und im Gegensatz zu den Niederlanden, Australien und der Ukraine skeptisch gegenüber den Ergebnissen des JIT bleibt, die auf Russland deuten. Gefragt werden müsste auch, warum etwa Belgien Teil des JIT wurde, nicht aber beispielsweise Deutschland, das ebenso viele Opfer zu beklagen hat. Auch Indonesien und Großbritannien sind nicht Teil des JIT, wohl aber die Ukraine, die Konfliktpartner ist, aber keiner der Opfer war Ukrainer (Brüche im Gemeinsamen Ermittlungsteam).

Die niederländische Regierung hat Mahathir angeblich angeschrieben und gebeten, seine Kommentare zu begründen. Bislang hat er offenbar noch nicht geantwortet. Niederländische Opferangehörige forderten Mahathir ebenso zur Erklärung auf: "Seine Kommentare sind nicht nur bizarr und verstörend, sie sind auch konterproduktiv für die Jagd nach der Wahrheit über die Mörder von 298 Menschen, inklusive 43 Malaysier", so Werkgroep Waarheidsvinding MH17. Sie verurteilen seine Äußerungen, die "alle Opfer und ihre trauernden Familien" verraten würden. Das ist allerdings auch eine seltsame Argumentation, wenn womöglich berechtigte Zweifel als konterproduktiv und Verrat verurteilt werden.

Marschbefehl für 53. Luftabwehrbrigade

Nach einem Bericht der russischen Zeitung Novaya Gazeta von letzter Woche weisen neu entdeckte, nicht geheime Dokumente darauf, dass zwei Tage vor dem Abschuss von MH17 russische Soldaten mit der 53. Luftabwehrbrigade unter dem Kommandeur Sergei Muchkaev an die ukrainische Grenze verlegt worden waren. Für die Koordination seien Oberstleutnant Vitaly Ryzhov und Oberst Alexei Egorov zuständig gewesen.

Das JIT hatte im letzten Bericht vom Mai 2018 erklärt, dass die Buk-Rakete von eben dieser Brigade stammen soll. Der Konvoi startete von Kursk und erreichte Millerovo am am 15. Juli 2014. Dort sollen sich an der Grenze mehr als 170 Soldaten befunden haben, wo sie 5 Tage lang Trockenrationen erhielten. Die Zeitung kann zwar keinen direkten Zusammenhang mit dem Transport der Buk-Rakete von Russland in die Ostukraine belegen, schreibt aber, dass der Marschbefehl vom 22. Juni, "den Verdacht verstärkt und Fragen rechtfertigt, die letztes Jahr von den Ermittlern gefragt wurden".

So sei auf der Liste der Fahrzeuge auch ein KamAZ-Transporter mit der Nummer 4267 AN und dem Fahrer A.N. Butikov gestanden. Ein solcher soll auch nach Bellingcat Ende Juni das Buk-System mit der Nummer 332 transportiert haben, das auch in der Ostukraine auf Fotos und Videos aufgetaucht sein soll. Ein anderes Fahrzeug der Brigade sei nach Vovaya Gazeta auf der ukrainischen Seite der Grenze gesichtet worden.