F-35 oder S-400: Ein amerikanisch-türkisch-russisches Rüstungsgerangel

Lockheed Martin F-35 Lightning II. Bild: U.S. Navy / Public Domain

Es geht um Geld, Spionage, politische Einflussnahme und Bündnisfähigkeit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 4. Juni 2019 noch einmal seine Absicht bestätigt hatte, russische Flugabwehrraketen vom Typ S-400 zu kaufen, setzte drei Tage später das US-Verteidigungsministerium der türkischen Regierung ein Ultimatum. Bis zum 31. Juli müssen die Türken ihren Verzicht auf dieses Waffengeschäft erklären, andernfalls drohen US-Sanktionen.

Eigentlich sollten die ersten US-Kampfflugzeuge F-35A im Juni in der Türkei stationiert werden, dazu wird es (vorläufig) nicht kommen. Gleichzeitig ist noch unklar, wann die ersten S-400 geliefert werden sollen. Die amtlichen Angaben schwanken zwischen Juni und August 2019. Damit steuert dieser Rüstungsstreit auf einen Höhepunkt zu. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Trump-Regierung mit ihren europäischen NATO-Partnern umspringt. Waffengeschäfte sind nicht nur ein mörderisches Business, der vorliegende Fall demonstriert in seiner Chronologie auch deren völlige Absurdität.

Wer bekommt was?

Zuerst wollte die Türkei amerikanische Flugabwehrraketen Patriot kaufen, dies lehnte die US-Regierung ab. Danach wandte sich die Regierung in Ankara an Russland, um ersatzweise FlaRak vom Typ S-400 zu kaufen. Als die Russen zustimmten, reagierten die Amerikaner unwirsch. Sollten die Türken den Raketen-"Deal" mit Moskau machen, würden sie - entgegen früherer Lieferverträge - keine Kampfflugzeuge vom Typ F-35 liefern.

Lockheed Martin F-35 Lightning II (14 Bilder)

Bild: U.S. Navy / Public Domain

Schließlich sagten die Amerikaner die Lieferung der PATRIOT-Systeme doch zu. Jetzt aber stellen sich die beleidigten Türken quer und wollen an ihrem S-400-Liefervertrag mit den Russen festhalten. In diesem Fall will die US-Regierung einen Verkauf der F-35 an die Türkei untersagen. Dadurch drohen wiederum weitere Verzögerungen und Preissteigerungen bei diesem US-Flugzeugprojekt mit internationaler Beteiligung. Noch ist nichts endgültig entschieden, aber in den kommenden Wochen steuert dieser jahrelange Rüstungsstreit auf einen Höhepunkt zu.

Phase 1: F-35A LIGHTNING II statt EUROFIGHTER

Auf der Suche nach einem Nachfolger für ihre amerikanischen F-16 FIGHTING FALCON entschied sich die türkische Regierung am 12. Dezember 2006 für den Kauf des amerikanischen Kampfflugzeuges F-35A anstelle des europäischen EUROFIGHTER.

Die Lockheed-Martin F-35 Lightning II ist ein Stealth-Kampfflugzeug der 5. Generation für die US Air Force (F-35A), das Marine Corps (F-35B) und die US Naval Aviation (F-35C). Hergestellt werden die Flugzeuge in der Fabrik in Fort Worth (Texas). Die ursprüngliche Planung sah vor, dass die US-Streitkräfte mindestens 2.443 Maschinen beschaffen; davon sollte die US-Air Force 1.763 Flugzeuge übernehmen, die restlichen 680 Maschinen verteilten sich auf die Marine und das Marinecorps. Allein die USAF hat zwischen 2015 und Ende 2018 bereits 155 Maschinen übernommen und damit u. a. neun Kampfstaffeln in den USA ausgerüstet. USAF will insgesamt 44 Kampfstaffeln mit diesem Flugzeug aufstellen. Allerdings teilt die F-35 das "Schicksal" vieler anderen Kampfjets: Ihre Entwicklung hat über 55 Milliarden Dollar verschlungen, hinzu kommen noch die Beschaffungskosten in Höhe von - je nach Variante - gegenwärtig 89 bis 115 Millionen Dollar pro Stück. Die Gesamtkosten über den gesamten Nutzungszeitraum bis 2070 werden gegenwärtig auf voraussichtlich 1,508 Billionen Dollar taxiert.

Aber wie viele F-35 tatsächlich zu welchem Preis beschafft werden, ist bis heute unklar, zumal die Beschaffung rund 10 Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan hinterherhing und mit weiteren Kostensteigerungen zu rechnen ist. Auch was ihre technische Leistungsfähigkeit anbelangt, blieb der Flugzeugtyp hinter den Versprechungen des Herstellers zurück. Bemängelt werden u. a. die zu geringe Reichweite aufgrund einer begrenzten Treibstoffmenge, die zu geringe Waffenlast und die schlechte Sicht des Piloten nach hinten. Gerademal die Hälfte der hypermodernen Jets gilt als einsatzfähig. Hinzu kommt, dass die F-35 im Unterhalt sehr teuer ist.

Aufgrund der zu erwarteten Kosten war die Beschaffung der F-35 von Anfang an als internationales Projekt ausgelegt, um die Planungs- und Entwicklungskosten in der "System Development and Demonstration Phase" (SDD) durch eine möglichst hohe Stückzahl auf möglichst viele Länder verteilen zu können. So haben mehrere Staaten das Flugzeugmuster als zukünftigen Jagdbomber ebenfalls ausgewählt: Kanada, Großbritannien, Norwegen, Niederlande, Belgien, Italien, Türkei, Israel, Singapur, Japan, Südkorea und Australien.

Gemäß dem Umfang ihrer Partizipation waren die ausländischen "Partner" in mehrere Gruppen unterteilt. Die Türkei wurde zu einem "Level 3 participant". Sie beteiligte sich an den Entwicklungskosten mit einem eigenen Beitrag in Höhe von 175 Millionen Dollar, das war die fünfhöchste Länderbeteiligung in dem internationalen Programm. Im Gegenzug wurden ca. zehn türkische Unternehmen als Lieferanten von Einzelteilen an dem Programm beteiligt: Aselsan, Aydın Yazılım ve Elektronik A.Ş. (AYESAŞ), Fokker Elmo, Kale Havacılık, Kale Pratt & Whitney, MiKES, Alp Aviation, HAVELSAN, Nurol İnşaat ve Ticaret A.Ş, ROKETSAN, Türk Havacılık ve Uzay Sanayii A.Ş. / Turkish Aircraft Industries (TUSAŞ / TAI). So produziert Alp Aviation das Vorderrad, TUSAŞ Teile des Flugzeugrumpfes und AYESAŞ elektronische Karten für das Cockpit-Display. Der Beitrag der türkischen Rüstungsindustrie wurde auf ein Volumen von 4,3 Milliarden Dollar geschätzt.

Am 25. Januar 2007 unterzeichnete die Regierung in Ankara ein Memorandum of Understanding (MoU) über den Erwerb von 100 bis 136 Exemplaren F-35 A für die türkische Luftwaffe (Türk Hava Kuvvetleri - THK) bzw. F-35B für die Marineflieger (Türk Deniz Hava Komutanlığı - TDK). Somit rangierte die Türkei bisher als der drittgrößte Beschaffer dieses Flugzeugmodells. Anfang 2011 stellte die türkische Regierung wiederholt Überlegungen an, aufgrund der absehbaren Kostensteigerungen etc. aus dem Projekt auszusteigen, man blieb dann aber doch im Programm. Die Kostenschätzungen für das türkische Beschaffungsvorhaben erhöhte sich mittlerweile von 10,4 Milliarden auf 12 oder gar 16 Milliarden Dollar, die - im Falle eines US-Boykotts - wegfallen und daher die Stückkosten für die übrigen Empfängerländer nochmals erhöhen.

Eigentlich sollten die ersten F-35A im Jahr 2010 an die türkische Luftwaffe ausgeliefert werden, aber das Projekt verzögerte sich um acht Jahre. Tatsächlich wurden erst 2018 die ersten vier F-35A an die türkischen Streitkräfte geliefert, allerdings sind die Maschinen nicht in der Türkei stationiert, sondern in den USA! Sie dienen der Umschulung der ersten sechs türkischen Piloten auf das neue Flugzeugmuster. Die vier ersten "türkischen" F-35A Block 3F mit den Seriennummern 18-0001/AT-01, 18-0002/AT-02, 180003/AT-03 und 180004/AT-04 wurden bei der 63rd Fighter Squadron der 56th Fighter Wing auf der Luke AFB in Arizona vorübergehend in Dienst gestellt.

Der Erstflug der ersten "türkischen" Maschine fand am 10. Mai 2018 durch einen amerikanischen Testpiloten statt; das Flugzeug wurde offiziell am 21. Juni 2018 an die Türkei - pro forma - übergeben. Am 29. August 2018 flog erstmals ein türkischer Pilot das Flugzeug. Am 8. Juni 2018 folgte der Erstflug der zweiten Maschine. Mittlerweile hat der erste Jahrgang seine Ausbildung abgeschlossen, der zweite und dritte Jahrgang türkischer Piloten und 20 Flugzeugmechaniker befinden sich derzeit zur Ausbildung auf der Luke AFB und beim Air Education and Training Command (AETC) auf der Joint Base in San Antonio. Nach Abschluss der amerikanischen Umschulung im Jahr 2020 sollten diese vier Trainingsmaschinen in die Türkei überführt werden.

Frühestens ab Juni 2019 sollten die fünfte und sechste "türkische" F-35A bei der 7nci Ana Jet Üs Komutanlığı (7nci AJÜ]) in Malatya-Erhac (Distrikt Akçadağ) disloziert werden. Auf dieser Luftwaffenbasis sollten zwei Staffeln disloziert werden: 171. Staffel "Korsar" (171nci Filo "Korsan") und die 172. Staffel "Falke" (172nci Filo "Şahin"). Die neuen Jets sollten dort die früheren McDonnell Douglas F-4E PHANTOM II aus den siebziger Jahren ersetzen. Die F-35A sollten zusammen mit dem zukünftigen türkischen Kampfjet TUSAŞ Milli Savaş Uçağı (TF-X), dem Nachfolger für die amerikanische F-16 FIGHTING FALCON, eingesetzt werden. Bei der TF-X handelt es sich um eine türkische Eigenentwicklung von TUSAŞ in Zusammenarbeit mit British Aerospace Electronic Systems (BAE). Daraus scheint nun nichts zu werden. Dennoch tönte der türkische Staatspräsident im April 2019 auf der IDEF-Rüstungsmesse in Istanbul:

Wir hoffen, dass die Flotte unserer Luftstreitkräfte bald aus im Inland hergestellten Kampfflugzeugen bestehen wird. Wir sind entschlossen, die Grundlagen zu schaffen, die unseren und den Bedürfnissen unserer Freunde in Bezug auf Rüstung, Optik, Software, Motor, Simulation und Sprengtechnologien entsprechen. (…) Jene die damit zögerten, uns die nötigen Sprengkörper für unsere Kampfflugzeugs zu verkaufen, können nun ihr Staunen nicht verbergen.

Erdogan