Was die Bundeszentrale für politische Bildung nicht veröffentlichen will

Die dem Bundesinnenministerium unterstellte Institution hat ein Dossier zur "Digitalen Desinformation" erstellt, in dem Kritisches offenbar und symptomatisch unerwünscht war

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Im Februar erhielt ich eine Email von einem Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Geplant sei ein Dossier zur Europawahl zum Thema "Digitale Desinformation". Zuvor hatte ich in einigen Artikeln meine Skepsis über die dauernden Warnungen vor Desinformation geschrieben, war etwa auf die britische Kampagne der Integrity Initiative eingegangen und hatte darüber berichtet, dass den US-Demokraten nahestehende Organisationen und Firmen, die über die russische Desinformation "aufklärten", selbst an Desinformationskampagnen beteiligt waren, um Wahlhilfe für Kandidaten zu leisten. Eben zu letzterem Thema wurde ich angefragt: "In diesem Zusammenhang möchte ich Sie im Anschluss an Ihren Telepolis-Text vom Anfang des Jahres für einen Beitrag zum Thema "Führt der Kampf gegen Desinformation zu weiterer Desinformation?" anfragen."

Zugegeben, ich war überrascht, dass die bpb ausgerechnet in einem Dossier, das offensichtlich darauf angelegt schien, im Vorfeld der EU-Wahlen die Gefahr von Desinformationskampagnen von Russland und EU-Gegnern zu beschwören, ein Beitrag erwünscht war, der sich dem Thema kritisch nähert und letztlich hinter der Bekämpfung von Desinformationskampagnen selbst auch Interessen und Propaganda sieht, nicht nur die reine Liebe zur Wahrheit und zu Fakten.

Also ich war angetan, sagte einen Beitrag zu und schickte ihn mit dem unterschriebenen Vertrag auch fristgerecht ein. Das Honorar wurde auch gezahlt, der Betreuer mahnte im April noch formale Verbesserungen wie Angabe von Seiten bei Zitaten, weitere Belege und einen " resümierenden Satz" am Ende an. Das wurde erledigt, dann hörte ich nichts mehr, ging davon aus, dass alles seinen Bearbeitungsgang ging und vergaß die Angelegenheit schließlich.

Hier die einleitenden Sätze meines Beitrags, der versuchte, die aktuelle Bekämpfung der Desinformation in einen etwas größeren Kontext zu stellen und am Schluss anhand von Beispielen zu bedenken zu geben, dass der Kampf gegen und mit Desinformation auch zu einem neuen Geschäftsfeld wird:

"Seit einigen Jahren, spätestens seit 2014 mit dem Ukraine-Konflikt und der angeblichen hybriden Kriegsführung Russlands sowie dem militärischen und medialen "Blitzkrieg" des Islamischen Staats, hat sich die Rede von der "weaponization" der (sozialen) Medien, des Internet oder der Information verbreitet. Von Anfang an waren an der Begriffs- und Konzeptbildung Militärs maßgeblich beteiligt. Medien oder Informationen (Worte, Bilder, Musik …) würden, so das Narrativ, zu Waffen gemacht, mit denen gewissermaßen die Köpfe der Menschen wie mit einem Geschoss angegriffen werden, um in diese falsche Gedanken, Ansichten oder Meme einzuschleusen. Hintergrund war die gewachsene Erkenntnis über die enorme Bedeutung der sozialen Netzwerke auf die Bildung und die Polarisierung von Öffentlichkeit."

Für das geforderte Resümé verwies ich auf die US-Firma Dialectica, die bei einer Wahl 2017 zugunsten eines demokratischen Kandidaten in Alabama tätig war:

"Dialectica bietet "Informationswaffensysteme für Aktivisten" an. Fake News sei ein internationaler Wachstumsmarkt, dagegen zu kämpfen, eine globale Geschäftsgelegenheit. So wird aus der angeblichen Aufklärung über Desinformation selbst ein Geschäft mit neuer Desinformation, zumindest mit strategischer Kommunikation oder Propaganda.

Anfang Juni - nach der EU-Wahl, bei der offensichtlich keine größere Beeinflussung aus dem Ausland stattfand, sieht man von der üblichen, natürlich auch auf Beeinflussung angelegten Wahlwerbung ab - beschäftigte ich mich wieder einmal mit Desinformation, stolperte beim Recherchieren zufällig über die bpb-Website und hier über das Dossier "Digitale Information". Da gab es dann etwa einen einführenden Artikel, der darauf hinwies, dass es Desinformation auch im Kalten Krieg gab, aber offenbar nur beim KGB, und der mit der Aufforderung endet: "Da Desinformation nur an bereits vorhandenen menschlichen Schwachstellen und Defiziten ansetzen kann, gilt es, diese elementaren Probleme langfristig zu beheben." Das so gestärkte kognitive Immunsystem würde dann womöglich auch die Lektüre dieses einseitigen Artikels beheben.

Woanders wird geraten, dass "das verlorene Institutionenvertrauen" wiederhergestellt werden müsse. Der Autor kommt am Schluss zur Erkenntnis: "Dafür müssen sich Politik und Medien auch auf die Debatte einlassen, inwiefern die Gründe des Vertrauensverlusts mitverantwortet sind und ob sie mehr als bisher tun müssten, um Vertrauen zurückzugewinnen." Dazu müsste man aber auch selbstkritisch einmal das Starren auf die aus dem Ausland stammenden Desinformationen in den Hintergrund treten lassen und auch einen Blick auf die Desinformationen werfen, die in Politik und Medien im Inland kursieren. Und auch einmal darüber nachdenken, ob die Menschen wirklich so schutzlos der (unerwünschten) Desinformation ausgesetzt sind. Was auffällt, ist, dass das Konzept der Desinformation und deren Gefährlichkeit bei den Beiträgen nicht hinterfragt wird, auch wenn einmal immerhin konstatiert wird, die EU könnte doch, "statt über neue Behörden zur Fake-News-Bekämpfung nachzudenken und Millionen in PR zu investieren, den Journalismus fördern". Das weitgehende Fehlen einer kritischen Perspektive verstärkt die Vermutung, dass die bpb bemüht ist, die angebliche Gefährdung der europäischen Bevölkerung durch Desinformation, die nicht von den politischen Akteuren innerhalb der EU stammt, herauszustreichen, um die beschlossenen Gegenmaßnahmen zu legitimieren, auch wenn das Ganze den Eindruck eines Don Quijote macht, der gegen Windmühlen kämpft, die er für gefährliche Ritter hält.

Wie man aus dem Beitrag für das Dossier und dem am 14. 6. veröffentlichten Report on the implementation of the Action Plan Against Disinformation vom Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, also dem Büro der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, ersehen kann, hat die EU eine ganze Maschinerie eingerichtet, um Desinformation zu bekämpfen. Man gibt sich sicher, dass diese Maßnahmen nach dem "Gemeinsamen Plan gegen Desinformation" mitsamt dem "Election Package" dazu beigetragen hätten, Angriffe abzuwehren und Desinformation herauszustellen. Es werden zwar keine Belege für diese Behauptung aufgeführt, wohl aber die Versicherung, dass man sich keineswegs damit zufrieden geben könne und den Kampf gegen die Desinformation weiter führen müsse.

Erst weit hinten wird in einer Fußnote konzediert: "According to FactCheckEU, there was less disinformation than expected in the run up to the European elections and it did not dominate the conversation as it did around the past elections in Brazil, the United Kingdom, France or the United States." Ob das auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Desinformation zurückzuführen ist oder die Gefahr zu stark beschworen wurde und sich nachträglich als Desinformation erwies, bleibt unbeantwortet. Man muss, so kann man festhalten, die Entscheidung, bestimmte Desinformation als gefährlich zu prognostizieren und eine Bekämpfungsmaschine zu finanzieren, aufrechterhalten. Die bpb scheint da mitzuschwimmen und will Kritisches, das dabei stören könnte, nicht befördern, könnte man vermuten.

Wie auch immer, ich stellte also fest, dass mein Beitrag unter den übrigen Juwelen der Aufklärung über Desinformation fehlte. Also wandte ich mich an denjenigen, der mich um einen Beitrag gebeten hatte, um zu klären, warum er zwar bezahlt, aber der Veröffentlichung nicht für würdig gehalten wurde. Man hätte ja der Ansicht sein können, es wäre ein Akt der Höflichkeit der Bundeszentrale für politische Bildung gewesen, wenn sie so viel Bildung oder bürgerliche Höflichkeit gehabt hätte, dem zunächst eingeladenen Gast mitzuteilen, warum man ihn doch lieber aussperrt. Dafür kann es ja viele Gründe geben.

Also gut, ich schrieb an denjenigen, der mich eingeladen hatte, was denn los sei und ob er mir die Email des verantwortlichen Redakteurs geben könnte. Ich erhielt die Antwort: "Ich bin davon ausgegangen, dass sich der verantwortliche Redakteur bei Bedarf mit Ihnen in Verbindung setzt. Insofern kann ich Ihnen nichts dazu mitteilen."

Das hatte er aber nicht. Dazu kommt, dass er zwar namentlich angegeben wird - ein Herr Stefan Lampe -, aber leider ohne eine Kontaktmöglichkeit und sonst auch ohne jeden Hintergrund. In Zeiten der digitalen Medien, über die das Dossier auch ging, eigentlich eine seltsame Geheimniskrämerei. Mir wurde beschieden, dass ich doch auch CC die Mail an die Redaktion geschickt habe: "Falls sich innerhalb der unten von Ihnen genannten Frist niemand bei Ihnen meldet, sprechen Sie mich bitte nochmal an, dann prüfe ich die Frage nach der Weitergabe der E-Mail-Adresse." Gebeten hatte ich um eine Antwort bis 14. Juni. Und weil ich gerade dabei war, schrieb ich am 6. Juni folgende Mail an die Adresse redaktion@bpb.de, die eigentlich nicht sonderlich unhöflich war, sondern nur um Aufklärung bat:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie ich zufällig gesehen habe, ist das Dossier über "Digitale Desinformation" bereits erschienen. Leider kann ich mich nicht direkt an Herrn Lampe wenden, weil keine Emailadresse angegeben ist (http://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/digitale-desinformation/290599/redaktion).

Ich bin etwas verwundert, weil ich dafür auf Aufforderung und nach Unterzeichnung eines Autorenvertrags (vom 28.3.) einen Beitrag geschrieben und rechtzeitig eingesendet habe. Er wurde auch honoriert. Es verwundert mich zwar nicht unbedingt, dass der wahrscheinlich nicht in die politische Zielrichtung passende Beitrag nicht in das Dossier aufgenommen worden ist, aber ich denke, auch alleine höflichkeitshalber wäre es angemessen gewesen, dass die Redaktion mir unter Angabe von Gründen Bescheid geben sollte, warum sie den Beitrag nicht veröffentlichen will bzw. dessen Veröffentlichung hinauszieht.

Ich bitte nun auf diesem Weg, mir baldmöglichst, spätestens bis Ende der nächsten Woche, Bescheid zu geben. Ich bin auch journalistisch daran interessiert und am Überlegen, darüber zu berichten.

Mit freundlichen Grüßen Florian Rötzer

Von der Bundeszentrale und ihrem Redakteur kam keine Antwort. Das war fast zu erwarten, aber macht doch deutlich, dass man in der Bundeszentrale eine kritische Diskussion scheut und nicht einmal dazu stehen will. Das wirft auf die offiziellen Kampagnen gegen die Desinformation ein bezeichnendes Licht. Desinformation machen halt nur die anderen …

Update: Kurz nach Veröffentlichung des Artikels kam schließlich eine Antwort aus der Bundeszentrale. Es sei ein Fehler gewesen, nach Überarbeitung sei er nicht zur Abnahme weitergeleitet worden - und dann angeblich im Nirwana verschwunden, aus dem er erst wieder auftauchte, nachdem der Artikel dies und das beharrliche Schweigen zum Thema machte. Kann also sein oder auch nicht. Es bleibt zurück, dass offenbar das Verschwinden eines bezahlten Artikels nicht bemerkt und dass auf Anfrage sich niemand bemüßigt fühlte zu antworten.