Erdoğan: Mursi war "Märtyrer"

Mohamed Mursi 2012 mit dem Scheich von Dubai. Foto: Cybaaudi. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Verbotene Moslembruderschaft behauptet "Mord", Amnesty International fordert "unparteiische, gründliche und transparente Untersuchung der Todesumstände" des entmachteten Islamisten

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Für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist der gestern verstorbene ehemalige ägyptische Staatspräsident Mohammed Mursi ein "Märtyrer". Die Moslembruderschaft, mit der er sympathisiert (vgl. Im doppelten Sinne Symbolpolitik), spricht sogar von einem "Mord".

Die Kairoer Gerichtsmedizin fand dagegen bei ihrer Autopsie keine Anzeichen für einen unnatürlichen Tod Mursis, wie die Staatsanwaltschaft gestern bekannt. Ägyptische Medienberichte gehen von einem Herzinfarkt des 67-Jährigen aus, den er ehemalige Staatspräsident erlitt, nachdem er sich während eines gegen ihn laufenden Prozesses sehr aufgeregte. Als er das Bewusstsein verlor, brachte man ihn zwar umgehend in ein Krankenhaus, konnte ihn aber nicht mehr retten.

Sarah Leah Whitson, die Nahost-Direktorin von Human Rights Watch, beklagte nach der Todesmeldung eine ihrer Ansicht nach nicht optimale medizinische Versorgung des Angeklagten, dem während der Haft ein gutartiger Tumor entfernt worden war. Etwas zurückhaltender gab sich die Organisation Amnesty International, die eine "unparteiische, gründliche und transparente Untersuchung der Todesumstände" des abgesetzten Machthabers anregte. Ein Hindernis dafür könnte sein, dass Mursi bereits heute früh beerdigt wurde, was auf einen religiös begründeten Wunsch seiner Familie zurückgegangen sein soll.

Herrschaft für die Moslembruderschaft

Der Maschinenbauingenieur, der in den USA studiert hatte, wurde nach dem Sturz Hosni Mubaraks Präsidentschaftskandidat der Moslembrüder, weil die Behörden deren erste Wahl Chairat al-Schater wegen dessen Vorstrafe ablehnten. Im ersten Wahlgang kam er mit 24,78 Prozent Stimmenanteil in eine Stichwahl, die er mit 51.73 Prozent gewann. Als er trotz dieses relativ knappen Ergebnisses die Gewaltenteilung infrage stellte und Entscheidungen für gerichtlich unanfechtbar erklärte, kam es zu Massendemonstrationen mit Toten, die das Militär zum Anlass nahm, ihn am 3. Juli 2013 abzusetzen und unter anderem wegen Urkundenfälschung bei seiner Kandidatur und Anstiftung zur Gewalt vor Gericht zu stellen.

2015 wurde deshalb ein Todesurteil verhängt, das jedoch in der Berufung kippte, was zu einer Fortdauer des Prozesses führte. Die Moslembruderschaft, für die Mursi herrschte, sieht sich als Bewegung, die sich für eine weltweite Herrschaft des Islam als "Zivilisationsalternative" einsetzt. Dazu ist sie mittlerweile in über 70 Ländern aktiv. In zahlreichen davon ist sie allerdings nicht erlaubt (vgl. USA: Debatte über Verbot der Moslembruderschaft).

In ihrem Entstehungsland Ägypten wurden die Moslembrüder nach mehreren Terroranschlägen erstmals 1948 verboten, worauf hin sie den damaligen Premierminister Mahmoud an-Nukrashi Pascha in die Luft sprengten. Auf Gamal Abdel Nasser verübte die zwischenzeitlich wieder zugelassene Bewegung ebenfalls einen Mordanschlag, der jedoch erfolglos blieb. Das Attentat auf Anwar al-Sadat geht dagegen nicht auf ihr Konto.

"Im Widerspruch zu grundlegenden demokratischen Prinzipien wie dem Meinungspluralismus und der Volkssouveränität"

In Syrien, wo sie 1982 in Hama den Versuch unternahmen, gewaltsam die Staatsführung zu stürzen, sind die Moslembrüder ebenso wie in Ägypten verboten und unterhalten enge Verbindungen zur "Rebellengruppe" Nour-al-Din al-Zenki, die mit Videoaufnahmen von der Enthauptung eines Kindes international Aufsehen erregte (vgl. Kindsenthauptung durch "moderate Rebellen"). In Saudi-Arabien betrachtet man sie dagegen als von Katar unterstützte Konkurrenz zum eigenen Einflussstreben durch den Salafismus.

In Deutschland nutzt die Gruppe dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge Vereine wie die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) für Aktivitäten in Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, Marburg, Braunschweig und Münster. Das nordrhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz stufte 2006 den "Großteil des [in der Moslembruderschaft] vertretenen ideologischen Gedankenguts" als "unvereinbar mit den im Grundgesetz [...] verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung" ein, weil ihr "absoluter" und "göttlicher" Wahrheitsanspruch und die von ihr angestrebte Ordnung "im Widerspruch zu grundlegenden demokratischen Prinzipien wie dem Meinungspluralismus und der Volkssouveränität" stehen (vgl. Moslembruderschaft dementiert Umzug nach Graz).

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