MH17: Internationales Ermittlungsteam nennt die ersten Verdächtigen

Screenshot vom Pressekonferenz-Video

Betont wird, dass die Beteiligung Russlands bewiesen sei, Moskau sieht weiter keine Beweise und wirft der Ermittlung Einseitigkeit vor

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Das Gemeinsame Ermittlungsteam, das unter der Leitung der niederländischen Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungen zum Abschuss der MH17 ausführt und aus Vertretern der von Belgien, Malaysia, Australien, der Niederlande und der Ukraine besteht, hat bei einer relativ kurzfristig angekündigten Pressekonferenz gestern erstmals vier Männer bezichtigt, das Flugzeug abgeschossen zu haben und damit 298 Menschen ermordet zu haben. Der Prozess soll im März 2020 in den Niederlanden stattfinden.

Erklärt wurde, dass die Zahl der Verdächtigen stark geschrumpft sei. Anfänglich sei man von 100 ausgegangen, viele hätten sich als unschuldig erwiesen, zumindest konnten keine Beweise gefunden werden. Von den vier jetzt beschuldigten Männern, die schon länger etwa von Bellingcat verdächtigt wurden, habe man aber gerichtsfeste Beweise. Ob sie überzeugend sind, muss erst das Gericht noch klären. Bellingcat gibt sich wieder als Ermittler und hat kurz vor der Pressekonferenz des JIT einen Bericht mit den Namen der vier Verdächtigen und einigen weiteren veröffentlicht. Inwieweit sich das JIT auf Bellingcat stützt, ist nicht klar.

Ansonsten blieb die Ermittlung beim alten Stand, also dass das Buk-System von der 53. Flugabwehrbrigade aus Kursk stammte und vor dem Abschuss mit russischem Personal in die Ostukraine gebracht und danach wieder zurück nach Russland transportiert wurde. Der Leiter des JIT, der niederländische Staatsanwalt Fred Westerbeke, erklärte: "Wir haben die Information, wir haben den Beweis, dass Russland an dieser Tragödie, an diesem Verbrechen, auf die eine oder andere Weise beteiligt war." Ohne Begründung wird gesagt, dass Ermittlungsteam immer noch nicht an der Absturzstelle war: "The area of investigation in Eastern Ukraine is still inaccessible to the investigation team", so Westerbeke. Allerdings waren niederländische, malaysische und australische Ermittler dort gewesen. Man arbeite aber eng in Kiew mit den ukrainischen Sicherheitsbehörden zusammen, was als "unglaublich wertvolle" Kooperation dargestellt wird. Überdies suche man weiter nach Zeugen und ermittle auch ansonsten weiter.

Kommandokette, die die "Volksrepublik" mit Russland verband

Die vier beschuldigten Männer werden allerdings nicht direkt für den Abschuss verantwortlich gemacht - "Sie haben nicht selbst den Knopf gedrückt" (Westerbeke) - , sondern für den Transport des Buk-Systems in die Ostukraine an den Ort, wo MH17 mit einer Buk-Rakete abgeschossen wurde, nach Pervomaisky. Mit Sergey Dubinskiy, Oleg Pulatov, Igor Girkin bzw. Igor Strelkov und dem Ukrainer Leonid Kharchenko wurden (wahrscheinlich) keine zur Tatzeit noch für den russischen Staat aktiven Männer angeklagt.

Fred Westerbeke. Screenshot vom Pressekonferenzvideo

Dubinsky war russischer Offizier beim russischen Militärgeheimdienst GRU. Er soll 2014 zusammen mit seinem damaligen Stellvertreter Pulatov, ein ehemaliger Offizier von Spetznaz-GRU, der Spezialeinheit des Geheimdienstes, den Geheimdienst der "Volksrepublik Donezk" (DNR) geleitet und "regelmäßigen Kontakt" mit russischen "Offiziellen" gehabt haben. Girkin, auch ein ehemaliger Geheimdienstoffizier beim FSB, so das JIT, oder - etwa nach der EU - GRU, war damals, bevor er in Ungnade fiel, "Verteidigungsminister" der DNR. Nach dem JIT soll er damals "regelmäßigen Kontakt" mit russischen "Offiziellen" gehabt haben. Der Ukrainer Kharchenko war damals Kommandeur einer Kampfgruppe in dem Gebiet, von dem aus die Rakete abgeschossen worden sein soll.

Zusammen haben die Verdächtigen nach dem JIT eine Kommandokette gebildet, die die "Volksrepublik" mit Russland verband. Westerbeke räumt ein, dass vielleicht eine Militärmaschine abgeschossen werden sollte, aber die Verantwortung bleibe trotzdem bestehen. Die vollständigen Beweise könnten aber erst dem Gericht vorgelegt werden, bislang basiert die Anklage auf vom ukrainischen Geheimdienst abgehörte Telefongespräche und einem Chat, die nicht eindeutig sind, aber dazu gemacht werden. Über ein abgehörtes Telefonat vom 11. Juli wird auch der Beauftragte des Kreml für den Ukraine-Konflikt, Wladislaw Surkow, ins Spiel gebracht, der berichtet, er habe den Wunsch der Separatisten nach militärischer Verstärkung weitergeleitet und eine positive Reaktion erhalten.

Die Verdächtigen seien erst einmal weniger geworden. Screenshot vom Pressekonferenz-Video

Russland wird aufgefordert, den Aufenthaltsort der drei Russen festzustellen und diese zu befragen, ebenso wird die Ukraine aufgefordert, den ukrainischen Verdächtigen zu befragen. Es wird kein Auslieferungsantrag gestellt, weil sowohl die russische als auch die ukrainische Verfassung dies verbieten. Russland wird weiter zur Kooperation aufgefordert: "Wir haben immer noch unbeantwortete Fragen." So habe Russland nicht auf die Frage geantwortet, ob Dubinsky im Juli 2014 noch für den russischen Staat gearbeitet hat oder wo sich am Abschusstag das Buk-System befand, das auf den Bildern zu sehen ist. Die Beschuldigten werden aufgefordert, mit dem JIT in Kontakt zu treten.

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Russische Regierung: JIT stützt sich auf zweifelhafte Quellen

Das russische Außenministerium weist die "bedauerlichen" Beschuldigungen des JIT zurück: "Ebenso wie bei den vorangegangenen Pressekonferenzen der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe wurde diesmal kein einziger konkreter Beweis zur Untermauerung derartiger unrechtmäßiger Erklärungen angeführt. Die Gemeinsame Ermittlungsgruppe beschränkt sich offensichtlich auf Argumente, die nicht ganz vernünftig sind und auf zweifelhafte Informationsquellen basieren. Die von Russland gelieferten Daten werden weiterhin ignoriert." Russland habe immer seine Mitarbeit angeboten und habe mit dem JIT kooperiert. Russland sei hingegen von den Ermittlungen ausgeschlossen worden, während die Ukraine Teil des JIT wurde, "was ihr die Gelegenheit bot, Beweise zu fälschen und vollständig der Verantwortung zu entgehen, den Luftraum nicht geschlossen zu haben".

Nach dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Russlands, Nikolai Winnitschenko, gäbe es keine Hinweise auf die Beteiligung der drei russischen Bürger an dem Abschuss. Das russische Verteidigungsministerium widerspricht ebenfalls den Beschuldigungen. Kein russisches Raketenabwehrsystem habe die Grenze zwischen Russland und der Ukraine überquert. Die Rakete, mit derMH17 abgeschossen wurde, sei 1986 an die ukrainischen Streitkräfte geliefert worden und seitdem nicht mehr in den Händen des russischen Militärs gewesen.