Ausschnitt einer islamfeindlichen Realität

Khadija-Moschee in Berlin-Heinersdorf, Bezirk Pankow. Bild: Ceddyfresse/gemeinfrei

Nach Zahlen der Bundesregierung sinkt die Zahl der Übergriffe auf Moscheen. Doch die Angriffe auf muslimisches Gemeindeleben gehen über die offiziellen Angaben hinaus

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Deutlicher kann man Verachtung kaum zum Ausdruck bringen. 50 Koran-Ausgaben fanden die Betreiber einer Bremer Moschee zerstört auf dem Boden ihrer Moschee. Das Heilige Buch der Muslime - zerrissen, in eine Toilette gestopft und darauf defäkiert. Die Bilder aus der al-Rahma-Moschee sorgten vor Kurzem für viel Empörung. Bundesweit berichteten Medien.

Die Bremer CDU verurteilte die Tat als "niederträchtig". Der Sprecher der Bundesregierung zeigte sich empört. Und der Vorsitzende des "Zentralrats der Muslime", Aiman Mazyek, sprach von einer "neuen Dimension der Perversion".

Doch neu war vor allem das große öffentliche Interesse. Als am Tag darauf die Fenster einer Kasseler Moschee eingeworfen wurden, fand dies nur noch in der Lokalpresse statt. Auch als eine Woche zuvor vor einer Moschee in Mönchengladbach Schweinekopf und Tierblut landeten, blieb die Empörung aus. Ebenso wie nach dem Brandanschlag auf eine Moschee im nordrhein-westfälischen Hagen drei Tage zuvor.

Angriffe auf muslimisches Gemeindeleben sind in Deutschland Alltag. Die Vorfälle reichen von verbalen Einschüchterungen und schriftlichen Morddrohungen über rassistische Graffiti und abgetrennte Schweineköpfe bis hin zu eingeworfenen Scheiben und Brandanschlägen: "Praktisch täglich" seien Muslime Angriffe ausgesetzt, erklärte der Bremer Islamverband "Schura" nach dem Angriff auf die "Rahma Moschee". Doch von den meisten Angriffen auf muslimisches Gemeindeleben bekommt die Öffentlichkeit nichts mit.

Offizielle Zahlen: Nur ein Ausschnitt

Das Desinteresse beginnt schon bei der offiziellen Erfassung der Straftaten. Lange hat sich das Bundesinnenministerium geweigert, islamfeindliche Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik gesondert zu erfassen, wie es beispielsweise bei antisemitisch motivierten Taten schon lange der Fall ist. Erst nach Jahren der Kritik durch Opferschutzorganisationen und islamische Verbände wurde im Jahr 2017 der Kategorie "politisch motivierte Kriminalität" die Unterkategorie "islamfeindlich" hinzugefügt.

813 solcher islamfeindlicher Übergriffe hat das Bundesinnenministerium im Jahr 2018 gezählt. 48 Straftaten entfallen dabei auf das Angriffsziel "Moschee". Zuletzt sind die Vorfälle nach Angaben des Innenministeriums sogar gesunken. Wurden in den ersten drei Monaten 2018 noch 196 Straftaten gegenüber Muslimen und Moscheen erfasst, waren es zwischen Januar und März 2019 nur noch 132.

Doch es gibt Zweifel an der Aussagekraft der Erfassung. So zählt das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben zu den Angriffen auf Moscheen unter anderem keine Angriffe auf "Stätten der Religionsausübung" und "Moscheevereine". Was eine Moschee anderes sein soll als eine "Stätte der Religionsausübung", konnten mir weder Behörden- noch Moscheevertreter erklären.

Ebenso wenig, was der praktische Unterschied zwischen einer "Moschee" und einem "Moscheeverein" ist, wo doch fast jede Moschee in Deutschland als Verein organisiert ist. Wie viele der rund 2.500 Orte, an denen sich Muslime regelmäßig zum Gebet treffen, eine Chance haben, vom BMI berücksichtigt zu werden, ist unklar.

Vertreter islamischer Organisationen werfen dem Ministerium deshalb schon seit Langem vor, das wahre Ausmaß der Angriffe künstlich niedrig halten zu wollen und mit der Statistik eher zu verschleiern als aufzuklären. Eine eigene Zählung des Zentralrats der Muslime kam für das Jahr 2018 beispielsweise auf mehr als 100 Angriffe auf Moscheegemeinden - mehr als das Doppelte der offiziellen Zahlen.

Auf Nachfrage erklärte ein Sprecher des Zentralrats: "Für die Täter spielt es indes keine Rolle, ob sie ein Gebäude mit Kuppel und Minarette angreifen oder ein Moschee-Vereinshaus. Ihre Motivation ist in beiden Fällen Islamfeindlichkeit. Diesem Umstand müssen die offiziellen Zahlen Rechnung tragen."

"Viele islamfeindliche Straftaten werden nicht gemeldet"

Noch eine Sache fällt in der Statistik des Innenministeriums auf. Nur in sehr wenigen Fällen kommt es infolge islamfeindlicher Straftaten zu Ermittlungserfolgen und Verurteilungen. Die meisten Straftaten bleiben folgenlos. Für die ersten drei Monaten dieses Jahres stehen 123 offiziell erfassten islamfeindlichen Straftaten keine einzige Verhaftung oder Verurteilung gegenüber.

Dies wiederum habe zur Folge, dass viele Angriffe nicht mehr der Polizei gemeldet werden, berichtet unter anderem das Berliner Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit CLAIM. Auch in Bezug auf die aktuellen Zahlen des Bundesinnenministerium kam diese Kritik wieder auf. In einer Stellungnahme zur Veröffentlichung islamfeindlicher Straftaten für das erste Quartal 2019 schreibt Bekir Altaş. Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG):

In den meisten Fällen erhalten die Opfer antimuslimischer Gewalt schon nach wenigen Wochen eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Das führt nicht nur zu Enttäuschung bei den Betroffenen, sondern auch dazu, dass Straftaten nicht mehr zur Anzeige gebracht werden.

Bekir Altaş, Millî Görüş