Radikalisiert sich die Klimabewegung?

Aktion von Ende Gelände am vergangenen Samstag. Bild: David Klammer/Ende Gelände/CC BY-SA-2.0

Auch die erfolgreichen Proteste im rheinischen Kohlerevier ändern nichts an der Tatsache, dass die entscheidenden gesellschaftlichen Kämpfe um eine Änderung der Energiepolitik noch bevorstehen

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"Heute Kohle, morgen Kapitalismus abschaffen", lautete die Parole auf einem Transparent, dass Klimaaktivisten am Wochenende im rheinischen Kohle trugen. Die gesamtgesellschaftliche Perspektive dort war nicht verwunderlich. Schließlich ist das Ende-Gelände-Bündnis, das wesentlich die Proteste mitorganisiert hat, von der Interventionistischen Linken, einer Gruppe der außerparlamentarischen Linken mit initiiert.

Nach der Niederlage des linken Aktivismus beim Klimagipfel von Kopenhagen vor 10 Jahren war das Bündnis ein erster Schritt, um die Frage um Klima und Umwelt mit anderen außerparlamentarischen Bewegungen zu verbinden. Nun haben Teile der zweiten Jugendumweltbewegung, die längst nicht mehr nur aus Fridays for Future besteht, zumindest aktionsbezogen mit Ende-Gelände kooperiert. Das ist für beide Seiten sicher ein interessanter Annäherungsprozess.

Die Gruppen, die Ende-Gelände gegründet haben, kritisierten damals das Prozedere der Klimagipfel, die neue Jugendumweltbewegung ist hingegen gerade mit dem zentralen Ziel angetreten, die Vereinbarungen des Pariser Gipfels umzusetzen. Umgekehrt ist für die Jugendumweltbewegung das Ende-Gelände-Bündnis ein probater Ansatz, um sich weiter zu politisieren. Denn das Bündnis setzt auf zivilen Ungehorsam und Blockaden, lehnt aber Gewalt gegen Personen ab. Es ist zudem ein Bündnis, das in Sprache und Organisationsform eher als traditionalistische Organisationen in der Lage ist, neue junge Menschen einzubeziehen.

Allerdings dürfte die Perspektivdebatte innerhalb der Jugendumweltbewegung dadurch auch an Fahrt aufnehmen. Das ist nur das Beste, was ihr passieren kann. Eine Bewegung, die inhaltlich so schwammig bleibt, dass sie nur niemand ausgrenzt, kann in der Anfangsphase erfolgreich sein. Aber es ist das Wesen von Bewegungen, dass sie an Grenzen stoßen und an Dynamik verlieren. Spätestens dann steht die Perspektivdebatte auf der Agenda. Die Sommerferien, die natürlich für eine teilweise von Schülern getragene Bewegung relevant sind, waren nur ein Termin, wo die Frage der Perspektiven zumindest an der Öffentlichkeit laut wurde.

Werben für ökologischen Kapitalismus

Es ist auffallend, dass ausgerechnet in der Taz, die die Jugendumweltbewegung mit großer Sympathie begleitet und auch immer die Autonomie der Jugend betont, schon mal eine Perspektive ohne diese jungen Menschen anbietet. Da interviewt der Taz-Kommentator Peter Unfried, der seit Jahren für eine sozial-ökologische Umgestaltung genanntes Bündnis von Kapital und Umweltbewegung wirft, den Soziologen Armin Nassehi. Beide sind sich einig, dass man über Alternativen zum Kapitalismus gar nicht erst nachzudenken braucht:

Herr Nassehi, manche halten Sie für einen unsicheren Kantonisten, weil Sie das Rechts-links-Denken überwunden haben.

Armin Nassehi: Und weil ich mich nicht darauf einlasse, dass es eine eindeutige oder einfach durchführbare oder gar revolutionäre Lösung unserer Probleme gibt. Gibt es nicht. Wir müssen die Probleme mit den Bordmitteln dieser Gesellschaft lösen, denn andere haben wir nicht.

Das wird von theoriebewussten Linken vehement bestritten, dass die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft etwas für alle voranbringen würde oder könnte.

Was meint die "Mitte der bürgerlichen Gesellschaft"? Diese Mitte immer nur als Mittemilieu oder so zu denken, ist doch langweilig. Zunächst gilt: Am laufenden Motor kannst du keine Revolution machen, ohne ihn stillzulegen. Ich will sagen: Die Widerständigkeit der Gesellschaft, ihre Struktur, ihre Trägheit und ihre Unbeeindruckbarkeit ist enorm. Man muss einfach sehen, wie schwierig der Eingriff in Systeme, Gewohnheiten, Lebenspraxis in einer strukturell komplexen Welt ist.

Armin Nassehi, Taz

Natürlich ist Nassehis Hinweis berechtigt, dass die gesellschaftlichen Strukturen langsam und schwer zu verändern sind, auch nach einem Bruch mit dem Kapitalismus. Das war ein großes Thema des Philosophen Ernst Bloch, beispielsweise in seinem Buch "Erbschaft dieser Zeit". Er sieht einen der Gründe für das Aufkommen von Faschismus und Nationalsozialismus in der Ungleichzeitigkeit zwischen den für den Kommunismus reifen Produktionsverhältnissen und den oft noch reaktionären Bewusstsein großer Teile der Menschen. Doch für Nassehi und Unfried stellt sich dieses Problem gar nicht, weil sie zwischen den ökonomischen Verhältnissen und dem gesellschaftlichen Bewusstsein nicht unterscheiden.

Beide sind typische Vertreter der bürgerlichen Ideologie, für die es hier keinen Unterschied gibt. Daher problematisieren sie auch nicht die Tatsache, dass die von Nassehi erwähnten "Bordmittel der Gesellschaft" gerade die Klimakrise hervorrufen. Daher ist es ein Zirkelschluss, wenn er erklärt, es gäbe nur diese Mittel, um die Probleme zu beheben. Damit sagt er, es gibt keinen Ausweg. Damit wiederum stärkt er die apokalyptischen Tendenzen in der neuen Klimabewegung, die die Erde schon verglühen sehen.

Die Aktivitäten von Ende-Gelände am Wochenende hingegen haben gleich zwei positive Effekte: Die Aktivisten erproben kollektives Handeln, merken, dass sie Anlagen zeitweise lahmlegen können, erkennen dort auch die Rolle von Polizei und Staat als Garant der kapitalistischen Verhältnisse. Nicht das abstrakte Artensterben oder Verglühen eines Planeten, sondern konkrete Projekte von Konzernen wie RWE waren Ziel der Aktionen. Solche Aktivitäten sind das beste Antidot gegen apokalyptisches Denken und könnten auch einige Grundlagen zur kapitalistischen Ökonomie liefern.

Zudem können sich an solchen Aktionen auch Menschen beteiligen, die nicht so hundertprozentig überzeugt sind von den kastrophischen Szenarien der Umweltbewegung.

Linke Klimaskepktiker?

In zwei offenen Briefen haben Menschen aus vorgeblich linken Diskussionszusammenhängen Kritik am herrschenden Klimadiskurs geäußert. Es kam schon Kritik, weil wohl einige der wissenschaftlichen Quellen, auf die sich die Verfasser stützen, auch in AfD-nahen Kreisen Anklang finden. Doch kritikabel wäre das erst, wenn die linken Verfasser und die AfD zu den gleichen politischen Konsequenzen kommen.

Bedenklicher ist, dass der als liberaler Umweltschützer firmierende Naturwissenschaftler Lutz Niemann die Grünen noch immer als linke Partei kritisiert. Wenn man dann noch weiß, dass Niemann in Vereinen aktiv ist, die man wohl als wirtschaftsnah bezeichnen kann, dann ist das allerdings ein Problem für angeblich linke Kritiker des ökologischen Klimadiskurses. Trotz dieser Merkwürdigkeiten sollte man die dort vorgebrachten Argumente nicht reflexhaft abwehren, sondern sie auf ihre Plausibilität prüfen. Da wären auch Naturwissenschaftler gefragt.

Flughäfen ausgelastet wie nie

Denn auch die erfolgreichen Proteste im rheinischen Kohlerevier ändern nichts an der Tatsache, dass die entscheidenden gesellschaftlichen Kämpfe um eine Änderung der Energiepolitik noch bevorstehen. Das zeigt sich daran, dass die Zahl der Flugreisen im Sommer 2019 noch angestiegen ist. Die Boulevardmedien vermelden, dass Berlins Flughäfen nahe am Kollaps sind.

Das aber nicht etwa wegen Protesten der Jugendumweltbewegung. Dabei wären zumindest im Bereich der Inlandsflüge Aktionen durchaus denkbar und wohl auch ohne körperliche Blockaden zu bewerkstelligen. Doch in Großbritannien wurde die geplante Behinderung des Flugverkehrs am Airport Heathrow durch Drohnenaufstieg nach internen Konflikten in der Umweltbewegung zunächst aufgeschoben. Neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben, dass doch auch das nähere Umfeld in den Ferien den Flieger nimmt, in Großbritannien durch die Insellage bedingt sogar mit mehr Grund als in Mitteleuropa.

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