Black-Out-Gefahr beim Strom?

Im Juni 2019 gab es drei Mal eine Unterdeckung im deutschen Stromnetz, deren Ursachen noch nicht eindeutig geklärt sind - die Erneuerbaren scheinen jedoch nicht verantwortlich zu sein

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In der deutschen Stromversorgung gibt es in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwei wichtige Entscheidungen. Die erste war die Liberalisierung der Strommärkte, die mit dem am 29. April 1998 in Kraft getretenen "Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts" für ein Unbundling von Netzbetrieb und Stromhandel sorgen sollte.

Die zweite war die sogenannte Energiewende, die nach Fukushima einen erneuten Ausstieg aus der Kernkraft anstrebte, nachdem der erste, noch von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg von der ersten Regierung Merkel abgesagt worden war.

Während die Liberalisierung allgemein gelobt wird, wird die Energiewende nicht nur von den Freunden der Kohle und der Kernkraft immer wieder angefeindet und letztlich für alle Fehler im deutschen Strommarkt als Schuldiger herangezogen. Doch dass die Erneuerbaren für die Beinahe-Blackouts im Juni 2019 verantwortlich waren, ist mitnichten eindeutig geklärt.

Was war im Juni 2019 passiert?

Am 6., 12. und 25. Juni stellten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber Tennet TSO, 50Hertz Transmission , Amprion und TransnetBW eine starke Unterspeisung des deutschen Strom-Systems fest, was jeweils zu einem Absinken der Netzfrequenz im gesamten europäischen Verbundnetz geführt hat, einer sogenannten Unterfrequenz.

Die Übertragungsnetzbetreiber haben dann als Systemverantwortliche jeweils eingegriffen, wenn die Bilanzkreisverantwortlichen dazu offensichtlich nicht in der Lage waren, Erzeugung und Verbrauch physisch auszugleichen. Dazu verfügen die Übertragungsnetzbetreiber über das Mittel der sogenannten Regelenergie. Der Bedarf an Regelenergie an den drei genannten Tagen im Juni lag im Schnitt bei mehr als sechs GW.

Kontrahiert hatten die Übertragungsnetzbetreiber insgesamt drei GW Regelenergie. Aus diesem Grund mussten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um entsprechend den festgelegten Prozessen zusätzliche Kapazitäten zu beschaffen, um das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch auszugleichen. Dies erfolgte durch Zukauf an der Strombörse, von ausländischen Quellen sowie durch die Nutzung von sogenannten abschaltbaren Lasten. Diese werden von Industrieunternehmen zur Verfügung gestellt, welche sie auf speziellen Auktionen anbieten.

Letztlich konnte die äußerst angespannte Lage nur mit Unterstützung der europäischen Partner gelöst werden. Als Konsequenz aus diesen Vorfällen haben die Übertragungsnetzbetreiber die Ausschreibungsmenge für Regelenergie (Minutenreserve) zum 29.6.2019 erhöht. Turnusmäßig hätte dies zum 1.7.2019 angestanden.

Welche Rolle spielten die Erneuerbaren?

Die Einspeisung aus Erneuerbaren Quellen zeigt für diese drei Tage keinerlei Besonderheiten, wie man im Agorameter für diesen Zeitraum leicht feststellen kann.

Auch die für den Strommarkt zuständige Bundesnetzagentur BNetzA in Bonn stellt hierzu fest: "Wir gehen nicht davon aus, dass die Erneuerbaren Ursache für die Unterdeckung waren." Aus Bonn kommt darüber hinaus die Versicherung: "Es bestand keine Gefahr für die sichere Stromversorgung in Deutschland."

Wie kamen die Preisausschläge zustande?

Für die Regelenergie musste im Juni bis zu knapp 40.000 Euro pro MWh bezahlt werden. An normalen Tagen liegt der entsprechende Preis bei etwa zehn Euro. Die vier Übertragungsnetzbetreiber stellen hinsichtlich der genannten Preise fest: "Zu den Preisentwicklungen bei Regelenergie können die ÜNB als Kunde nur mutmaßen: grundsätzlich gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage." Da hat offensichtlich der Markt zugeschlagen, der mit der Liberalisierung von 1998 geschaffen und durch das im vergangenen Jahr eingeführte Mischpreisverfahren zu massiven Änderungen im Markt geführt hat.

Warum es zu den ungewöhnlich großen Systembilanzabweichungen kam, wird derzeit noch untersucht. Dazu gehört auch die Auswertung der Bilanzkreisabrechnungen. Die BNetzA dazu: "Die Ursache der Unterdeckung ist noch nicht eindeutig geklärt. Wir werden die Situation sorgfältig analysieren. Dabei werden wir auch prüfen, ob neben systembedingten Faktoren bewusste Leerverkäufe eine Rolle für die Unterdeckung gespielt haben. Ein solches Händlerverhalten wäre ein grober Verstoß gegen die Verpflichtung, möglichst ausgeglichene Bilanzkreise zu führen."

Welche Bedeutung könnte das Mischpreisverfahren am Regelenergiemarkt haben?

Seit dem 16. Oktober 2018 gilt in Deutschland für den Regelenergiemarkt das sogenannte Mischpreisverfahren. Ziel dieses Verfahrens war es, den Wettbewerbsdruck auf die Arbeitspreise in den Regelenergieauktionen zu erhöhen, um sehr hohe Arbeitspreise zu vermeiden. Wurde zuvor der Zuschlag nach Höhe der Leistungspreise vergeben, berücksichtigt das Mischpreisverfahren neben dem Leistungspreis anteilig auch den Arbeitspreis. Das Mischpreisverfahren begünstigt im Regelenergiemarkt eindeutig die konventionellen Kraftwerke.

Dazu tragen nicht zuletzt die im vergangenen Herbst geänderten Rahmenbedingungen bei, welche zu deutlichen Fehlanreizen geführt haben, da sie die Inanspruchnahme von Regelenergie deutlich billiger machten und dazu geführt haben, dass die Investitionen in möglichst exakte Prognosen deutlich abgenommen haben. Für den Endverbraucher ziemlich ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, dass er für die Mehrkosten aufkommen muss.

Wie lange die aktuelle Situation in Deutschland Bestand hat, ist derzeit noch nicht abzusehen. Sicher scheint jedoch die Tatsache zu sein, dass sie mit den einschlägigen Vorschriften der EU nicht kompatibel ist und geändert werden muss.

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