Die EU hat keine gemeinsamen Ziele und Interessen

Die Kämpfe um Posten in den letzten Tagen zeigen, wie wenig die EU verbindet. Die Personality-Show ist ein besonders probates Mittel zur Entpolitisierung

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Ziemlich geräuschlos dürfte im Stadtstaat Bremen die erste Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei in Westdeutschland über die Bühne geben. Die Parteitage bei SPD und Grünen dürften ebenso zustimmen wie die Mitglieder der Linken. In der Diskussion wurde nirgends kritisch erwähnt, dass mit Andreas Bovenschulte ein Mann zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden soll, der sich für diese Funktion nicht zur Wahl gestellt hat.

Der SPD-Spitzenkandidat Carsten Sieling hat eine Wahlniederlage erlitten und sich daher nicht mehr zur Wiederwahl gestellt. Nun könnte man in diesem Fall tatsächlich kritisch anmerken, dass in einem Stadtstaat nach der Wahl ein Kandidat auftaucht, den vor der Wahl niemand auf den Schirm hatte. Doch während eben weder für SPD noch für die Grünen oder die Linken problematisch scheint, dass ein Kandidat aus dem Hut gezaubert werden soll, wird genau die Frage des Spitzenkandidatur bei der Wahl der Präsidentschaft der EU-Kommission von SPD und Grünen zum Knackpunkt erklärt.

Beide Parteien und die ihnen nahestehende Presse klassifizieren es als besonders undemokratisch, dass mit der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen eine Frau für den Posten nominiert werden soll, die keine Spitzenkandidatin war. Der Taz-Kommentator Klaus Hillenbrand rät der SPD sogar dazu, an der Personalie von der Leyen die Koalition mit der Union in Berlin platzen zu lassen.

Es geht hier nicht um einen irren Verfassungsschutzpräsidenten, nicht um Etat-Streitigkeiten oder eine gescheiterte Pkw-Maut. Es geht um die Grundregeln der Demokratie. Die SPD, der so gerne ein staatstragender Habitus vorgeworfen wird, ist gefordert, sich ein Verdienst daran zu erwerben.

Klaus Hillenbrand, Taz

Personality-Show statt politische Debatte

Nun ist es schon absurd, wenn in einer grünennahen Zeitung das Prinzip der Spitzenkandidatur so sehr hochgehalten wird. Schließlich haben sich die Grünen in den Anfangsjahren geweigert, die Wahlentscheidungen derart zu personifizieren und ganz auf Spitzenkandidaturen verzichtet. Schließlich ist das ganze Prinzip der Spitzenkandidatur genau damit verbunden, dass kaum noch über Inhalte, dafür aber über bestimmte Personen, ihren Lebens- und Bekleidungssteil, ihre Frisuren und Ernährungsvorlieben geredet wird.

Das Spitzenkandidatenprinzip sorgt mit dafür, dass Wahlen immer mehr entpolitisiert werden. Seinen Ursprung hat dieses Prinzip in den USA in den frühen 1960er mit der Personality-Show des Kennedy-Clans. Für eine solche Show ist die Kandidatin von der Leyen gut geeignet, die bereits ihren verschiedenen politischen Funktionen damit warb, dass sie ihre Rolle als berufstätige Mutter gut in Einklang bringen kann. Für welche politische Inhalte die Konservative sonst steht, bleibt hingegen offen.

Wahlen sind generell nicht das beste Mittel, um politische Debatten anzuregen. Die Spitzenkandidaturen sind ein besonders probates Mittel zur Entpolitisierung. Besonders absurd wird es bei einer EU-Wahl. Denn sowohl ein Manfred Weber wie eine Ursula von der Leyen werden in Deutschland auf ein gewisses Interesse gestoßen sein, nicht aber in Bulgarien, Polen oder Portugal. Von daher ist es ein rein deutscher Blick, wenn als Demokratiedefizit festgestellt wird, weil nun angeblich eine Politikerin nominiert wurde, die keine Spitzenkandidatin war.

Nun wurde Ursula von der Leyen vor einigen Jahren als mögliche Merkel-Nachfolgerin gehandelt. Sie gehörte zu den Kandidatinnen, denen man zugetraut hätte, Architektin einer Koalition aus Grünen und Union auf Bundesebene zu werden. Zum parteipolitischen Geplänkel gehört auch, dass man dann eine Kandidatin, die man als Bundeskanzlerin unterstützt hätte, als ungeeignet für den EU-Kommissionssitz ablehnt. Die ganzen Machtspiele der letzten Tage, über die bürgerlichen Zeitungen in allen Einzelheiten berichten, sollen hier mal außen vor bleiben.

Ob die Nominierung der CDU-Politikern ein Erfolg oder eine Niederlage für Merkel war, warum sich auch Macron mit der Personalie anfreunden konnte, obwohl sich Grüne und FDP, die in Deutschland um die Gunst des französischen Präsidenten buhlen, strikt gegen die Kandidatin sind, sind einige der Fragen, die sich die konstruktiven Politikberater vieler Zeitungen stellen.

Von der Leyen wird es schaffen

Sie gehen, wie der Politologe Gero Neugebauer davon aus, dass sich von der Leyen durchsetzen wird. Schon wollen manche ihre Wahl als Sieg der Proeuropäer sehen. Tatsächlich dürfte diese Lesart nach ihrer Wahl dominierend sein.

Die gesamte Berichterstattung über ihre Nominierung und die Erklärungen ihrer Gegner und Befürworter, ist schon Teil des personifizierten Wahlkampfes. Dabei wird nur verdeckt, dass die wahren Probleme nicht in dieser oder jener Politikerbiographie ist. Der Kampf um die Posten, wo dann jeder gegen jeden kämpfte und scheinbare Loyalitäten nichts mehr wert waren, zeigt, dass diejenigen Recht haben, die behaupten, dass es ein vereinigtes Europa unter kapitalistischen Vorzeichen nicht geben kann.

Es werden immer wieder die Interessen der unterschiedlichen kapitalistischen Staaten oder Staatenbünde im Wettstreit liegen. Und da ist noch immer der Hegemon Deutschland, dem aber auf EU-Ebene stärkerer Widerstand entgegengebracht wird. Und da ist das in sich auch fragile Bündnis der sogenannten Visagrad-Staaten, die als rechte Opposition zum deutschzentrieren EU stehen.

Sie wenden sich auch dagegen, dass von einigen westeuropäischen Staaten vorgegeben wird, was EU-Werte sind und was nicht. Und manchmal gelingen den Visagrad-Staaten auch unorthodoxe Bündnisse über gewohnte Grenzen hinaus.