Arbeitsmarkt Deutschland 2019: Fachkräfte raus!

Kommentar: Deutschland diskutiert über den Mangel an Fachkräften und ein schlechtes Rentensystem. Zukünftige Fachkräfte und Renteneinzahler werden abgeschoben

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Anfang Juni stimmte der Bundestag über das so genannte Migrationspaket ab. "Wir brauchen echte Fachkräfte und nicht potenzielle." Mark Helfrich von der CDU/CSU stellte mit diesem Satz klar, welches Ziel die Regierung in der Migrationspolitik verfolgt: Deutschland will nicht mehr in Geringqualifizierte investieren.

Auf der einen Seite soll die Einwanderung anhand der Qualifikationen von Migranten reguliert werden. Auf der anderen Seite soll die Ausweisung von Unqualifizierten erleichtert werden. Die Zahlen von Pro Asyl verdeutlichen die Tendenz der deutschen Abschiebepolitik: Im ersten Drittel des Jahres 2017 schob die Bundesregierung 72 Afghanen ab. Im gleichen Zeitraum des Jahres 2018 waren es 64. In diesem Jahr sind es bereits 127 abgeschobene Afghanen.

Im Oktober 2016 hatte die deutsche Regierung mit Afghanistan ein Rückübernahmeabkommen geschlossen. Auf diese Weise können abgelehnte Asylbewerber auch ohne Pass abgewiesen werden. Dass in Afghanistan von einer allgemeinen Gefahr für Zivilpersonen gesprochen werden muss, verdeutlichen Statistiken aus dem Jahr 2018. Sie zeigen ein Rekordhoch an zivilen Todesopfern durch kriegerische Gewaltakte.

Das Ansteigen der Gefahr in Afghanistan bestätigt auch eine Studie des Auswärtigen Amtes. Die Anschläge haben zugenommen, Regionen, die bis vor einigen Jahren als relativ sicher angesehen wurden, sind umkämpft oder bereits unter der Kontrolle der Taliban oder anderer bewaffneter Gruppen.

Der IS ist als weiterer gewalttätiger Akteur in einigen Landesteilen aktiv und treibt die Gewalt an. Die UN stufen heute Afghanistan wieder als ein Land in "aktivem Konflikt" ein, nicht mehr als "Post-Konflikt-Staat". Trotzdem sind die Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Meinung, dass von einer akuten Lebensgefahr ausschließlich für westliche Personen und Einrichtungen auszugehen ist.

Afghanen: Erschwerte Voraussetzungen in Deutschland

Immer wieder werden Afghanen ausgewiesen, die sich in Ausbildungen zu Fachkräften befinden. Integrierte Menschen, welche dreijährige Ausbildungen zu Pflegekräften oder Handwerksberufen absolvieren. Alles Bereiche, in denen ein Mangel an Fachkräften vorherrscht.

Während der Ausbildung erhalten sie von der Ausländerbehörde die Nachricht, dass sie ihren Arbeitsplatz, ihre Schule nicht wieder aufsuchen dürfen. Ihre Duldung wird nicht verlängert, eine Grenzübertrittserklärung wird ausgestellt. Ab diesem Zeitpunkt haben sie einen Monat Zeit, um ihre Ausreise zu planen.

Im Gegensatz zu den Geflüchteten aus Syrien und Eritrea hatten die Afghanen schon zu Beginn ihrer Einreise erschwerte Voraussetzungen in Deutschland. Da die Bundesregierung ihre Perspektive auf Bleiberecht als zu gering einstufte, erhielten sie in den Jahren 2014 und 2015 keine Förderung für Integrations- und Sprachkurse.

Diese desintegrierende Maßnahme begründete sich durch den damaligen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die Politik ging davon aus, durch diese Präsenz langfristig für Sicherheit in dem Krisengebiet sorgen zu können. Eine optimistische Weitsicht. Sie entpuppte sich als Irrtum und sorgte für eine Benachteiligung für die Menschen aus Afghanistan.

Trotzdem besuchten viele Afghanen selbständig Deutschkurse an Sprachschulen. Nach bestandenen Prüfungen bewarben sie sich für Ausbildungen. Auch um von der sogenannten "3+2-Regelung" zu profitieren. Nach dieser Regelung erhalten die Auszubildenden eine Duldung, wenn sie eine dreijährige Ausbildung abschließen, um danach zwei Jahre als Fachkraft zu arbeiten.

Dass diese zukünftigen Fachkräfte nun ausgewiesen werden, weil sie keinen Pass oder keine afghanische 'Tazkira' besitzen, wirft folgende Frage auf: Wie ist es möglich, dass sie ohne dieses anscheinend so wichtige Dokument Ausbildungen beginnen konnten? Zudem sich viele von ihnen seit mehr als drei Jahren in Deutschland befinden.

Der Gedanke liegt nah, dass die Regierung organisatorische Fehlleistungen mit Abschiebungen kompensieren will. Das Image des Sozialstaates soll im Vorfeld der Wahlen in ein autoritäres Erfolgsmodell umgewandelt werden.

Die Ära Merkel und die deutsche Willkommenskultur haben anscheinend versagt. Viele konservative Wähler wünschen sich die 'harte Hand' des Staates herbei. Dass es bei den Abschiebungen oft auch "integrierte" Menschen mit Qualifikationen trifft, fällt dabei wohl in den Bereich der Kollateralschäden.

Integration in Deutschland: In der Theorie stark, in der Praxis schwach

Experten haben im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung errechnet, dass Deutschland jährlich 260.000 Zuwanderer benötigt, um bis zum Jahr 2060 den Mangel an Fachkräften auszugleichen.

2018 veröffentlichte die Agentur für Arbeit eine Statistik zum Thema "Fluchtmigration". 1,7 Millionen Schutzsuchende waren demzufolge am 31.12. 2017 im Ausländerzentralregister (AZR) registriert. 83 Prozent von ihnen sind unter 35 Jahre alt. Ein ansehnliches Potential für einen Arbeitsmarkt, der nach Pflege- und anderen Fachkräften schreit.

Doch nur 35 Prozent aller Geflüchteten besitzen den Abschluss einer weiterführenden Schule. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit spricht hierbei von einer "Struktur der Arbeitslosigkeit". Nach ihr sind die meisten arbeitslosen Geflüchteten überwiegend jung und männlich. Diese kämen überwiegend für Jobs in Frage, bei denen Sprachkenntnisse nur eine geringe Rolle spielen würden. Mögliche Arbeitsfelder sind hier Logistik, Reinigung, Küchenhilfe und Verkauf.

Da die Ausbildungen und Universitätsabschlüsse der meisten Geflüchteten hier nicht anerkannt werden, muss die Mehrheit von ihnen in Deutschland neue Qualifikationen erwerben. Um ausreichende Kenntnisse in der Sprache zu erlernen, würde es allerdings mindestens sechs Jahre dauern, bis sie dem Arbeitsmarkt als Fachkräfte zu Verfügung stehen würden.

Übereifrig in "Maßnahmen" gesteckt

In der Praxis werden Geflüchtete und Migranten oft übereifrig von Mitarbeitern des Jobcenters in "Maßnahmen" gesteckt, bevor sie ausreichend Sprachkenntnisse besitzen. Plötzlich sitzen Sprachanfänger neben deutschen Auszubildenden. Dabei sind bereits Muttersprachler häufig mit den Lehrinhalten überfordert.

Die Mehrheit der Geflüchteten hat erst gar keine realistische Chance, die Prüfungen einer Ausbildung zu bestehen. Nach ein bis zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland besitzen sie weder über die nötigen Lernvoraussetzungen noch über ausreichende Deutschkenntnisse.

Oft werden die Auszubildenden noch schneller in den Arbeitsmarkt "integriert". Ihre Asylanträge werden noch bearbeitet, die Zukunft um ihren Aufenthalt ist ungewiss. Obwohl sie sich bereits in einer Ausbildung zur potentiellen Fachkraft befinden.

Neben den überforderten Auszubildenden gibt es auch die überforderten Ausbilder und Dozenten. Sie sehen sich Auge in Auge mit Lernenden, die zunächst nicht einmal die Hälfte der Lerninhalte verstehen. Viele Geflüchtete haben zudem selbst weniger als fünf Jahre eine Schule besucht. Sie haben nie gelernt zu lernen.

Auf diese Weise brechen zahlreiche Geflüchtete und Migranten ihre Ausbildungen ab, um direkt als Arbeitskräfte eingesetzt zu werden. In der Pflegebranche hat dies zur Folge, dass neben Fachkräften nun rudimentär ausgebildete Pflegehelfer mit kaum vorhandenen Sprachkenntnissen zum Einsatz kommen. Krankenhäuser und Pflegeheime reiben sich die Hände: Für elf Euro Stundenlohn kümmern sich Pflegehelfer um die Körperhygiene und die Versorgung von Pflegebedürftigen