Staatsanwältin will "genaue Landkarte politiknaher Vereine"

Mag. Johann Gudenus übersetzt "Glock" ins Russische.

In Österreich untersucht die Justiz nach dem Ibiza-Video auch Geldflüsse ÖVP- und SPÖ-naher Einrichtungen

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Der Wiener Zeitschrift Falter, die an der Veröffentlichung des so genannten "Ibiza-Videos" vor acht Wochen mit beteiligt war, ist nach eigenen Angaben eine "Ermittlungsanordnung" der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vom 29. Mai zugespielt worden. Sie offenbart, dass die Justiz in der der Strafsache "Mag. Johann Gudenus und andere Beschuldigte" nicht nur Geldflüsse in FPÖ-nahen Vereinen, sondern auch in ÖVP- und SPÖ-nahen Einrichtungen untersucht.

Im ersten Monat nach der Ausfertigung der Ermittlungsanordnung überprüfte das österreichische Bundeskriminalamt dem vom ehemaligen Neos-Abgeordneten Niko Alm mit geleiteten Portal Addendum zufolge 13 Vereine, die "nach ersten Ermittlungen" als Empfänger von Umgehungsparteispenden "in Frage kommen könnten".

Auch Gernot Blümels Verein Pro Patria wird unter die Lupe genommen

Als FPÖ-nah gelten dem Bundeskriminalamt sechs davon: "Reformen - Zukunft - Österreich" (ein "Verein für politische Kultur"), "Austria in Motion" (ein "Verein zur Reform der politischen Kultur"), "Patria Austria" (ein "Verein zur Förderung des österreichischen Kultur- und Brauchtums"), "Wirtschaft für Österreich", "Wir für HC Strache" und das vom österreichischen Verteidigungsministerium geförderte "Institut für Sicherheitspolitik" (ISP).

Fünf überprüfte Vereine sieht das Bundeskriminalamt in einer "Nahebeziehung zu ÖVP": "Modern Society" (einen "Verein zur Förderung der politischen Bildung und Forschung im urbanen Raum"), den "Verein zur Förderung bürgerlicher Politik", "Vorzugsstimmen für [den EU-Abgeordneten Lukas] Mandl" (VSM), das "Institut für Bildung und Innovation" und - besonders interessant - den Gernot-Blümel-Verein "Pro Patria", der im Zuge der Affäre um ein "schwarzes Netzwerk" im österreichischen Verfassungsschutz Aufsehen erregte (vgl. Kurzer Dienstweg zwischen Verfassungsschutz und ÖVP).

SPÖ räumte Glücksspielkonzernspende an parteinahe Organisation ein

Als SPÖ-nah gelten zwei untersuchte Vereine: Die Anti-FPÖ-Wahlkampfplattform "Weil's um was geht" (die sich selbst als parteiunabhängig einstuft) und der "Wiener Kulturservice" (der das jährliche eintrittsfreie Musikspektakel Donauinselfest mit veranstaltet). Bei letzterem "formuliert" das Bundeskriminalamt Addendum zufolge "eine vergleichsweise klare Verdachtslage", der ein Bericht der Zeitung Kurier zugrunde liegt: Danach soll der Verein einen Teil der 1,8 Millionen Kulturförderung, die er 2019 erhielt, "für Parteiwerbung verwendet" haben. Gestern Nachmittag sagte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler der Presse, die SPÖ habe deshalb Geld "zurückerstattet". Um welche Summe es sich dabei handelt, ließ die Partei offen.

Die SPÖ ist aktuell auch die einzige Partei, die eine Spende eines der drei vom trunkenen Heinz-Christian Strache genannten Unternehmen an eine parteinahe Organisation eingeräumt hat: 3.500 Euro, die der umstrittene Glücksspielkonzern Novomatic 2017 an den Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband zahlte. Spenden an FPÖ-nahe Vereine bestreitet Novomatic ebenso wie die von Strache genannten Wirtschaftsakteure Glock (vgl. Der Hype um die Pistole aus Österreich) und Signa-Holding. Auch der ehemalige FPÖ-Chef hat die heimlich gefilmten Eindruckserweckungen inzwischen als unzutreffend widerrufen.

Staatsanwältin Christina Jilek will dem Falter nach aber nicht nur die 13 genannten Vereine unter die Lupe nehmen lassen, sondern eine "genaue Landkarte politiknaher Vereine" erstellen lassen. Das könnte ein aufwendiges Unterfangen werden. Addendum fand nach eigenen Angaben bereits über eine "erste Analyse im Vereinsregister" hunderte von Vereinen mit einer "enormen inhaltlichen Bandbreite [...], in denen Politiker verschiedener Couleurs Funktionen bekleiden".

"Beiträge" von Fördermitgliedern sollen rechtlich nicht als "Spenden" zählen

Das österreichische Parlament hat währenddessen auf die im Ibiza-Video erweckten Verdachtsmomente hin ein neues Parteispendengesetz in Kraft treten lassen. Es schreibt vor, dass niemand mehr als 7.500 Euro im Jahr spenden darf. Kurz vor Inkrafttreten dieser Regelung am Dienstag zahlte der Strabag-Eigentümer Hans Peter Haselsteiner noch einmal 300.000 Euro an die Neos, die in Sebastian Kurz' zukünftiger Koalition die FPÖ ersetzen könnten, wenn sie am 29. September gut genug abschneiden. Damit sorgte dieser eine unter bislang 1.433 Spendern für den Neos-Wahlkampf 2019 für fast ein Drittel der bisherigen Einnahmen. Haselsteiners Strabag ist jener Baukonzern, von dem Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video behauptet, er wolle ihm Staatsaufträge entziehen und stattdessen der vermeintlichen Oligarchennichte geben.

Außerdem kündigten die Neos am Wochenende an, ihre Satzung zu ändern, um "Fördermitglieder" aufzunehmen, deren "Beiträge" dann rechtlich nicht als "Spenden" gelten. Peter Pilz, der mit seiner Grünen-Abspaltung "Jetzt" um einen Wiedereinzug in den Nationalrat kämpft, kritisiert das als Umgehung der neuen Vorschriften. Das von ihm herausgegebene Portal ZackZack veröffentlichte eine Karikatur, die die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger als Hündchen zeigt, welches nach einer Wurst lechzt, die ihm ein wohlbeleibter Haselsteiner an einem Stöckchen vor die Nase hält.

Die Neos gaben sich öffentlich "fassungslos" über diesen "respektlosen Cartoon", während Pilz meinte, er strebe "keine Zensur von Karikaturen" an, sondern ein "Verbot von Millionenspenden" und werde sich im Wahlkampf intensiv mit dem "türkisen Sumpf" um die ÖVP und dem "pinken Sumpf" um die Neos befassen.

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