Rechter Shitstorm nach Nazi-Durchsage im ICE

Bild: Karinkarin/pixabay.com

Nachdem sie auf eine rechtsradikale Durchsage aufmerksam gemacht hatte, geriet eine Hamburgerin in einen Shitstorm - und die Bahn reagierte zunächst dilettantisch. Ein Bericht und ein Kommentar

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Folgendes ist geschehen: Am vergangenen Montag saß die Hamburgerin Julietta F. im ICE von München nach Frankfurt. Vor Frankfurt wurde der Zug durch die Entschärfung einer Weltkriegsbombe aufgehalten. Manche nahmen es relaxt, andere waren genervt von der Verspätung - Alltag bei der Deutschen Bahn also. Bis über die Bordlautsprecher diese Durchsage kam: "Liebe Fahrgäste, unser Zug hat wegen der Entschärfung einer Bombe, die die Westalliierten auf die unschuldige Bevölkerung Frankfurts abgeworfen haben, zur Zeit fünfundvierzig Minuten Verspätung."

Julietta F. war verständlicherweise entsetzt und bat noch im Zug darum, mit demjenigen, der die Durchsage gemacht hat, sprechen zu dürfen. Das wurde ihr verweigert. Also postete sie die Angelegenheit auf die Facebookseite der Deutsche Bahn Personenverkehr und fragte: "Ist es im Sinne der Deutschen Bahn, dass Mitarbeiter politische Statements verbreiten?"

Mit erheblicher Verzögerung reagierte das Social-Media-Team der Bahn und schrieb: "Hallo Julietta, was Sie da erlebt haben tut mir sehr leid. Kulturelle Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Respekt sind Grundwerte der Deutschen Bahn. Rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen widersprechen diesen Unternehmenswerten. Soweit ich mitbekommen habe, haben Sie bereits einen Service dazu kontaktiert. In dem Fall wird man dem Ganzen auch intern nachgehen und entsprechend auf den Kollegen zugehen."

Dennoch sammelten sich unter der Beschwerde binnen weniger Stunden hunderte Beiträge - und zwar nicht etwa in Form von Empörung über den Bahnmitarbeiter, sondern in Form von Unterstützung für die getätigte Durchsage, gemischt mit heftigen Angriffen und Beschimpfungen. Die Bahn griff nahezu nicht moderierend ein und ließ teils auch abscheuliche Beschimpfungen stehen. Wenig später ging es dann im selben Tonfall auch auf der öffentlichen Facebookseite von Julietta F. los.

Der Tenor war ein in rechtsradikalen Kreisen beliebtes Narrativ: Die Bomben der Alliierten hätten doch nur unschuldige Zivilisten getötet, wer etwas anderes behauptet, lügt. Und einige Klicks auf Profile der Pöbler, die überwiegend unter Klarnamen posteten, brachte Erwartbares zutage: Es handelte sich vorwiegend um Anhänger von AfD, Identitären, Pegida und anderen einschlägigen rechtsradikalen Gruppierungen. Was sich abspielte, wirkte wie ein koordinierter brauner Shitstorm.

Ebenfalls mehrfach vorhanden war der Vorwurf des Denunziantentums, den Rechte immer dann gerne erheben, wenn jemand Zivilcourage zeigt und auf ihre Umtriebe öffentlich aufmerksam macht. Wie man jemanden "denunzieren" kann, der vor hunderten Fahrgästen eine öffentliche Aussage tätigt, wissen die Urheber der Beiträge wahrscheinlich ebenso wenig, wie ihnen verständlich ist, dass die alliierten Bomben im Jahr 1945 eine Nation aus Mitläufern und Mittätern, die das Naziregime erst ermöglicht haben, dorthin befördert haben, wo sie hingehört - und bleiben wird.

Auch Bahnmitarbeiter haben sich beteiligt

Hinzu kam krudestes Verschwörungsgerede wie das vom friedlichen Hitler, der von den Franzosen zum Krieg gedrängt worden sei und der üblichen Beschwerde von Nazis, die nicht als Nazis bezeichnet werden wollen. Argument: Damit würde man ja die richtigen Nazis verharmlosen. Um das mal eben geradezurücken: Bei den Rechtsradikalen von heute findet sich derselbe Menschenschlag, dieselbe niederträchtige, primitive und hasserfüllte Geisteshaltung wie bei jenen, die damals Hitlers Verbrechen möglich gemacht haben. Die Bezeichnung ist also durchaus treffend - im Gegensatz zu Verharmlosungen wie dem allseits beliebten "Rechtspopulisten".

Besonders bemerkenswert in diesem Kontext war, dass sich daran auch zahlreiche Bahnmitarbeiter (oder zumindest Personen, die sich auf ihren Facebook-Profilen als solche darstellen) beteiligten. Konkreten Nachfragen wich eine Pressesprecherin der Deutschen Bahn anfangs aus. Sie verwies darauf, dass die Haltung des Unternehmens klar sei: "Niemand darf aufgrund seines Geschlechts, seiner Herkunft, seines Alters oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Rassismus, Mobbing und sexuelle Belästigung sind tabu. Wenn das Verhalten einzelner Mitarbeiter Anlass zur Beschwerde gibt, gehen wir den Fällen selbstverständlich nach."

Auf die Frage, ob es im Sinne der Bahn ist, dass Personen mit rechtsradikalen Kontakten und Überzeugungen tagtäglich Menschen aller möglichen Nationalitäten, Konfessionen und Hintergründe befördern, wurde zunächst nicht reagiert. In der Zwischenzeit allerdings wurde die Beschwerde von Julietta F. samt der hunderten Hetzkommentare von der Facebookseite der Bahn gelöscht.

Als ich von der Angelegenheit erfuhr, rief ich Julietta an - wir kennen uns seit vielen Jahren, sind Kollegen und Freunde, ich schätze sie als warmherzigen Menschen ebenso wie für ihr unermüdliches Engagement für Kultur und Literatur. Ich erreichte sie mitten in der Jurysitzung des von ihr initiierten Gertrud-Kolmar-Preises, eines hoch dotierten Literaturpreises für Schriftstellerinnen. Die Dichterin Gertrud Kolmar wurde 1943 von den Nazis in Auschwitz ermordet.

"Mir war klar, dass das passiert", sagt sie, "aber es ist mir wichtig, dass das öffentlich wird. Die Kommentare sind widerlich." Inzwischen erhält sie sie nicht nur per Facebook, sondern auch via Mail und prüft rechtliche Schritte. "Sowas darf nicht passieren. Die Deutsche Bahn muss sich dazu äußern."

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"Rechtsradikale Tendenzen haben in unserem Unternehmen keinen Platz"

Als ich weiter insistiere, erhalte ich schließlich einen Rückruf der Bahn-Pressesprecherin. Sie besteht, ebenso wie Julietta, darauf, das Posting nicht gelöscht zu haben und vermutet, dass Facebook selbst eingegriffen hat. Inzwischen werde mit dem Mitarbeiter, der die Durchsage getätigt haben soll, ein Gespräch geführt. "Rechtsradikale Tendenzen haben in unserem Unternehmen keinen Platz", stellt sie klar. "Wenn sich herausstellt, dass das so geschehen ist, werden wir das arbeits- und strafrechtlich ahnden." Eine halbe Stunde später der schriftliche Nachtrag: "Im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter haben wir geklärt, dass er zukünftig nicht mehr im Kundenkontakt bei der DB arbeitet."

Was sich in der ganzen Angelegenheit nochmal deutlich zeigt: Die Rechtsradikalen findet man nicht nur bei den Pegida-Treffen, bei denen sogar Mord gutgeheißen wird, bei rassistischen Demos oder in einschlägigen Ecken des Internet - sondern überall. Sie arbeiten bei der Bahn, stehen morgens beim Bäcker vor uns in der Schlange. Sie sind, wie die Wahlergebnisse von AfD, NPD und Co zeigen, eine Minderheit von rund fünfzehn Prozent der Bevölkerung. Aber freilich fühlen sie sich als Mehrheit und glauben, ihr Gepöbel und ihre Drohungen würden etwas daran ändern, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen sie aus guten Gründen zutiefst verachtet.

Sie sind nicht "das Volk", sondern dessen Bodensatz. Und sie sitzen, wie wir wissen, in der Polizei, der Bundeswehr, dem Verfassungsschutz und anderswo und bekämpfen den pluralistisch-demokratischen Staat. Man darf, man muss es mit Walter Lübcke sagen: Es steht ihnen frei, das Land zu verlassen, dessen Werte ihnen so zuwider sind. Deutschland braucht sie nicht. Doch solange sie hier sind und Menschen beschimpfen, bedrohen und im Extremfall sogar ermorden, ist es Aufgabe von uns allen, ihnen Gegenwind zu bieten und sie nicht durchkommen zu lassen. Und das heißt auch: Keineswegs zu schweigen, wenn so etwas geschieht wie im ICE von München nach Frankfurt vor wenigen Tagen.