Türkei bohrt vor Zypern - EU plant Strafen

Griechenland, die Türkei, und Zypern. Karte: Lfdder at English Wikipedia. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Washington warnt Ankara vor "provokativen Schritten", die "die Spannungen in der Region erhöhen"

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Die Yavuz ist ein türkisches Bohrschiff, das diese Woche vor der Ostküste der Insel Zypern ankam. Es soll im Golf von Famagusta nach Erdgas suchen. Auf der Griechenland zugewandten Seite Zyperns macht das die ebenfalls türkische Fatih bereits seit dem Frühjahr. Und vor der Südküste Zyperns prospektiert die Barbaros Hayreddin mit seismischen Instrumenten.

Die Regierung von Zypern, das sich 2004 der EU angeschlossen hat, hält das für rechtswidrig. In Brüssel kam der EU-Rat im letzten Jahr zum selben Ergebnis. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte der türkischen Staatsführung deshalb Anfang Mai angedroht, man werde "auf jede illegale Handlung, die die Rechte Zyperns verletzt, angemessen reagieren" (vgl. Brüssel droht Ankara mit "angemessener Reaktion").

Drei-Stufen-Strafen?

Nun hat der scheidende EU-Ratspräsident Donald Tusk bekannt gegeben, dass die Botschafter der Mitgliedstaaten über "konkrete" Strafmaßnahmen verhandeln. Einigen sie sich schnell genug, könnte die EU-Außenminister diese Strafen bereits bei ihrem Treffen am Montag bekannt geben. Medien spekulieren, dass ein erster Schritt aus dem "Einfrieren" von Gesprächen bestehen könnte. Damit dürfte sich die von der islamistischen AKP gestellte türkische Staatsführung kaum beeindrucken lassen - hat sie doch bereits seit längerer Zeit zu erkennen gegeben, dass ihr eine engere Anbindung an die EU weder sonderlich realistisch noch so erstrebenswert erscheint wie der kemalistischen CHP.

Mehr Eindruck machen könnten die als zweiter Schritt gehandelten Kürzungen oder Streichungen von europäischen Fördergeldern. Richtig schmerzen würden das wirtschaftlich angeschlagene Land, dessen Präsident gerade den Notenbankchef schasste (vgl. Erdoğan setzt Notenbankchef ab), aber wahrscheinlich erst Wirtschaftssanktionen, die als dritter Schritt im Gespräch sind (vgl. Griechischer Außenminister vergleicht Ostukraine mit Nordzypern).

Sie ließen sich eventuell mit Sanktionen der USA koordinieren, die der türkischen Staatsführung gerade wegen des Kaufs des russischen Luftabwehrsystems S-400 drohen (vgl. F-35 oder S-400: Ein amerikanisch-türkisch-russisches Rüstungsgerangel). In der Zyperngasfrage positionierte sich Washington gestern klar auf Seiten der Europäer und warnte Ankara öffentlich vor "provokativen Schritten", die "die Spannungen in der Region erhöhen".

Ankara: Brüssel ist kein "neutraler Vermittler"

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu verlautbarte nach Tusks Ankündigung, die Bohrungen würden fortgesetzt. Außerdem sprach er von einem "Fehler" der EU, die im Gasstreit kein "neutraler Vermittler" sein könne, weil er eines ihrer Mitgliedsländer betrifft. So könne sie nicht erkennen, dass Nikosia die nur von Ankara anerkannte Regierung Nordzyperns an den Einnahmen aus Öl- und Gasverträgen mit dem italienischen Energieunternahmen ENI, dem französischen Total-Konzern und der amerikanischen Firma ExxonMobil beteiligen müsse. Andernfalls würden "unveräußerliche Rechte der türkischen Zyprioten" verletzt.

Nordzypern ist von Zypern getrennt, seit dort am 20. Juli 1974 türkische Truppen einmarschierten. Anlass für den Marschbefehl aus Ankara war, dass sich in Zypern fünf Tage vorher eine Militärjunta an die Macht geputscht hatte. Deshalb, so die damalige türkische Regierung, müsse sie sicherstellen, dass die neue Staatsführung in Nikosia keinen Anschluss der Insel an Griechenland betreiben könne, der den Zyprern im Londoner Abkommen von 1958 verboten worden war. Außerdem erinnerte man an das Weihnachtsmassaker vom 21. Dezember 1963, bei dem eine hohe dreistellige Zahl türkischer Zyprer gewaltsam ums Leben kam.

Obwohl der türkische Bevölkerungsanteil in Zypern 1974 deutlich unter 20 Prozent lag und obwohl die Militärjunta bereits kurz nach Beginn der Invasion stürzte, besetzte das türkische Militär im Rahmen seiner "Operation Attila" bis zum 14. August 1974 37 Prozent der Insel - darunter auch die damals wirtschaftlich stärksten Gebiete, aus denen viele der griechischen Zyprer flüchteten. Anschließend lockte man zahlreiche Siedler vom türkischen Festland in den neu ausgerufenen "Türkischen Bundesstaat Zypern".

Türkische Staatsführung verweigert Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz an die Familien von Getöteten und Vertriebenen

2014 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass der türkische Staat der Regierung von Zypern insgesamt 90 Millionen Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen soll, weil beim Einmarsch und während der darauf folgenden Besatzung gegen mehrere in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Grundrechte verstoßen wurde.

30 der 90 Millionen sollen als Schmerzensgeld an die Familien von insgesamt 1456 griechischen Zyprioten gehen, die seit dem Einmarsch vermisst werden und wahrscheinlich von türkischen Soldaten oder von der nordzyprischen Guerillatruppe Türk Mukavemet Teşkilatı (TMT) getötet wurden. Pro Kopf sind das gut 20.000 Euro. 60 Millionen sind für die Opfer von Enteignungen und anderen nichttödlichen Benachteiligungen bestimmt. Erdoğans damaliger Außenminister verlautbarte nämlich nach der Entscheidung, die türkische Regierung werde die Entschädigung nicht zahlen, weil sie das EGMR-Urteil "nicht binde" (vgl. 90 Millionen Euro für Tötungen und Enteignungen von Griechen).

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