Nordsyrien und Irak: Feuer als Waffe

Feuer in den von Kurden verwalteten Gebieten in Nordsyrien. Bild: ANF

Mit den Brandstiftungen von Getreidefeldern wird der Bevölkerung die Lebensgrundlage genommen

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Nach den starken Regenfällen im Winter und Frühjahr, die zwar teilweise mit verheerenden Überschwemmungen einhergingen, wurde diesen Sommer in Nord- und Ostsyrien eine Rekordernte erwartet. Jetzt befürchtet die Bevölkerung stattdessen eine Hungerernte.

IS-Schläferzellen und das türkische Militär setzen die Felder entlang der türkischen Mauer in Brand. Es fehlt an ausreichenden Löschfahrzeugen. Die Selbstverwaltung der demokratischen Föderation Nord- und Ostsyriens bittet bislang vergeblich um internationale Hilfe.

Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) berichtete schon Mitte Juni, dass plötzlich Tausende Hektar Getreidefläche in den von der demokratischen Föderation kontrollierten Gebieten in Flammen aufgingen. Ein Vertreter der Selbstverwaltung hatte bei seiner Bitte um Hilfe, gerichtet an die westlichen Verbündeten der Anti-IS-Koalition, keinen Erfolg. Die Lage wird als dramatisch geschildert.

Es bedarf spezieller Löschfahrzeuge, um die Brände zu löschen, die auch Teile der Erdölinfrastruktur gefährden. Hinter den Brandanschlägen wird überwiegend die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vermutet. Mitte Mai erschien in der IS-Propagandaschrift al-Naba folgender Aufruf, der als Aufruf zum Niederbrennen der Felder interpretiert werden kann: "Die Erntezeit ist noch lange. Wir sagen den Soldaten des Kalifats: Ihr habt vor euch riesige Ackerflächen mit Weizen und Gerste, die Ketzern gehören. Rollt die Ärmel hoch, und beginnt die Ernte. Möge Allah segnen, was ihr erntet."

In Nordsyrien brennen auch die Felder der arabischen Bauern

Während im Irak nach Informationen des amerikanischen Senders Voice of America ausschließlich kurdische Bauern von den Bränden betroffen sind, trifft es in Nordsyrien auch die arabischen Bauern und Stämme, die sich mit den Kurden in den Syrischen Demokratischen Kräften (engl. Syrian Democratic Forces, SDF) verbündet haben, berichtet die NZZ.

Denn es ist mitnichten so, wie es von einigen Medien und Telepolis-Foristen immer wieder behauptet wird, dass die kurdische Bevölkerung die arabische Bevölkerung vertreiben und sich ihrer Ländereien bemächtigen wolle. Vielmehr wurde von der Baath-Partei in den 1960er Jahren die seit Jahrhunderten dort ansässige kurdische, überwiegend bäuerliche Bevölkerung enteignet und arabische Stämme im Norden zwangsangesiedelt, um eine demographische Veränderung herbeizuführen.

Bekannt ist diese Zwangsumsiedlung unter dem Namen "arabischer Gürtel". Dadurch gab es immer wieder Konflikte zwischen den enteigneten Kurden und den begünstigten Arabern. Teilweise gibt es noch immer Spannungen zwischen den älteren kurdischen und arabischen Bewohnern wegen der Eigentumsfrage, aber allmählich setzt sich der Gedanke, "im gleichen Boot zu sitzen" durch.

Immer häufiger bewirtschaften heute kurdische und arabische Bauern die Felder gemeinsam, teilen sich Erntemaschinen und versorgen mit ihren Erträgen die Bevölkerung wie auch die vielen Binnenflüchtlinge in der Region. Im Militär sind bei den Syrian Democratic Forces (SDF) neben kurdischen und christlichen Einheiten auch arabische Einheiten. Vom IS befreite arabische Dörfer haben eigene, arabische Zivilräte gegründet und sich der Selbstverwaltung angeschlossen.

Brandsätze über die türkische Mauer

Entlang der türkischen Mauer sollen Brandbomben vom türkischen Militär zum Einsatz gekommen sein. Nach Angaben des kurdischen Radiosenders ARTA-FM nimmt das türkische Militär immer wieder Bauern an der Grenze beim Mähen der Getreideernte unter Beschuss.

In der Region Serêkaniyê wurden türkische Soldaten dabei beobachtet, wie sie in der Grenzregion Felder in Brand steckten. Im Dorf Alya griff das Feuer auf Häuser über, zwei Frauen und ein vierjähriger Junge kamen dabei ums Leben.

Auch um Kobanê herum brennen die Felder. Es ist die Rede von mehreren hundert Hektar Feldern, Gärten und Bäumen, die durch die türkische Armee in Brand gesetzt wurden. Augenzeugen aus dem grenznahen Dorf Selîm berichteten, das die Feuerwehr und die Bevölkerung durch Schüsse der türkischen Armee am Löschen gehindert wird.

Rund um die Kantonshauptstadt Qamishlo brennen entlang der Grenzmauer zur Türkei große Flächen.

Im von der Türkei annektierten Kanton Afrin verbrannten innerhalb weniger Tage mehr als 3000 Hektar Ackerland, tausende von Obstbäumen wurden zerstört. Anders sieht es in den Dörfern aus, wo türkische Soldaten in den Häusern der vertriebenen Zivilbevölkerung untergebracht sind.

Dort ist es den Vertriebenen verboten auf ihren Feldern zu arbeiten, es sei denn sie bezahlen täglich 5.000 syrische Lira an einen FSA-Milizionär, der sie begleitet. In Afrin arbeiten Islamisten eng mit dem türkischen Militär zusammen. Täglich gibt es Berichte aus Afrin über Plünderungen, Enteignungen, willkürliche Festnahmen und Folter durch die türkische Armee und ihre Verbündeten.

Aber die Brandstiftung der türkischen Armee geschieht auch grenzübergreifend. In der türkischen Stadt Nusaybin setzte sie Anfang Juni die Felder entlang der Mauer zu Nordsyrien und gleichzeitig jenseits der Mauer im nordsyrischen Gebiet bei der Zwillingsstadt Qamishlo in Brand.