Wie Medien Falsches berichten, weil es ins Narrativ passt

Die gefundene Rakete. Bild: poliziadistato.it

Gestern nahm die italienische Polizei drei Rechtsextreme fest, die eine Rakete und ein Waffenlager in Besitz hatten. Sie hatten in der Ukraine gegen die Separatisten gekämpft. Viele Medien machten daraus "pro-russische" Kämpfer

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Kurz vor dem Jahrestag des Abschusses der malaysischen Passagiermaschine MH17 zirkuliert eine Meldung durch die Medien, die deutlich macht, wie der Blick der Medien und Journalisten im westlichen antirussischen Narrativ gefangen ist. Sie lässt auch erkennen, wie konform Medien berichten, die Meldungen von Nachrichtenagenturen verbreiten.

Gestern wurde bekannt, dass die italienische Polizei unter der Leitung der Staatsanwaltschaft von Turin in einer Operation gegen Rechtsextreme Razzien in Mailand, Varese, Pavia, Novara und Forlì ausgeführt hat. Es wurden drei Männer festgenommen, ein Schweizer und zwei Italiener. Der frühere Zollinspektor Fabio Del Bergiolo war Mitglied der rechtsextremen Forza Nova. Gefunden wurde bei den drei Männern ein großes Waffenlager und eine funktionsfähige Luft-Luft-Rakete des Typs Matra, die in Katar gekauft wurde und vermutlich weiterverkauft werden sollte.

Bild: poliziadistato.it

Die Antiterror-Abteilung DIGOS in Turin hat seit einem Jahr die Rechtsextremen überwacht und abgehört, nachdem diese an Kämpfen in der Ukraine gegen die Separatisten teilgenommen haben. Dort kämpfen bekanntlich in rechtsnationalistischen und faschistischen Milizen - am bekanntesten ist das Azow-Bataillon - auf der Seite der ukrainischen Armee. Das Azow-Bataillon zog kampfwillige Rechtsextreme aus vielen anderen Ländern an, darunter auch aus Deutschland oder aus Russland.

Hier konnten die Rechtsextremen an Waffen gelangen sowie den Umgang mit Waffen aller Art im Kampfeinsatz trainieren. So wurde die Ukraine auch zum Trainingslager für gewaltbereite Rechtsextremisten, die wie im Fall der Festgenommenen auch im Waffenhandel tätig sind. Neben der Rakete fanden die Polizisten 9 Sturmgewehre, eine Maschinenpistole, 7 Pistolen, 3 Schrotflinten, 20 Bajonette, fast tausend Patronen und viele Waffenteile. Beschlagnahmt wurden auch zahlreiche Nazi-Symbole.

Zurechtgebogene Weltsicht

Interessant ist bei der Meldung, darauf machte mich ein Leser aufmerksam, dass in vielen Medien die Rede davon war, dass die Rechtsextremen auf der Seite der Separatisten gekämpft hatten. So lautet die Unterzeile des Berichts im Tagesspiegel: "Die Razzien richteten sich gegen mutmaßliche pro-russische Ukraine-Kämpfer." Bei n-tv gibt es eine kleine Abwandlung: "Die Verdächtigen sollen pro-russische Ukraine-Kämpfer gewesen sein." In der Mitteilung der Polizei steht allerdings ausdrücklich, sie hätten gegen die Separatisten gekämpft (contro gli indipendentisti). La Stampa machte es immerhin diplomatisch und spricht davon, dass die Rechtsextremen am bewaffneten Konflikt im Donbass teilgenommen haben.

In der Berner Zeitung liest man: "Dies im Rahmen einer Untersuchung gegen Italiener, die an dem von Russland unterstützten Aufstand im Osten der Ukraine teilgenommen haben." Die Nachrichtenagentur AFP schreibt, wie die Welt, die NOZ, der Focus oder die SVZ sie übernimmt: "Der Einsatz richtete sich demnach gegen rechtsextreme Italiener, die verdächtigt werden, in der Ostukraine auf Seite pro-russischer Rebellen gekämpft zu haben."

Bericht im Tagesspiegel

Der Spiegel bringt noch eine innovative Variante herein, von der unklar ist, wie er an sie gekommen sein mag: "Bei einer Razzia im rechtsextremen Milieu hat die italienische Polizei zahlreiche Kriegswaffen beschlagnahmt - darunter eine dreieinhalb Meter lange Rakete. Sie sei ukrainischen Separatisten zum Verkauf angeboten worden."

Das Neue Deutschland verbreitet eine dpa-Meldung: "Der Einsatz richtete sich demnach gegen extrem rechte Italiener, die verdächtigt werden, in der Ostukraine auf der Seite pro-russischer Rebellen gekämpft zu haben." Die NZZ hat mehrere Agenturmeldungen geplündert (sda/ap/apa/ansa/afp) und kommt auch zu keinem anderen Ergebnis: "Die Fahndungsergebnisse resultierten aus früheren Ermittlungen gegen rechtsextreme Italiener, die verdächtigt werden, in der Ostukraine auf Seite pro-russischer Rebellen gekämpft zu haben."

Dass ukrainische Medien das aufnehmen, verwundert nicht: "Italienische Polizei hat drei Personen verhaftet, die als Söldner gegen die Ukraine im Donbass kämpften." Hier bezieht man sich auf eine BBC-Meldung, in der es heißt: "A police statement said the arrests were part of an investigation, started about a year ago, into far-right groups "who have fought in Ukraine's Donbass region against the separatists." Das ist besonders peinlich, weil hier die Pressemitteilung der Polizei verlinkt wird, in der dies eben nicht steht, was man aber bei Ukrinform nicht lesen wollte (der letzte Satzteil wurde zum besseren Verständnis hinzugefügt, F.R.).

Vermutlich haben die Agenturen und Medien nicht absichtlich Fake-News verbreitet. Auffällig aber ist, dass aus den Kämpfern gegen die Separatisten, wie es der Polizeibericht beschreibt, pro-russische Kämpfer werden. Das Böse muss pro-russisch sein, die Ukraine ist pro-europäisch, pro-amerikanisch, pro-Nato. Und vielleicht auch weil Russland mit europäischen Rechtsextremen und Rechtspopulisten in Zusammenhang steht, denkt man bei bewaffneten Rechtsextremen nicht an die Ukraine, sondern assoziiert Russland, während man die seit dem Maidan offen auftretenden rechtsextremistischen Militanten gerne übersieht (zuletzt: Kiewer Fernsehsender 112 mit Granaten beschossen, Ukraine: Rechte wollen Diskussion über territorialen Status der Krim unter Strafe stellen). Medien sind trotzdem nicht gelenkt, sie lenken sich selbst durch mangelnde Hinterfragung der Narrative, an denen sie weiterstricken.

Interessant wird sein, ob der Fehler korrigiert und dies kenntlich gemacht wird ...

Ursprüngliche Fassung

Update 13:05: Die Polizei hat ihre Pressemitteilung nun angepasst, worauf ein Leser aufmerksam machte. Das ging schnell. Gestrichen wurde, dass sie gegen Separatisten gekämpft haben. Jetzt haben sie nur am bewaffneten Konflikt in der Ukraine teilgenommen. Es kommt also noch die Frage dazu, ob die Polizei erst falsch berichtet oder ob es Druck gegeben hat. Haben die Agenturen und Medien besser Bescheid gewusst und lag ich daneben, als ich mich auf die polizeiliche Pressemitteilung verließ? Dass einfach eine Veränderung vorgenommen wurde und nur gesagt wird: "modificato il 16/07/2019", ohne anzugeben, was verändert wurde, ist auch seltsam.

Der Tagesspiegel hat seine Meldung mittlerweile auch korrigiert und dies auch angemerkt, aber im Eifer des Gefechts blieb dann Widersprüchliches stehen. So heißt es in der Dachzeile: "Die Razzien richteten sich gegen mutmaßliche ukrainische Unabhängigkeitskämpfer." Das wären dann wohl weiter die zuerst hier genannten "mutmaßlichen pro-russischen Ukraine-Kämpfer". Im Text ist dann zu lesen: "Der Einsatz richtete sich demnach gegen rechtsextreme Italiener, die verdächtigt werden, in der Ostukraine gegen pro-russische Rebellen gekämpft zu haben."

Aktuelle Fassung

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