Iran und Saudi-Arabien

Menschenrechte und regionales Verhalten. Grundlagen und Kommentar

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Dieser Beitrag beleuchtet die massiven Menschenrechtsverletzungen im sunnitischen Königreich Saudi-Arabien und im schiitischen Reich der Ayatollahs im Iran. Ferner wird zum Schluss das außenpolitische Verhalten der beiden Schlüsselakteure der Region daraufhin überprüft, inwieweit sie für die Destabilisierung des Nahen Ostens verantwortlich sind. Dieser Artikel beruht auf handfesten Fakten und Daten.

Menschenrechte, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen i. V. m. rechtlich verbindlichen Konventionen festgelegt sind (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948), sollen das Individuum gleichermaßen vor unmenschlichen Eingriffen in dessen Leben schützen. In diesem Beitrag wird von einer Diskussion über den ihnen zugrunde liegenden Universalitätsanspruch abgesehen.

Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien

Theorie

Saudi-Arabien ist einer von 189 Staaten der 193 UN-Mitgliedsstaaten, welche die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" unterzeichnet haben. Das Königreich machte wie einige andere muslimische Staaten deren Vereinbarkeit mit den islamischen Normen zur Voraussetzung ihrer Implementierung. Die Saudis haben auch "Das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" mit wenigen Einschränkungen angenommen.

Auch in das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung wurde unter dem Vorbehalt der Kompatibilität mit der Scharia eingewilligt. Die absolute Monarchie Saudi-Arabien stützt sich ideologisch auf eine der rückständigsten sunnitischen Strömungen, den Wahhabismus. Er legitimiert die politische Macht der Herrscherdynastie al-Saud, die seit 1922 (Unabhängigkeit 1932) herrscht.

Die seit 1992 existierende "Verfassung" beruht auf den Hauptquellen der Scharia, Koran und Sunna. Somit und vor dem Hintergrund des Wahhabismus als Staatsreligion liegt es auf der Hand, dass die Akzeptanz der Menschenrechtskonventionen Makulatur ist, denn laut Art. 26 des saudischen Grundgesetzes dürfen Menschenrechte nur in Übereinstimmung mit der Scharia geschützt werden. Die zweiteilige Doktrin der "siyasa-sharia" wird aus Art. 7 abgeleitet.

Sie besteht einerseits aus der Scharia und andererseits aus der politischen Ermächtigung (siyasa). Die zwei überkreuzten Schwerter, die das saudische Staatsemblem bilden, sollen dieses Prinzip symbolisieren. Die Legitimierung der siyasa erfolgt vor allem durch die Rechtsgutachten (Fetwa, häufig auch Fatwa) der Rechtsgelehrten (Ulama). Die Ulama spielen eine wichtige Rolle wie z.B. bei der Besetzung der großen Moschee in Mekka in 1979. Sie stellten eine Fetwa aus, wonach Waffengewalt gegen Besatzer erlaubt wurde.

In der kurzen saudischen Verfassung (9 Kapitel, 83 Art.) taucht das Wort "Frau" nicht auf, lediglich von "Familie" ist die Rede. Die Verfassung beinhaltet keine Erneuerung, sondern gibt lediglich die Realität in Gestalt von Gesetzen wieder und der König kann behaupten, dass Saudi-Arabien eine Verfassung besitzt. Insbesondere Art. 1 und Art. 20 erlauben die Anwendung der Scharia auf die Menschenrechte. In Saudi-Arabien existiert kein Parlament und dementsprechend auch keine nationalen Wahlen.

Praxis

Die Rechte von Frauen, Kindern und Migranten sind stark eingeschränkt. Frauen stehen in Saudi-Arabien unter einem Vormund und dürfen ohne dessen Erlaubnis nicht reisen, einen Pass besitzen, heiraten oder sich gewissen medizinischen Behandlungen unterziehen. Der Ehemann kann sie verstoßen und behält das Recht auf die Erziehung der Kinder. Nur mit seiner Erlaubnis kann die Mutter das Kind sehen.

Es herrschen strenge Kleidungsvorschriften und auch Touristen müssen sich in abgeschwächter Form daran halten. Aufgrund der strikten Geschlechtertrennung dürfen Frauen nicht mit Männern, die nicht zu ihrer Familie gehören, einkaufen und ins Restaurant gehen. Berufsausübung bzw. -wahl bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung eines "Beschützers". Was das Familienrecht betrifft, darf der Mann legal vier Frauen heiraten, die er ohne eine rechtliche Rechtfertigung verstoßen kann.

Folter und Misshandlungen sowie erzwungene Geständnisse sind an der Tagesordnung. Auf Alkoholkonsum stehen Peitschenhiebe als Strafe, auf Ehebruch Steinigung, auf Diebstahl Amputation der Hand, auf Raub Amputation von Hand und Fuß, auf Sex vor der Ehe Peitschenhiebe, auf Homosexualität, Blasphemie und Apostasie die Todesstrafe. In Saudi-Arabien sind aber die Social Media nicht verboten, so dass dort rege königshauskritische Dialoge ausgetauscht werden, bei denen man sich aber nicht erwischen lassen darf.

Im April 2019 wurde der 16jährige Abdulkarim al-Hawaj Saudi wegen eines Demonstrationsaufrufes per WhatsApp öffentlich geköpft. Die beiden folgenden Links befassen sich mit öffentlichen Hinrichtungen in Saudi-Arabien in den Jahren 2017 und 2019 (die folgenden Links enthalten anstößige Bilder und Szenen: hier und hier) Saudi-Arabien soll von Anfang 2019 bis Ende April 2019 etwa 104 Menschen hingerichtet haben, während im gesamten Jahr 2018 149 Personen exekutiert wurden.

Seit dem Erscheinen des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman auf der politischen Bühne sind zwar keine tiefgreifenden, aber dennoch historisch wichtige Reformschritte unternommen worden. In Begleitung ihrer Familien dürfen Frauen Fußballspiele und andere Sportveranstaltungen besuchen, was Iranerinnen bis heute verwehrt bleibt. Iranerinnen dürfen zwar Auto fahren, aber Fahrrad-Fahren ist durch eine Fatwa des Revolutionsführers (und nicht gesetzlich) untersagt. Das gilt auch für Motorrad-Fahren in der Stadt.

In diesem aktuellen Link vom vergangenen Mai weist der Polizist die Motorradfahrerin, den iranischen Champion im Motocross-Rennen, Behnaz Shafiei, darauf hin, dass Frauen auf iranischen Straßen kein Motorrad fahren dürfen. Auch wird Frauen kein Motorradführerschein ausgestellt.

Saudische Frauen werden nun per SMS informiert, wenn sich der Ehemann von ihnen scheiden lässt. Das soll heimliche Scheidungen verhindern (siehe auch hier). Auch die Kleiderordnung ist wesentlich lockerer geworden. Die saudischen Reformen sind Teil des ambitionierten Programms Vision 2030, das eine umfassende Neuordnung des Landes gewährleisten, die Abhängigkeit vom Öl verringern und die Halbinsel zu einer modernen Volkswirtschaft machen soll.

Menschenrechtsverletzungen in der Islamischen Republik Iran

Theorie

Irans Verfassung ist wesentlich umfangreicher und enthält fast alle Freiheiten einer modernen Verfassung. Der Zusatz "Vereinbarkeit mit der Scharia" am Ende eines jeden Artikels macht diese Freiheiten jedoch zunichte, so dass sich die iranische Verfassung diesbezüglich nicht sonderlich von der saudischen unterscheidet.

Insbesondere zwei Gesetze im Iran verwandeln den Iran in einen Staat mit einer barbarischen Rechtsordnung: das islamische Strafgesetz und das Zivilrecht, bzw. das Gesetz zum Schutz der Familie. Das Erb- und Scheidungsrecht ist deutlich zum Nachteil der Frau. Das Heiratsalter liegt für Mädchen bei 13 und für Buben bei 15 Jahren, aber mit Zustimmung des Vaters und richterlicher Genehmigung ist eine Heirat unter dieser Altersgrenze durchaus möglich und eine nicht seltene Praxis im Iran.

Praxis

Allein zwischen März und Dezember 2013 sind etwa 31.000 Mädchen unter fünfzehn Jahren verheiratet worden. Das sind mehr als vier Mal so viele wie 2011, als 7.440 solcher Kinderehen gezählt wurden. Männer dürfen - wie im Koran festgelegt (Sure 4, Vers 3) - vier Frauen haben und dazu noch eine unbegrenzte Zahl an Zeitehen (Mutʿa-Ehe, Sigheh) eingehen. Unzählige legale und illegale "Firmen" leben von der Vermittlung von Zeitehen. In dem Dokumentarfilm "Iran - Im Bazar der Geschlechter" aus dem Jahr 2010 stellt die österreichische Filmemacherin mit iranischen Eltern, Sudabeh Mortezai, diese Heiratsart sehr präzise dar.

In der Türkei und Tunesien ist Polygamie per Gesetz untersagt und in vielen anderen islamischen Staaten nur sehr eingeschränkt erlaubt. Allerdings beschränkt sich die Polygamie nicht auf den Islam, da sie auch in anderen Religionen wie dem Buddhismus und Hinduismus praktiziert wird. Sigheh ist eine zeitlich begrenzte Form der Ehe, die zwischen 30 Minuten und 99 Jahren dauern kann, und in der die vereinbarte Zeit neben dem vereinbarten Geld für die Frau die Hauptbedingung darstellt.

In der Regel kommt sie eher einer "Genussehe" gleich, welche immens frauenfeindlich ist und insbesondere Frauen in finanzieller Not trifft. Sie ist im sunnitischen Islam, somit auch in Saudi-Arabien -, strikt verboten. Eine muslimische Frau darf laut iranischem Zivilrecht keinen Nicht-Muslim heiraten, umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Die geschiedene Mutter behält das Kind bis zum 7. Lebensjahr bei sich. Danach hat der Vater das Betreuungsrecht.

Das seit 2013 gültige neue iranische Strafgesetzbuch enthält menschenverachtende Gesetze. Diese Gesetze, insbesondere jedoch die Praxis der Vollstreckung, übersteigt das menschliche Vorstellungsvermögen. Im unten aufgeführten ersten Link zeigt das renommierte Blatt The Guardian ein von Amnesty International veröffentlichtes Video über die öffentliche Hinrichtung von drei Tätern in der iranischen Stadt Kermanschah im Jahr 2011. Die drei werden jeweils auf drei Omnibussen unter eine Brücke gestellt, wobei das Ende des Stricks an der Brücke befestigt ist.

Die Omnibusse fahren auf einmal sehr langsam los. Füße und Beine der Täter schleifen auf dem Dach der Busse entlang, bis es unter ihren Füßen leer wird und sie in der Luft baumeln (die beiden folgenden Links enthalten anstößige Bilder und Szenen: hier und hier). Das ist die Spitze des Eisberges.

Neben drakonischen Strafvollstreckungen, die nicht jeden Tag geschehen, existieren tägliche Schikanen der Sittenwächter und der Polizei, welche besonders "schlecht verschleierte" Frauen treffen und zu unmenschlichen Szenen führen (eine Frau wird auf dem Boden geschleift und in einem anderen Video wird eine sehr junge Frau brutal in den Streifenwagen gezerrt, weil sie im naheliegenden Park mit Wasserpistolen gespielt hatte).

Rohanis Innenministerium begrüßte im April die neue Maßnahme der Polizei, Iranerinnen per SMS für "Fehl-Verhalten in der Öffentlichkeit" (schlechte Verschleierung am Steuer) zu ermahnen. Nach drei Ermahnungen wird die Frau aufs Revier bestellt und beim wiederholten Mal wird das Auto beschlagnahmt. Viele Frauen in Teheran haben solche SMSen erhalten.

Populisten, Ignoranten und Lagerkämpfer, die sich hinter ein derart menschenverachtendes Regime stellen, bzw. eine Lanze dafür brechen, sollten ihre Kenntnisse erweitern, zumal fast all diese drakonischen und menschenunwürdigen Strafen vor dem Auftreten der Mullahs auf der machtpolitischen Bühne des Iran im Jahr 1979 nicht existierten. Dies ist der entscheidende Unterschied zu Saudi-Arabien, in dem die drakonischen Gesetze, aber auch ein extrem frauenfeindliches "Zivilrecht" von Anbeginn an existierten.

Diskriminierung

Die Grundlagen des islamischen Strafgesetzbuches sind "Diskriminierung", "Gewalt aufgrund der Diskriminierung" und eine Kampfansage gegen die Gleichheit der Menschen im Hinblick auf Geschlecht, Glauben, Religion, Gewissen und dem Grad an Loyalität oder der Kritik der Opposition an der offiziellen Politik. Im Allgemeinen verletzt dieses Gesetz die Menschenwürde massiv und verbreitet Gewalt in allen Teilen der Gesellschaft. Gewalt, Verbrechen und Delikte wurden jedoch nicht nur nicht kontrolliert und eingedämmt, sondern vielmehr noch verstärkt.

Irans Strafgesetzbuch richtet sich nach dem Koran und der Sunna - wie dem Hadith des Propheten. Die Hauptstrafen, die sogenannten hadd-Strafen oder hudud-Strafen (Plural) beinhalten Kreuzigung, Steinigung und anderen Formen der Todesstrafe (in der iranischen Praxis Herunterwerfen von einer Höhe und öffentliches Hängen am Kran als beliebteste Methode), Amputation der Hände und Füße, Auspeitschung oder Verbannung. Sie sind in Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) für unerlaubten Geschlechtsverkehr, Beschuldigung des unerlaubten Geschlechtsverkehrs, Alkoholgenuss, Diebstahl, Kampf gegen Gott und Verderben-Stiften auf Erden vorgesehen, nach einem Teil der Lehre auch für Rebellion und Apostasie.

Talionsstrafen (qisas) sind die Strafen für vorsätzliche Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, wobei in der Praxis jeder Tötungsdelikt, auch aus dem Affekt, qisas nach sich ziehen wird. Blutgeld (diya) ist zu zahlen bei unvorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten sowie bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten, wenn aus bestimmten Gründen eine Talionsstrafe nicht verhängt oder vollstreckt werden kann. Alle anderen Verhaltensweisen, die in Bezug auf Zeit und Ort der Begehung als strafwürdig angesehen werden, werden mit Züchtigungsstrafen, den sogenannten taÝzir-Strafen (Pl. taÝzirat) geahndet.

Mit diesem Gesetz sollen sexuelle Beziehungen, die Prävalenz von Prostitution und Drogenabhängigkeit, normabweichendes sexuelles Verhalten, Diebstahl, Betrug und Mord unterbunden bzw. verringert werden, aber alle offizielle Statistiken belegen das klägliche Scheitern dieses Vorhabens.

Dieses Gesetz beschmutzt Irans Gesicht in der internationalen Gemeinschaft meiner Aufassung nach extrem, sodass der Iran heute nur noch mit Saudi-Arabien vergleichbar ist, das auch nur im Hinblick auf die gesellschaftliche Lage der Frauen besser abschneidet.

Dieser Vergleich verbat sich vor vierzig Jahren angesichts der viel besseren sozialen und kulturellen Lage des Iran. Die "Mullahs" haben die frauenfeindliche Kultur der Zeitehe in der Gesellschaft institutionalisiert, sodass die Schamlosigkeit und Anstößigkeit, die vor der Revolution allgegenwärtig war, verblichen ist.