Statt "Sex & Drugs & Rock’n’Roll" nun "Private Equity & Hedgefonds & Brands’n’Sponsoring"

Berthold Seliger über das Konzertbusiness im Neo-Liberalismus

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Der Konzertveranstalter Berthold Seliger hat sich in seinem Buch "Vom Imperiengeschäft" mit den neuesten Entwicklungen im Musikgeschäft auseinandergesetzt.

Herr Seliger, Sie sind nun seit mehr als drei Jahrzehnten als Konzertveranstalter im Musikgeschäft tätig. Was hat sich im Lauf der Zeit signifikant verändert?

Berthold Seliger: Wir erleben eine drastische Veränderung des Konzertgeschäfts, die in gewisser Weise analog zur Marktkonzentration auf nur wenige Großkonzerne in der Tonträgerindustrie verläuft. Auch im Konzertgeschäft dominieren mittlerweile weltweit nur noch drei Großkonzerne praktisch den gesamten Markt: Das sind Live Nation, der Weltmarktführer, CTS Eventim, der deutsche Monopolist, und AEG, die Anschütz Entertainment Group.

Aus einem weitgehend regionalen Konzertmarkt mit örtlichen und nationalen Konzert- und Tourneeveranstaltern, die größtenteils Musikbegeisterte waren, ist eine "Live-Industrie" geworden, in der es kaum mehr um Musik, sondern nur noch um größtmögliche Profite geht. Live Nation und CTS Eventim sind Aktiengesellschaften, und die Aktionäre haben kein Interesse an Kultur, sondern am Erfolg ihrer Aktien. Es ist ein typisches Shareholder-Business geworden, und entsprechend sind diese Großkonzerne nur noch an den Superstars interessiert.

Das Konzertgeschäft als solches ist ja ein Superstar-Markt: Ein Prozent aller Musiker und Bands erzielen sechzig Prozent aller weltweiten Konzerteinnahmen, und die oberen fünf Prozent der Performer generieren sage und schreibe 85 Prozent aller Konzerteinnahmen. Und natürlich sind die Ticketpreise für Konzerte dieser fünf Prozent die höchsten, und sie wachsen zudem deutlich schneller als bei allen anderen Musikern. Und die Konzertkonzerne konzentrieren sich hauptsächlich auf dieses Superstar-Geschäft, denn ihre Investoren und Shareholder erwarten sich davon Super-Renditen und Super-Profite.

"Wir benötigen dringend gesetzlich festgelegte Mindestgagen"

Alles super also?

Berthold Seliger: Für die Konzerne schon, und für die Superstars wohl auch. Nicht aber für die 95 Prozent aller Musiker weltweit, die die übrigbleibenden 15 Prozent aller Einnahmen unter sich aufteilen müssen. Der CEO von Live Nation verdient 70 Millionen Dollar im Jahr, während die deutschen Musiker laut Künstlersozialkasse im Durchschnitt gerade einmal 14.199 Euro im Jahr verdienen, und die unter dreißigjährigen Frauen kommen gerade einmal auf 10.883 Euro - eine Existenz auf Hartz-IV-Niveau also.

Da läuft also etwas grundfalsch im Konzertgeschäft, die soziale Ungleichheit zwischen denen, die die Musik machen, und den Mittelsmännern, den "Mitessern", wird zementiert und immer größer. Deswegen benötigen wir unter anderem so dringend gesetzlich festgelegte Mindestgagen.

Und: wer kümmert sich um all die kleineren und die neuen Bands? Die Großkonzerne ganz sicher nicht, denn mit Bands, die vor wenigen Fans in den Clubs spielen, ist kein Geld zu machen. Aber genau dort, in den Clubs, entsteht die Popkultur.

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