Von einem, der sich wehrte

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Ein Erfahrungsbericht über illegale Praktiken bei der Forschungsmittelvergabe

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Szene 1: Ein Sitzungssaal des Staatsrats (Raad van State) in Den Haag, schräg gegenüber dem Regierungssitz der Niederlande. Gerade wurden wir, das sind mein Anwalt und ich, hereingerufen. Der repräsentativ eingerichtete Wartesaal mit seinen Säulen, auf denen Zitate des (niederländischen) Grundgesetzes, der EU-Menschenrechtskonvention oder anderer Verträge angebracht sind, beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue.

Die Vertreter der Gegenseite, der Niederländischen Forschungsorganisation (NWO), erschienen zu dritt: eine externe Anwältin und wahrscheinlich zwei Hausjuristinnen, die ich noch nie vorher gesehen habe. Die beiden kommen unangekündigt. Schlechter Stil. Ihre ausländischen Namen sind zudem so kompliziert, dass sie buchstabiert werden müssen. Das ist wichtig fürs Protokoll. Wir verlieren aber wertvolle Minuten.

Uns gegenüber sitzen drei Staatsräte. Sie erfüllen die Funktion der obersten Verwaltungsrichter der Niederlande, sind formal aber keine Richter. Das hängt damit zusammen, dass in den 1980er Jahren ein einfacher Besitzer einer Tankstelle im friesischen Noordwolde der niederländischen Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein neues Verwaltungsrecht abzwang.

Gewaltenteilung

Das alte System hatte der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 6, Absatz 1) nicht genügt, da es dem König unterstand und damit nicht unabhängig von der Exekutiven war. Die erhofften mehreren Millionen Gulden Schadensersatz erhielt der Tankstellenbesitzer allerdings nicht. Er bekam nur auf dem Papier Recht. Mehr nicht.

Wer auf einem der Stühle der Staatsräte sitzt, der hat es geschafft, jedenfalls karrieremäßig. Da es keine Richter sind, sitzen die drei dort nicht in Roben, sondern im bürgerlichen Anzug beziehungsweise Kleid. Die Vorsitzende trägt ein hellblaues Kleid und eine Kette mit großen Perlen, die sich in zwei Reihen um ihren Hals schmiegen. Den kürzlich erst ernannten Kollegen zu ihrer Linken, der Wortführer in meiner Sache, erinnert sie an die Funktion der Sitzung: Fragen beantworten. Damit unterbricht sie seinen Eingangsmonolog, mit dem er vielleicht sein Wissen unter Beweis stellen wollte.

Fast vier Jahre vorher saß ich schon einmal in so einem Sitzungssaal. Damals bestätigten die Staatsräte ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Utrecht, das mir in erster Instanz €250.000 an Forschungsmitteln zuzüglich Gerichts-, Anwalts-, Reisekosten und eines Zwangsgelds zugesprochen hatte. Ein schöner Tag, der 4. November 2015. Dass es überhaupt so weit kommen musste, war jedoch weniger schön.

Die Latte hängt diesmal noch höher: Wegen der großen zeitlichen Verzögerung und gestiegener Kosten sind die €250.000 nicht mehr ausreichend. Die fehlenden rund €50.000 hätte ich auch gerne noch von der NWO als Schadensersatz. Die fühlt sich aber nicht verantwortlich und meint, wenn überhaupt, dann müsse meine Universität dafür aufkommen.

An der Strategie der Gegenpartei, Unwahrheiten so lange zu wiederholen, bis sie vielleicht glaubwürdig erscheinen, hat sich leider nichts geändert. Ich finde das zermürbend. Die Fakten sollten auf Grundlage der Schriftstücke doch feststehen. Dennoch dreht sich ein Großteil der für maximal eine Stunde anberaumten Sitzung wieder um solche strategischen Falschheiten. Die NWO hat nach meinem Eindruck inhaltlich wenig zu bieten. Ihre Anwältin ist aber rhetorisch brillant und uns überlegen. Das Verwaltungsorgan bekommt jährlich rund €800 Millionen aus der Steuerkasse und kann sie sich leisten.

In so einer Sitzung hat meistens die Partei das größte Problem, die von den Richtern beziehungsweise Staatsräten die meisten Fragen gestellt bekommt. Diesmal ist es ausgewogen. Das Ergebnis liegt nun in den Händen der Staatsräte. Ich habe getan, was ich konnte, und gehe mit einem 50-50-Gefühl nachhause. Das Urteil folgt üblicherweise nach sechs bis zwölf Wochen.

Ungehört

Szene 2: Ich stehe in meiner Küche und mache den Abwasch. Es wurmt mich mehr, als mir lieb ist, dass keine der vier regionalen wie überregionalen Zeitungsredaktionen und auch nicht die Gewerkschaft auf meinen (niederländischen) Erfahrungsbericht reagiert hat. Kein einziges Wort. Nichts.

Immerhin geht es nicht nur um mein Forschungsprojekt, sondern haben meine Untersuchungen ergeben, dass die NWO allein in der kleinen Wettbewerbsrunde, an der ich teilgenommen hatte, Mittel in Höhe von rund €3 Millionen bewilligt und in Höhe von bis zu €12 Millionen verweigert hatte, ohne dass diese Entscheidungen inhaltlich nachvollziehbar sind: Die entsprechende Kommission von Wissenschaftlern hat nachweisbar die Richtlinien falsch angewendet und die Sachbearbeiter der NWO haben mehrfach schlampig gearbeitet.

Ich hatte nie erwartet, für meine Mühen als Held gefeiert zu werden. Mir kam der siebenjährige Kampf für eine korrekte Behandlung durch die NWO vielmehr als Trauerspiel vor. Aber dass sich nun niemand für den Ausgang zu interessieren scheint, berührt mich doch.

Ich setze mich an den Computer, ohne zu erwarten, dass gleich noch ein interessanter Schlussakt hinzukommen wird. Über einen Bekannten hatte ich nämlich noch einmal bei der Gewerkschaft angeklopft. Er und eine Kollegin fanden meinen Bericht schockierend. Die Kollegin meinte, da müsse wenigstens ein Interview für die Gewerkschaftszeitung drin sein. Prima.

Ich öffne nun die E-Mail der Redakteurin von der Gewerkschaft, die erst schreibt, was für eine schockierende Schilderung das sei. Es scheine sich aber wohl um einen Einzelfall zu handeln. Das sei nicht interessant genug. Ich solle mich wieder melden, wenn mehrere Fälle bekannt würden. Alles Gute, Floskeln, Tschüss.

Kein Einzelfall

Reflexhaft drücke ich auf den Reply-Knopf. Ich erinnere noch einmal daran, dass in meinem Erfahrungsbericht zahlreiche Quellen belegen, dass es gerade kein Einzelfall ist. Auch über das unehrliche Auftreten der Beamten wurde schon mehrfach geklagt. Zudem hatte sich eine Kollegin aus den Lebenswissenschaften mit ähnlichen Erfahrungen an mich gewandt. Wie könne man da noch von einem Einzelfall sprechen?

Die Antwort, die ich darauf erhalte, hat es in sich: Die Gewerkschaft, für die ich schon neue Mitglieder geworben und mit der ich demonstriert hatte, stellt sich jetzt auf den Standpunkt, dass die NWO so groß sei, dass man sich als kleine Gewerkschaft zu keinem kritischen Bericht traue. Die Gefahr, mit einer Verleumdungsklage überzogen zu werden, sei zu groß. Da könne man nichts machen.

Das ist inhaltlich natürlich schräg, da die Fakten ja bereits gerichtsfest festgestellt wurden und inzwischen auch zwei unabhängige rechtswissenschaftliche Publikationen zu meinem Fall der NWO ein verheerendes Zeugnis ausstellen. Es passt aber zu dem System des Schweigens, das meines Erachtens um die Vergabe von Forschungsmitteln herum entstanden ist.

Wir Forscher werden nicht nur ermutigt, sondern förmlich aufgejagt, um so viel Geld wie möglich einzuwerben. Für die Probleme, die das mit sich bringt, scheint sich aber auf offizieller Ebene keiner zu interessieren. Dazu noch ein paar allgemeinere Gedanken.