Zellulare Energiesysteme

Wasserkraftanlage Sandfang in Freiburg. Bild: Christoph Jehle

Kaskadierte Netze boten zu Zeiten der zentralen Großkraftwerke deutliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber kleinräumig organisierten Netzen - der Bau zahlreicher kleinerer dezentraler Kraftwerke fordert ein Umdenken

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Blickt man zurück auf die Ursprünge der Stromversorgung, so stellt man fest, dass diese in den meisten Fällen auf der Basis dezentraler Kraftwerke und lokaler Stromnetze entstanden war. Im Laufe der Zeit wurden die Kraftwerke größer und zentraler und die lokalen Niederspannungsnetze von Mittelspannungs-, Hochspannungs- und Höchstspannungsnetzen überlagert.

Im Zusammenhang mit der Energiemarktliberalisierung wurden diese im Laufe von Jahrzehnten gewachsenen Strukturen aufgebrochen. Die vier Übertragungsnetzbetreiber wurden aus dem bisherigen Verbund ausgegliedert und die Verteilnetze vom Stromhandel organisatorisch getrennt, wobei bei etwa 90 Prozent der Stromversorger der Netzbetrieb und der Stromhandel die jeweils gleichen Eigentümer besitzt.

Solange die Entwicklung immer größere thermische Kraftwerke vorsah, die auf der Höchstspannungsebene einspeisten, hatte diese Struktur unbestritten deutliche wirtschaftliche Vorteile. Der Stromfluss war letztlich eine Einbahnstraße vom zentralen Kraftwerk zu den dezentralen Kunden.

Mit der Energiewende nahm die Zahl dezentraler Stromerzeuger, die auf Photovoltaik und Windkraft basieren, deutlich zu. Aus dem früheren Einbahn-System wurde ein System mit Gegenverkehr und einer steigenden Zahl von volatilen Einspeisern im Mittel- und Niederspannungsbereich. Wo früher wenige zentrale Kraftwerksstandorte den Markt dominierten, hat der Zubau der Erneuerbaren inzwischen zu mehr als 1,6 Millionen dezentral angeordneter Kraftwerke geführt. Diese zentral steuern zu wollen, erscheint ziemlich unmöglich zu sein.

Schon im März 2017 stellte Dr. Gerhard Kleineidam, Leiter des Feldlabors der Energiewende der Universität Bayreuth, im Rahmen eines parlamentarischen Abends der VDE-Landesvertretung Bayern mit der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag unter dem Titel "Dezentrale Gestaltung der Energiewende" fest, dass 90 Prozent der regenerativen Energien auf der Mittel- und Niederspannungsebene eingespeist werden.

Zu den regulatorischen Problemen im Bereich der Erneuerbaren zählt ganz offensichtlich die Tatsache, dass im Zusammenhang mit der Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien immer wieder die Forderung nach Speichermöglichkeiten aufkommt, dass jedoch gespeicherter Strom aus Erneuerbaren nicht mehr als Strom aus Erneuerbaren gewertet wird.

Zellulare Netze statt Großverteilerinfrastruktur

Beim zellularen Ansatz der Netzstruktur werden Erzeugung und Nutzung von Energie auf der Niederspannungsebene ausbalanciert, ohne übergeordnete Netzebenen in Anspruch zu nehmen. Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) hat dieser Tage ein 50-seitiges VDE-Papier zu diesem Thema veröffenlicht, welches das Thema zellulare Netze erneut aufgreift und diese als Alternative zum in der Bevölkerung weitgehend unbeliebten Ausbau der Übertragungsnetze beschreibt.

Genauso unbeliebt wie die Stromleitung vor Ort ist jedoch der Blackout. Auch wenn zahlreiche aktuelle Stromausfälle in den Niederspannungsnetzen weder auf die Energiewende, noch auf die Einspeisung von Erneuerbaren, sondern ganz einfach auf das Alter der Niederspannungsnetze zurückzuführen waren, erscheint es sinnvoll, die Netzstrukturen an die steigende Zahl von Erzeugern anzupassen. Die VDE-Experten empfehlen den Strom direkt dort zu nutzen, wo er erzeugt wird, nämlich auf der lokalen, bzw. regionalen Versorgungsebene.

Dr. Thomas Benz, der Geschäftsführer der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE|ETG), erklärte: "Im zellular geprägten Energiesystem wird nach dem Subsidiaritätsprinzip die physikalische Balance zwischen Energieangebot und -nachfrage soweit wie möglich bereits auf regionaler, lokaler Ebene hergestellt. So kann der Ausbau der erneuerbaren Energien zügig weiter vorangetrieben werden und dabei das elektrische Übertragungsnetz wesentlich von Maßnahmen zur Netzstabilisierung entlastet werden."

Sektorenkopplung auf der Nieder- und Mittelspannungsebene

War die Idee der zellularen Netze ursprünglich fokussiert auf die Stromnetze, so diversifiziert sich diese Betrachtung inzwischen unter Berücksichtigung der Sektorenkopplung auf die Gas- und Wärmenetze sowie auf die Ladeinfrastrukturen für die Elektromobilität. Interessanterweise waren diese Netze in der Vergangenheit in zahlreichen Querverbundunternehmen schon unter einem Dach vereint.

Jetzt schlägt man vor, dass diese Netze durch geordnete Bildung und Einbettung zellularer Strukturen zu einem effizienten Energiesystem wieder zusammen wachsen können. Damit würde eine effiziente Erzeugung und Nutzung von Energie auf allen Ebenen, lokal, regional, überregional optimiert, weil volkswirtschaftlich gesehen sektorenübergreifende Lösungen, die unterschiedliche Energieformen miteinander verbinden, oft effizienter als Einzellösungen bestimmter Energieformen und deren Netze bzw. Subsysteme seien, rät Dr. Benz von der ETG.

Im neuen Papier liefert der VDE nun Informationen zu den technisch-physikalischen Vorgaben, die es ermöglichen sollen, auch die bestehenden Regularien und Marktdesigns so anzupassen, dass die Einbindung der Erneuerbaren auch wirtschaftlich gelingt. Mit dem zellularen Ansatz könnte der Ausbau der erneuerbaren Energien, die notwendige Flexibilisierung der Energieversorgung sowie die politisch gewünschte Dekarbonisierung der Sektoren erfolgreich weiter vorangetrieben werden.

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