Armut als Schicksal?

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Studie: Gleichberechtigtes Aufwachsen für Kinder nicht möglich

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Von Armut in der Kindheit als Motor für späteren beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg ist zwar in Geschichten, literarischen wie persönlichen, häufig die Rede, dass dieser Werdegang erzählenswert ist, zeigt allerdings schon an, dass ihm etwas Außergewöhnliches anhaftet. Die prosaische statistische Wirklichkeit deutet eher daraufhin, dass diejenigen, die in armen Verhältnissen aufwachsen, mit großer Wahrscheinlichkeit auch in ebensolchen Verhältnissen bleiben. "Armut als Schicksal" heißt das dazu gehörige pathetischere Schlagwort.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat heute eine vielbeachtete Untersuchung vorgelegt, die allein schon mit ihrem Titel: Verschlossene Türen diesen Trend bestätigt. Kinder, die in einem Elternhaus mit beschränkten finanziellen Mitteln aufwachsen, "scheinen bereits im Vergleich zum Durchschnitt abgehängt", ist dort zu lesen. Am Schluss der "Expertise" genannten Untersuchung wird festgestellt:

Ein gleichberechtigtes Aufwachsen ist für die Kinder in den einkommensarmen Haushalten nicht möglich. Einschränkungen sind vorprogrammiert. Damit sind auch deren Entwicklungsperspektiven beeinträchtigt. (…) Die wachsende Schere zwischen arm und reich manifestiert sich am Ende im sozialen Ausschluss der Kinder.

Paritätischer Wohlfahrtsverband, Expertise: Verschlossene Türen

Dem Papier des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes geht es um Teilhabe von Kindern am sozialen und kulturellen Leben, um die es besser steht, je weniger die finanziellen Möglichkeiten durch den lebensnotwendigen und weiteren Grundbedarf beansprucht werden. Private Ausflüge wie auch Schulausflüge gehören in diesen Zusammenhang, Sportvereine, Treffen mit Gleichaltrigen, Medien, Kinobesuche, Kleidung usw.. Dies wird in den Kontext einer sich weiter auswachsenden Ungleichheit gestellt, die soziale Schranken aufbaut.

Der Verband verweist dazu einmal auf seinen Armutsbericht, wonach 22,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre arm sind. Zum anderen stellt auch die Expertise des "Paritätischen" fest, dass sich die Ärmeren von der guten Wirtschaftslage nicht profitiert haben, sondern die Ungleichheit gewachsen ist.

"Die günstige ökonomische Entwicklung kommt bei den Armen nicht an", lautet eine Kernbehauptung des Papiers. Daran schließt sich die Beobachtung der Expertise an, dass dies Familien mit geringem Einkommen und Alleinstehende besonders zu spüren bekommen, die Folge ist, dass auch der Abstand bei den Ausgaben für Kinder zwischen den Ärmeren und Reicheren größer geworden ist.

Kurz gesagt: Während die besser Gestellten sehr viel mehr Geld zu Verfügung hatten, um den Kindern über ihre Grundversorgung hinaus noch viel soziale Teilhabe zu ermöglichen, sieht dies bei den Ärmeren anders aus.

Auffällig ist unmittelbar der erhebliche Abstand zwischen den finanziellen Möglichkeiten beim ärmsten und reichsten Zehntel der Haushalte. Die reichsten zehn Prozent dieses Haushaltstyps verfügen damit über mehr als das Fünffache des Einkommens der untersten zehn Prozent. Dies ist eine erhebliche Diskrepanz. Während für die Kinder im untersten Zehntel der Haushalte nominal lediglich 364 Euro im Monat ausgeben werden, beträgt die Summe für die Kinder im Durchschnitt bereits 659 Euro und für die Kinder im obersten Zehntel deutlich über 1.000 Euro (1.200 Euro).

Expertise: Verschlossene Türen

Bei den Konsumausgaben stellt man eine gegenläufige Entwicklung zwischen "oben" und "unten" fest. Für die Ärmeren steigt der Anteil der Konsumausgaben für das Kind, "die für Nahrung und Getränke, Bekleidung und Schuhe sowie Wohnen und Energie ('lebensnotwendiger', physischer Grundbedarf) ausgegeben werden (müssen) - und zwar von 59,2 Prozent auf 62,3 Prozent der Konsumausgaben für das Kind".

Veraltete Daten?

Im Gegensatz dazu falle der entsprechende Anteil bei dem einkommensreichsten Zehntel der Haushalte von fast 46 Prozent (2003) auf nicht ganz 42 Prozent (2013). "Diese Entwicklung eröffnet den einkommensreichsten Haushalten zusätzliche finanzielle Möglichkeiten für andere Ausgaben - insbesondere bei der Teilhabe."

Man erkennt hier sehr gut den Punkt, an dem sich viele Kritiker des Papiers des Paritätische Wohlfahrtsverband festhaken: 2013 - das ist sechs Jahre her; stimmt denn der Befund mit der heutigen Lage nach wirtschaftlich sehr guten Jahren noch überein?

Die Grundlage für die sehr viel detailliertere Zahlenaufschlüsselung, als sie hier wiedergegeben wird, stammt von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die nur alle 5 Jahre vom Statistischen Bundesamt zusammen mit den Statistischen Landesämtern erhoben wird. Daher der große zeitliche Abstand des Materials, das für diese Untersuchung verwendet wurde.

Für den Verband, der sich bei seinen einleitenden Bemerkungen auf den jüngsten Armutsbericht bezieht, ist an der Feststellung, wonach die günstige ökonomische Entwicklung bei den Armen nicht ankommt, offensichtlich nicht zu rütteln.

Lösung: Kindergrundsicherung?

Auch ist sein Lösungsvorschlag so grundsätzlich, dass ihm Aktualisierungen im Zahlenmaterial nichts nehmen würden. Dem Befund von den wachsenden Schwierigkeiten der Kinder aus ärmeren Familien gute, gleichberechtigte Vorrausetzungen für die soziale Teilhabe zu bekommen, folgt die Analyse, dass die bisherigen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen wenig oder gar nichts verbessern.

Weil z.B. das Kindergeld als Steuerfreibetrag wiederum den Besserverdienenden verhältnismäßig mehr nutzt und das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung auch nach der Erhöhung der Zuschüsse nichts Wesentliches verbessert:

Das Paket sei ein Flop und nicht mehr zu retten, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Die Verbesserungen reichen nicht - "künftig 150 Euro pro Schuljahr statt bislang 100 Euro für die Schulausstattung von Kindern aus ärmeren Familien, zudem monatlich bis zu 15 Euro statt bisher zehn für sportliche oder kulturelle Aktivitäten":

Für 15 Euro können sie im Fußballverein vielleicht gerade noch den Beitrag bezahlen, aber Kosten für Fußballschuhe, Trikots für die Fahrten die anfallen, Turnierfahrten etc. für das ganze Vereinsleben sind da nicht drin. Nun kann man sagen, das bisschen können sie ja selber zahlen, wie aber unsere Untersuchung jetzt ergeben hat, da ist nichts, was die selber zahlen können.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes

Ein gleichberechtigtes Aufwachsen für Kinder in Haushalten mit wenig Einkommen sei so nicht möglich, so Schneider. Daher plädiert sein Verband, auch weil sich viele Maßnahmen unzureichend und schlecht aufeinander abgestimmt sind, für die Lösung einer Kindergrundsicherung, die Leistungen zusammenführt:

Die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung soll dafür sorgen, dass das Existenzminimum aller Kinder gesichert ist, so dass keine Familie lediglich wegen des Vorhandenseins der Kinder auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist. Dabei ist vorgesehen, dass der Kindergrundsicherungsbetrag mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen wird.

Expertise: Verschlossene Türen

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