Spioniert der spanische Geheimdienst in der Schweiz?

Die spanische Botschaft hat in Madrid um Unterstützung des Geheimdienstes CNI nachgesucht, um gegen die Internationalisierung der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen vorzugehen

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Es ist Sommer und damit ist auch der seit Jahren schwelende Konflikt über die Unabhängigkeit Kataloniens weitgehend aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Doch die Veröffentlichungen von Geheimberichten haben zuletzt doch wieder - auch international - für Aufsehen gesorgt, vor allem in Deutschland, Großbritannien und Schottland, aber nun auch in der Schweiz.

Wie Telepolis berichtete, hatte vergangene Woche schon die Leiterin der katalanischen Auslandsvertretung in Berlin Strafanzeige wegen "mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen unbekannte Mitarbeiter spanischer Sicherheitsbehörden gestellt." Marie Kapretz war sogar schon umfassend ausgespäht worden, bevor sie die Vertretung in Berlin geleitet hat. Dass zeigen umfassende Geheimdokumente die Telepolis exklusiv vorliegen und über die zum Teil schon berichtet wurde.

Weitere Geheimdokumente, die Telepolis nun ebenfalls vorliegen, liefern Hinweise darauf, dass es sich um Aktivitäten des spanischen Geheimdienstes handeln könnte. Dafür spricht nicht nur die Sprache, in der die Geheimberichte zum Teil verfasst sind, sondern auch die Tatsache, dass im Fall einer in Deutschland lebenden spanischen Journalistin auf einen "Überwachungsbericht 31/01/19" verwiesen wird. Dieser Bericht befindet sich nicht in dem Dossier, das an den Obersten Gerichtshof Kataloniens geschickt wurde, um einen Antrag zur Schließung der Auslandsvertretungen in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Irland und den USA zu untermauern.

Dieser Versuch blieb ohnehin bisher erfolglos. Der zuständige Oberste Gerichtshof Kataloniens hat den Antrag des spanischen Außenministeriums kürzlich abgelehnt. Und über die von Madrid gelieferten Dokumente wird auch klar, warum dies der Fall war. Denn es wird, meist über mehrere Seiten, über sehr harmlose und ganz legale Vorgänge berichtet.

In den ans Gericht übersendeten Geheimdokumenten wird aber zum Teil auch eine klare Sprache gesprochen. In einem dreiseitigen Schreiben, das am 25. September 2018 aus der spanischen Botschaft in der Schweiz an das Außenministerium gekabelt wurde, hält man es für nötig, dauerhaft einen Agenten des Geheimdienstes "CNI" in Genf anzusiedeln.

Es wird von der steigenden Bedeutung des internationalen Standorts für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung gesprochen, denn in Genf befindet sich der zweite Hauptsitz der Vereinten Nationen (UN).

Die UN werden, wie zivilgesellschaftliche Organisationen, Institute und Akademien, ausdrücklich benannt. Erstaunlich dabei ist, dass in dem dreiseitigen Schreiben ausdrücklich erklärt wird, dass der spanischen Botschaft "keinerlei Aktivitäten bekannt sind, die Grenzen ihrer Kompetenzen überschreiten". Das gelte für die Auslandsvertretung und für ihren Leiter Manuel Manonelles. Warum fordert man dann aber Geheimdienst-Unterstützung aus Madrid?

Beobachtung von Katalanen in der Schweiz

Dass katalanische Aktivisten in der Schweiz überwacht werden, wird auch darüber deutlich, dass die spanische Botschaft zuletzt die "Abwesenheit" von Manonelles bei Aktivitäten festgestellt hatte, bei denen die Freilassung der katalanischen Gefangenen gefordert oder die beiden im Schweizer Exil lebenden katalanischen Politikerinnen unterstützt wurden.

Deutlich wird aus den Unterlagen, dass der Leiter der katalanischen Vertretung in Genf ausgiebig überwacht wurde. Allerdings wird nicht klar, ob das schon vor der Wiedereröffnung der Vertretung geschah, wie im Fall Kapretz. Die Deutsche wurde dagegen lange vor der Neueröffnung der Vertretung sehr intensiv überwacht und ihr wurde auch bei privaten Angelegenen nachgestiegen, wie die Telepolis vorliegenden Dokumente beweisen.

Illegale oder staatsgefährdende Aktivitäten konnten ohnehin nicht dokumentiert werden. Oft werden nur harmlose Vorgänge beschrieben. Auf vier Seiten wird zum Beispiel über eine Podiumsdiskussion vom 13. März 2019 berichtet, die anlässlich einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf über Repression in Spanien stattfand.

Der Bericht wurde sogleich am Folgentag mit Fotos nach Madrid gekabelt. Das Außenministerium wurde darüber unterrichtet, wer welches Statements abgab und dass es nach Ansicht der Beobachter nur eine "geringe Beteiligung" und "wenig Interesse" an der Veranstaltung "über den Kreis der schon Überzeugten hinaus" gegeben haben soll. Vermerkt wurde, dass Manonelles und der katalanische Außenminister Alfred Bosch anwesend waren, deren Fotos auch nach Madrid gekabelt wurden.

Ins Visier gerieten auch Schweizer Politiker wie der sozialdemokratische Parlamentarier Mathias Reynard. Er steht der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Katalonien vor, deren Gründung sei "eine der auffälligsten Aktionen zur Förderung der separatistischen Agenda in der Schweiz". Reynard wird "Aktivismus" vorgeworfen, der "am extremen linken Rand des Schweizer Sozialismus" verortet wird. "Ansprechen" sollte man ihn nicht, das würde ihn nur "anspornen". Er habe sich zuletzt ohnehin verstärkt anderen Themen zugewandt, wird in einem Schreiben analysiert.

Schon im Titel eines vierseitigen Kabels vom 21. März 2019 wird ausdrücklich der "Aktivismus Manonelles" angesprochen, in dem auch wieder Reynard auftaucht.

Allerdings ist die Botschafterin in Bern besonders verärgert darüber, dass der Leiter der Genfer Auslandsvertretung offiziell im Schweizer Parlament von der sozialdemokratischen Ständerätin Liliane-Maury-Pasquier empfangen wurde. Aurora Díaz-Rato spricht deshalb von einem "Fauxpas" und einer "falsch verstandenen 'Äquidistanz' (die uns so viele Probleme bereitet)". So sieht sie zum Beispiel die Weigerung, die Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) an Spanien auszuliefern, die im Schweizer Exil lebt, oder dass sich auch der ehemalige katalanische Regierungschef frei in der Schweiz bewegen kann. Die Eidgenossen hatten zum Ärger der Spanier erklärt, der "aufenthaltsrechtliche Status" sei durch das " Schweizer Recht und das Personenfreizügigkeitsabkommen geregelt". Puigdemont könne sich "als spanischer Bürger" im Schengen-Raum frei bewegen.

Interessant an dem Vorgang ist aber auch, dass die spanische Botschaft über den Empfang des Katalanen im Schweizer Parlament von einem spanischen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes informiert wurde. Die Eidgenossen sollten sich daüber Gedanken machen, dass Spanien offensichtlich Informanten im Ständerat hat. In der Folge beschwerte sich Díaz-Rato beim Verantwortlichen für die internationalen Beziehungen des Ständerats, allerdings "ohne die Quelle zu nennen, um unseren treuen Landsmann nicht zu enthüllen".

Ob das Gesuch nach Geheimdienst-Unterstützung in Madrid Gehör fand, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Aber es stellt sich die Frage, wie es möglich war, dass die spanische Vertretung schon im Vorfeld in mindestens zwei Fällen nach Madrid kabeln konnte, dass sich Manonelles nach Straßburg begeben werde.

Neu ist es nicht, das Spanien in der Schweiz spitzelt. So hatten die Eidgenossen schon vor drei Jahren in Madrid Aufklärung darüber gefordert, wer einem Flüchtling in der Schweiz ohne Kenntnis der Schweiz hinterherspioniert hat. Unklar ist, ob es der CNI, die Guardia Civil oder die Nationalpolizei war, die jeweils auch eigene Geheimdienstabteilungen haben.

Der deutsche Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko im Visier

Tatsächlich traf sich der Leiter der katalanischen Vertretung in Straßburg unter anderem mit Mitgliedern des Europarats, darunter jeweils auch der deutsche Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Und das wurde wiederum nach dessen Reise vermeldet.

Wie erfuhr Madrid im Vorfeld davon? Und wie erfuhr man in Madrid von den Aufforderungen an die katalanischen Vertretungen, dass diese bei Politikern - wie der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon, in Kirchenkreisen, bei Amnesty International (AI) oder beim internationalen PEN Club für die Verbesserung der Lage der katalanischen Gefangenen oder für Beobachter für den Prozess gegen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung werben sollen?

Auch hier wurde danach sofort festgestellt, dass sich der Leiter der katalanischen Vertretung in Großbritannien tatsächlich mit AI in Verbindung gesetzt hat.

Für Sergi Marcén ist deshalb klar, dass auch der Email-Verkehr ausgespäht wurde, da sich die Vorgänge anders kaum erklären ließen. Neu wäre das nicht. Einst musste sich der spanische Botschafter schon beim Linken-Abgeordneten Hunko entschuldigen, weil die Emails des Bundestagsabgeordneten 2011 mitgelesen wurden, worüber Telepolis schon berichtet hatte.

Wer genau dahinter stand, ist bis heute unklar. Aber klar ist, dass Hunko auch im Fall der Katalanen ins spanische Visier geriet. Allerdings auch die stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion Katja Dörner oder der Leiter des Büros für Auswärtige Beziehungen der CDU. Und so wurde auch nach Madrid gekabelt, Dörner habe im Parlament Fragen "mit dem Ziel gestellt, die katalanischen politischen Gefangenen zu unterstützen", woran die Deutsche Kapretz mitgewirkt haben soll.

Dass Hunko über die neuerliche spanische Überwachung gar nicht erfreut ist, ist nachvollziehbar, zudem hatte der frühere spanische Botschafter ihm zugesichert, derlei werde nicht wieder vorkommen. Er hat deshalb eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und einen Protestbrief an die Botschaft in Berlin geschrieben, aber erhielt von beiden nur sehr ausweichende Antworten.

Empört ist man über die Spitzelei auch in Schottland

In Schottland geriet sogar die Regierungschefin Nicola Sturgeon und ihre regierende Scottish National Party (SNP) ins Blickfeld der spanischen Überwacher. So zitierte gerade der schottische "The National" aus einem Kabel. Demnach wurde der gesamte SNP-Parteitag vom 8. bis 10. Oktober in Glasgow überwacht und ein Bericht dazu aus der Botschaft in London nach Madrid gekabelt. Und das war nicht der einzige Anlass, der von den Spaniern überwacht wurde.

Aus Spanien streitet man eine Spionage natürlich vehement ab. Außenminister Josep Borrell, der nun zum EU-Außenbeauftragen aufsteigen soll, erklärte: "Es wurde keine elektronische Nachricht abgefangen, natürlich nicht." Sein Ministerium sagte, es gehe bei den Vorgängen darum, einen "missbräuchlichen Einsatz von öffentlichen Geldern festzustellen". Unterstrichen wird aber, dass es "Teil unserer Aufgabe ist, aus der Nähe die Aktivitäten zu verfolgen, die versuchen, das Image von Spanien im Ausland zu schädigen, und im Besonderen all die, die das Unabhängigkeitsprojekt der katalanischen Regierung vollenden wollen".

In den spanischen Botschaften gibt man sich derweil "wortkarg", wie nach Hunko auch Fabian Eberhard vom Schweizer "SonntagsBlick" feststellen musste. Aus der Vertretung in Bern erhielt er auf seine Fragen nur "Diplomatensprech" zur Auskunft, "dass diese Botschaft sich bei ihrer Arbeit stets im Rahmen des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen bewegt". Diese Antwort hatte auch Hunko auf seine Beschwerde aus der Botschaft in Berlin erhalten, in der allen Fragen ausgewichen wurde.