Marx und die Roboter

Für Marx waren Dampf, Elektrizität und Spinnmaschine "Revolutionäre von gefährlichem Charakter". Will man uns einreden, dass die heutigen viel mächtigeren Technologien es nicht mehr sind?

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Was fängt der Mensch mit Maschinen an, die ihm die Arbeit abnehmen? Diese Frage, die im häuslichen Umfeld mit seinen allgegenwärtigen maschinellen Helfern - Wasch-, Spül-, Bohr- oder Rechenmaschine (vulgo Computer) - gar keine bzw. allenfalls eine dumme Frage ist, stürzt die menschliche Gesellschaft in ein bis heute nicht gelöstes Dilemma. Und diese Frage stellt sich menschheitsgeschichtlich ja nicht erst seit gestern, als Robotik, Informatik oder auch 3D-Drucker in die Arbeitswelt einbrachen.

Auch für Marx gab es ein Einerseits-Andererseits bei der Bewertung der ihm bekannten Maschinerie; der darüber grübelnde exilrussische Wirtschaftswissenschaftler Wassily Leontiew formulierte dies als Paradies-Paradoxon, und schon David Ricardo schreckte lange vor John Maynard Keynes die Vision technologischer Arbeitslosigkeit. Ja sogar schon in der Bibel, vor über zweitausend Jahren, tauchten Prophezeiungen auf, dass den Menschen durch zu perfekte Gerätschaften eines fernen Tages die Arbeit und damit die sie mit Lohn und Brot versorgenden Arbeitsstellen ausgehen würden.

Aber ebenso lange, wenn nicht schon viel länger, träumen die Menschen von paradiesischen Zuständen; vom Land, in dem Milch und Honig fließen, wo die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und in dem man heute dies und morgen jenes tun kann, grad wie es einem gefällt…

Klar ist jedenfalls, das irdische Paradies ist noch immer nicht erschlossen. Was also nun? Sind es vielleicht gar nicht die maschinellen Helfer, die in ein besseres, leichteres, angenehmeres, phantasievolleres Leben jenseits des schweißtreibenden Reiches der Notwendigkeit führen, oder jedenfalls einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag dazu leisten? Hätte man es ebenso gut bei Pferdefuhrwerken und Petroleumlampen belassen können? Bei Kinderarbeit, und bei trostloser Feld- oder Fabrikarbeit für das gemeine Volk, quälende 70 Stunden die Woche?

Kommt die Revolution nicht aus den 3D-Druckern? Sind die Roboter gar keine Revolutionäre?

Betrachtet man es einmal ganz grundsätzlich, dann gibt es genau zwei Möglichkeiten, die Verhältnisse zu "revolutionieren". Die eine lässt den Betrieb mit seiner spezialisierten Maschinerie und seinem speziell qualifizierten Personal so wie er ist, und insoweit immer war. Er produziert etwas, was ein anderer Betrieb nicht kann, und vertreibt es auf Märkten, er produziert also Waren. Die andere Möglichkeit: Es ändert sich etwas ganz tief in der Mitte der Funktionsweise dieses Betriebes, im tiefsten Innern seiner Produktionsweise und eben auch seiner "materiellen Mittel".

Zuerst zu dem ersten Fall. Wenn sich an dem spezialisierten Waren produzierenden Betrieb nichts ändert, können alle Reformen oder gesellschaftlichen Veränderungen, die um die Idee oder das Konzept so eines Waren produzierenden Betriebes mit seiner spezialisierten Maschinerie herum gruppiert sind, nur innerhalb eines begrenzten Korridors Veränderungen realisieren. Die Grenze ist immer dann erreicht, wenn die Lebensfähigkeit des Betriebes, seine viel und gern zitierte Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist.

Lohngerechtigkeit, Mitbestimmung, Wirtschaftsdemokratie oder Gewinnbeteiligung - all das darf das Überleben des Betriebes nicht gefährden. Mehr Revolution geht einfach nicht. Man kann sämtliche Varianten von Betriebsverfassungen durchdenken, aber das wird sich nicht ändern. Und man muss sich klarmachen, dass man gewöhnlich ja darüber nachdenkt, was man mit schon existierenden Betrieben in revolutionärer Hinsicht tun könnte, die also schon jemand ins Leben gerufen und auf die Beine gestellt hat, und die nun gut laufen und Gewinn abwerfen. Die sollten dann vielleicht mehr Mitspracherechte der Belegschaft oder Gewinnbeteiligung oder höhere Löhne zulassen.

Dass aber jemand eine WhatsApp-Gruppe gründet, um 1500 Mitstreiter für eine Genossenschaftsgründung zu finden, und jeder soll 1000 Euro Startkapital mitbringen und idealerweise noch die zündende Geschäftsidee, kommt eher selten vor, vor allem nicht, wenn es um die Produktion hochwertiger Konsumgüter und eine entsprechend hochwertige und kostspielige Kapitalausstattung geht. Ganz besonders schwierig wäre dies, weil die Märkte ringsum ja schon lange erschlossen, überfüllt und gesättigt sind und überall das große Kapital lauert, um aus jeder noch nicht erschlossenen Nische Rendite zu saugen, sobald sie sich auftut, sei sie auch noch so klein.

Das soll nicht heißen dass Genossenschaften grundsätzlich nicht möglich sind, aber sie sind eben doch eher die Ausnahme, bleiben auf bestimmte, wenig kapitalintensive Geschäftsfelder beschränkt, und auch sie müssen ja wettbewerbsfähig sein und wirtschaftlich überleben. Sie von außen etwa per politischer Vorgabe zu einem Regelfall deklarieren könnte man deshalb schlecht, weil man dann jeden Beschäftigung Suchenden dazu verdonnern müsste, Genossenschaftsanteile zu erwerben.

Wenn nun so ein Waren produzierender Betrieb oder eine Genossenschaft immer mehr Roboter und Maschinen einsetzt, weil der Wettbewerber es auch tut, entsteht leider nicht das paradiesische Land in dem Milch und Honig fließen, sondern die Hölle der Arbeitslosigkeit. Sollte man darum aber ab einem einmal erreichten Niveau von technischem Fortschritt alles lassen wie es einmal geworden ist? Technischen Fortschritt verbieten? Vom "alten Narrativ der Ersetzung des Menschen ablassen", wie es Karten Uhl in seiner "langen Geschichte der menschenleeren Fabrik"1 vorschlägt, als könne der Mensch geschichtliche Narrative wählen wie der Zapper am TV sein Abendunterhaltungsprogramm?