Merkel spricht sich für staatliche Seenotrettung aus

Ocean Viking, das Rettungsschiff (unter norwegischer Flagge) von SOS Méditerannée. Foto: Anthony Jean, SOS Méditerannée

Heftige Gegenstimmen sind zu erwarten. Unterdessen geht das "unwürdige Geschachere um Menschenleben" (Heiko Maas) weiter

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Die beiden Gipfeltreffen der EU-Innenminister zum Thema "Seenotrettung und Migranten aus Libyen" in Helsinki und danach in Rom haben keine Fortschritte gebracht. Die Antwort auf die dort aufgeworfene Frage: Wie weit reicht der EU-Konsens? wird in der aktuellen "Bewährungsprobe", wie vorauszusehen war, wie gehabt beantwortet.

Die NGO-Rettungsschiffe Ocean Viking und Open Arms warten mit 356 aus Seenot Geretteten an Bord des erstgenannten Schiffs und 147 aus Seenot Geretteten an Bord des zweitgenannten auf die Zusage, in einem europäischen Hafen anlanden zu können. Die Lage wird wie in den Fällen zuvor als dringlich beschrieben. Zwar haben inzwischen laut EU-Kommission Frankreich, Deutschland, Rumänien, Luxemburg, Portugal und Spanien Unterstützung angeboten, aber die Lösung stehe noch aus.

Die wird wie so oft mit Italiens Bereitschaft verbunden, einen Anlandungshafen zur Verfügung zu stellen. Neu ist, dass sich diesmal ein Streit innerhalb der italienischen Regierung deutlicher äußert. Premierminister Conte äußerte sich in einem Brief gegen Salvinis Haltung zur Migration, dass dieser auf die Formel "geschlossene Häfen" reduziere, wie die taz berichtet, "um seine Unterstützung zu erhöhen".

Wahlkampf-Risse in der italienischen Regierung

Seit Salvini eine Neuwahl ins Gespräch brachte, werden die Risse zwischen den beiden Koalitionspartnern in Italien wahlkämpferisch betont. So verweigerte Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta von der 5-Sterne-Bewegung die Unterschrift, die nach dem neuen Sicherheitsgesetz für ein Verbot der Einfahrt in einen italienischen Hafen nötig ist.

Salvini will nach Darstellung der taz mit dem Verbot und einem Einspruch der Entscheidung eines Verwaltungsgericht in Rom entgegenwirken, wonach die Open Arms in italienische Gewässer fahren dürfe. Begründet hatte das Gericht dies mit einer "außergewöhnlich ernsten" Lage.

Das "unwürdige Geschachere um Menschenleben", wie der deutsche Außenminister Maas die langen Verhandlungen vor gut einem Monat nannte, geht also weiter. Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Verhandlungen über aus Seenot geretteten Migranten an Bord von NGO-Schiffen ist nicht zu merken. Seine Initiative, die die Vorgänge anders organisieren wollte (Seenotrettung im Mittelmeer: Maas für Vorreiterrolle Deutschlands) blieb eine Idee, die schnell verwehte.

Merkel bringt einen neuen Vorschlag in die Debatte

Nun hat Kanzlerin Merkel einen neuen deutschen Vorschlag in die Debatte gebracht. Sie plädiert, wie es am Freitag mehrere Medien berichten, für eine Wiederaufnahme der staatlich organisierten Seenotrettung im Mittelmeer.

Sicherlich wäre es gut, wir hätten auch heute wieder eine Mission Sophia und staatliche Schiffe, die retten würden.

Angela Merkel

Seenotrettung sei ebenso notwendig wie die Bekämpfung von Schleusern, soll sie dem hinzugefügt haben. Die Aussage, so viel ist sicher, wird heftige Gegenstimmen bekommen, nicht nur in der hitzigen Diskussion in Deutschland, sondern auch in Italien.

Denn der Vorschlag Merkels hat es wie der vorherige Good-Will-Lösungsansatz von Maas mit der Frage zu tun, in welchen Hafen die aus Seenot Geretteten gebracht werden sollen. Und er rührt an dem anderen großen, komplexen Streitpunkt, ob eine staatlich organisierte Seenotrettung nicht eine unerwünschte Sogwirkung auf Schleuser und Migranten ausübt. Ob die Seenotrettung nicht dazu führt, dass mehr Menschen ihr Leben riskieren und dabei umkommen.

Zwar wurden zur Diskussion über den sogenannten Pullfaktor immer wieder Zahlen genannt, die der Pullfaktor-These widersprechen, wie dies auch an dieser Stelle berichtet wurde, und es gibt die große Geschäftemacherei der Milizen im Hinterland, die eine wesentliche Rolle für die Migration nach Libyen und von Libyen nach Europa spielt. Aber es gibt auch einen unübersehbaren Effekt der staatlichen Seenotrettungsoperation Mare Nostrum, von dem der Migrationsexperte Gerald Knaus spricht.

Mare Nostrum und ein "klarer Effekt"

Zwischen Mai 2014 und Oktober 2014 gab es, wie Knaus in einem Podcast von Gabor Steingart und Robin Alexander berichtet, eine bis dato nicht erreichte Zahl von geretteten Migranten, die in diesem Zeitraum über das Mittelmeer nach Europa kamen, und 3.000 Tote. Für Knaus gab es einen "klaren Effekt" (Nachtrag: die Zahlen, die Knaus dazu präsentiert, sind hier).

Dass es so viele Migranten nach Europa geschafft haben, sei ein starkes Signal gewesen, das in Ländern der afrikanischen Westküste so verstanden wurde, dass es sich lohnt, nach Libyen zu kommen und das Risiko einer Überfahrt einzugehen.

Knaus betont in diesem Zusammenhang, dass diese Länder, z.B. Gambia, Senegal oder Nigeria, keine traditionellen Herkunftsorte für Gastarbeitertätigkeiten in Libyen seien. Dass in diesem Zeitraum so viele nach Libyen kamen, hatte andere Gründe.

"Seenotrettung ist keine Problemlösung"

Knaus ist kein NGO-Gegner und keiner, der an irgendeiner Stelle die Ansicht vertritt, dass es, wie es viele kursierende Verdächtigungen tun, direkte Kontakte zwischen Schleusern und Seenotretter gibt. Das ist für eine Sogwirkung, die, so wie er sie beschreibt, über viele gelungene Überfahrten und das "Herumsprechen" darüber entsteht, gar nicht nötig. Der Preis dafür sind mehr Tote.

Für ihn ist die Seenotrettung - die ein Gebot der Menschlichkeit sei - aber keine Problemlösung. Bekannt sind Knaus wie der Think Tank ESI, den er gegründet hat, für ihre konzeptionelle Mitwirkung am "EU/Türkei-Flüchtlingsdeal". So überrascht es auch nicht, dass Knaus vorschlägt, der illegalen Migration keinerlei Anreize zu geben.

Er plädiert dafür, dass außerhalb Europas auf humane Weise geklärt wird, wer dorthin migrieren kann, und dass die Migration dann auf sichere Art geschieht. Wer kein Anrecht darauf habe, in den Ländern, wohin die Migranten wollen, aufgenommen zu werden, sollte in sein herkunftsland zurückgebracht werden.

Die Einrichtung von Hotspots außerhalb von Europas, die nötig wären, um dies in einem Verfahren vorab zu klären, ist allerdings ein Projekt, das noch weit von der Realisierung entfernt ist. So müsste sich die EU erstmal darum sorgen, dass die Unterbringung der Migranten in Libyen unter menschlichen Bedingungen geschieht. Die Lager in Griechenland, die im Zusammenhang mit dem Türkeideal entstanden sind, seien allerdings, so Knaus, ebenfalls keine guten Ausweise für eine EU-Migrantenpolitik, die Standards einhält.

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