US-Raketentest bekräftigt russische Vorwürfe

US-Raketentest am 18. August 2019. Bild: US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Die Startvorrichtung MK-41 für den Offensiv-Marschflugkörper Tomahawk ist in Rumänien einsatzbereit und wird in Polen nächstes Jahr in Betrieb gehen

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Die Aufkündigung des INF-Vertrages wurde "mit einer Selbstverständlichkeit Russland in die Schuhe geschoben". Auf Grundlage dieser "Gewissheit" wurden umfassende Rüstungsmaßnahmen gefordert. Dieser Konsens, der von vielen großen Medien hierzulande geteilt wird, bot neuen Kalten Kriegern die Gelegenheit, die russische Aggression in Osteuropa herauszustellen und auf Verstärkung der Nato zu drängen.

"Auch die Entwicklung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen sollte man nicht von vornherein ausschließen", äußert sich beispielweise Heinrich Brauß und Joachim Krause - nachzulesen war dies Anfang August an dieser Stelle in einem Artikel von Jürgen Wagner zum Ende des INF-Vertrags und das neue Wettrüsten.

Am vergangenen Sonntagnachmittag Ortszeit haben die USA, wie erst später bekannt wurde, einen Raketen-Test in San Nicolas Island, Kalifornien durchgeführt, der, wie es das US-Verteidigungsministerium berichtet, erfolgreich verlief. "Die getestete Rakete verließ die mobile Boden-Raketenstartvorrichtung (missile launcher) und traf sein Ziel nach mehr als 500 Kilometern Flug genau." (Video des Raketenstarts hier).

Über den Typ der "konventionellen cruise missile" wird im Bericht des Pentagon nichts gesagt. Auf Nachfrage des US-Fachmagazins Defense News erklärte der Pentagon-Sprecher Lt. Col. Robert Carver, dass es sich um eine vom Rüstungsunternehmen Raytheon hergestellte Variante eines Tomahawk-Marschflugkörpers handelt.

"Interessant ist die MK-41-Startvorrichtung"

Experten hatten allerdings besonders die Startvorrichtung im Auge: "Interessant ist die MK-41-Startvorrichtung. Russland sagte jahrelang, dass die MK-41, die in Europa stationiert sind, Tomahawks abfeuern können und daher den INF-Vertrag verletzen. Die USA stritten dies ab. Nun 16 Tage, nachdem der INF-Vertrag beendet wurde, machen die USA was? Sie schicken eine Tomahawk-Raketen über eine MK-41-Bodenstartanlage los." (Matt Korda, Wissenschaftler, Spezialgebiet nukleare Abschreckung und Abrüstung).

Der erwähnte Pentagon-Sprecher Carver bestätigt, dass die Startvorrichtung beim Test am Sonntag tatsächlich MK 41 war, aber das Testgerät sei nicht dasselbe wie das Raketenabwehrsystem Aegis Ashore, das in Rumänien einsatzbereit sei und in Polen noch "under construction" (der Standort in Polen soll 2020 in Betrieb gehen). Das Aegis Ashore-System sei nämlich "rein auf Verteidigung ausgerichtet", behauptet Carver: "Es kann keine Tomahawk-Marschflugkörper abfeuern. Aegis Ashore ist nicht dafür eingerichtet, um Offensivwaffen, egal welchen Typs abzufeuern."

Allerdings wird auch von einem amerikanischen Rüstungskontroll-Spezialisten, der Russland Desinformationskampagnen vorhält, wenn es um den Vorwurf der Stationierung von US-Nuklearwaffen in Rumänien geht, erklärt, dass die Befürchtungen Russlands, wonach die Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen auch offensiv verwendet werden können, ernst zu nehmen sind.

Dass die durch die "offenen Architektur" des Aegis-Systems viele unterschiedliche Raketen - letztlich auch mit nuklearen Sprengköpfen aufgerüstete Tomahawk - abgefeuert werden können, ist längst kein Geheimnis mehr, sondern wird vom Hersteller als Qualität hervorgehoben.

Der Hersteller Lockheed Martin schwärmt von dessen "offener Architektur", die für viele defensive und offensive Raketen verwendet werden kann: "Das System ist so angelegt, dass jede Rakete in jede Zelle passt, eine Fähigkeit beispielloser Flexbilität."

Offizieller Start des neuen nuklearen Wettrüstens

Moskau: US-Signal bestätigt länger gehegte Absicht, den INF-Vertrag entgleisen zu lassen

In Moskau sieht man in dem US-Raketentest die Bestätigung dafür, dass das Ende des INF-Vertrages, das am 2. August formell besiegelt wurde, einer länger geplanten Strategie folgt. Laut Präsidentensprecher Dmitry Peskow ist dies ein Test, "für den mehrere Wochen und sogar Monate für Vorbereitungen nicht genügen".

Er stelle erneut vor Augen, dass die USA und nicht Russland für das Ende des INF-Vertrags verantwortlich ist. Laut der Tass-Meldung hat der Kommentar von Putin aus Frankreich, wo er Macron besuchte, die gleiche Richtung: "Solche Tests bestätigen nur, dass die Amerikaner von Anfang an, den INF-Vertrag entgleisen lassen wollten."

Die Zeitangabe des Putin-Zitats - englisch "from the very start" (deutsch: von Anfang an) - ist streng genommen schwierig, wenn man es denn genau nehmen will. Es ist eine rhetorische Erwiderung der Vorwürfe aus den USA, die Russland schon länger vorwarfen, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen (INF-Streit zwischen Russland und NATO).

Auch in der Tass-Meldung wird chronologisch dargelegt, dass Trump schon Anfang Februar dieses Jahres mitteilte, dass sich die USA nicht mehr an die Verpflichtungen des Vertrags halten würden.

Insofern ist der Test keine wirkliche Überraschung. Er macht erneut klar, wie wenig sich die US-Administration um Verpflichtungen oder früher gegebene Zusagen schert. Das ist nicht wichtig; wichtiger sind militärische Vorherrschaft und die Zusammenarbeit mit den Rüstungskonzernen.