Sind Erdogans Invasionspläne in Nordsyrien gescheitert?

Explosion beim türkischen Beobachtungsposten Morek in Idlib. Bild: ANF

Kommentar: Bei den Verhandlungen über die Sicherheitszone östlich des Euphrat läuft es nicht nach Erdogans Plan

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Die kurdischen Einheiten der Syrian Democratic Forces (SDF) haben mit dem Rückzug von der türkischen Grenze begonnen. Lokale Militärräte werden von nord-ostsyrischer Seite aus gemeinsam mit US-Kräften die Grenze zur Türkei sichern. Im nordwestlichen Idlib scheint Putin nun ebenfalls die Geduld auszugehen. Weil die Türkei keine Ergebnisse liefert, nimmt Russland und die syrische Regierung die Sache nun selbst in die Hand. Die Türkei will man loswerden.

Nun zeigt sich, dass der Sotschi-Prozess von Anfang an eine Totgeburt war. Die syrisch-russische Antwort auf das türkische Desaster könnte deutlicher nicht sein: Einen Tag nach den Gesprächen zwischen Erdogan und Putin bombardierte die syrische Armee einen türkischen Militärposten in Idlib.

Sackgasse Sicherheitszone

Erdogan wird nicht müde, der türkischen Bevölkerung weitere große Siege zu prophezeien, um von dem innenpolitischen Desaster abzulenken. Glauben schenken ihm immer weniger. Durch die weiter voranschreitende Wirtschaftskrise fehlt Erdogan schlicht das Geld für eine Invasion in Nordsyrien. Sein Kurdenhass scheint vielen mächtig auf die Nerven zu gehen, abgesehen von eingefleischten Nationalisten.

Hohe Arbeitslosigkeit, eine immense Inflation und steigende Preise für Grundnahrungsmittel beschäftigen die Menschen in der Türkei mehr als die heroischen Ankündigungen von außenpolitischen Siegen. Immer mehr AKP-Anhänger wenden sich ab und warten auf die neue konservative Partei, die der ehemalige Ministerpräsident Davutoglu gründen will In 70 von 81 türkischen Provinzen soll die neue Partei schon in den Startlöchern stehen.

Bei den Verhandlungen zwischen USA, Türkei und der Vertretung der Selbstverwaltung von Nordsyrien über die Umsetzung der Sicherheitszone musste die Türkei nun eine Schlappe hinnehmen: Die Zone wird nicht, wie von der Türkei gefordert, 32 Kilometer breit sein, sondern nur 5 Kilometer und in Ausnahmefällen 9-14 Kilometer, berichtet Alfred Hackensberger in der Welt unter Berufung auf die kurdische Nachrichtenagentur Anha. Lokale Militärkräfte sollen die Zone in Kooperation mit den ca. 1.000 US-Soldaten übernehmen.

Es sollen nur jene Flüchtlinge zurückkehren, die ursprünglich aus der Gegend stammen. Damit ist die türkische Militärpräsenz jenseits der türkischen Mauer wie auch Erdogans Plan, die Demographie zu verändern, vom Tisch. Die türkischen Medien versuchen, aus der blamablen Niederlage noch einen Sieg zu machen, und verkünden bei jeder Gelegenheit, Nordsyrien auf jeden Fall anzugreifen. Trotzig erklärte der türkische Präsident am Montag, einen Tag vor seinem Moskau-Besuch: "Wir gehen davon aus, dass unsere Bodentruppen bald in die Region eindringen werden." Was kaum möglich sein wird, da die USA einen Angriff für absolut inakzeptabel erklärten.

Am 24. August haben die kurdischen Streitkräfte mit dem Abzug aus dem Grenzgebiet begonnen, berichtet Ahvalnews. Ein Videoclip der kurdischen Nachrichtenagentur Anha zeigt den Abzug von Militärfahrzeugen unter Begleitung von gepanzerten US-Fahrzeugen.

Al-Jazeera berichtete, dass sich die SDF nur aus den ländlichen Gebieten zurückziehen, in den Städten aber verbleiben würden. Zudem sollen türkische Einheiten gemeinsam mit den US-Soldaten in der 5 km-Zone patrouillieren. Diese Meldung konnte aber nicht durch andere Medien der Region bestätigt werden.

Sackgasse Idlib

Die zweite Sackgasse, in die Erdogan die Türkei hineinmanövriert hat, ist Idlib im Nordwesten von Syrien. In der Provinz Idlib unterstützt die Türkei islamistische Rebellen im Kampf gegen das Assad-Regime. Nun rückt aber die syrische Armee mit russischer Unterstützung immer weiter in die Region vor und zwingt die Islamisten zum Rückzug.

Ein türkischer Militärkonvoi, der den in Bedrängnis geratenen türkischen Stützpunkt in Morek im südlichen Idlib sowie die Islamisten mit schweren Waffen und Panzern versorgen sollte, wurde letzte Woche von der syrischen Armee bombardiert.

Mittlerweile ist der Stützpunkt von der syrischen Armee eingekreist. Am Dienstag hielt sich Erdogan in Moskau auf, wohl um die blamable Situation für die Türkei noch zu retten. Doch dies scheint nicht gelungen zu sein. Am selben Tag startete die von der Türkei unterstützte Islamisten-Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und mit ihr verbündete andere Islamisten-Milizen einen Angriff im Süden von Idlib auf das syrische Militär.

Dabei sollen mindestens 20 syrische Soldaten und 20 Islamisten ums Leben gekommen sein. Vier Dörfer sollen von HTS unter Einsatz von Autobomben und schweren Waffen eingenommen worden sein. Einen Tag nach dem Gespräch zwischen Erdogan und Putin wurde am Mittwochmorgen der türkische Militärstützpunkt in Shin Magar von der syrischen und russischen Luftwaffe bombardiert.

Dieser Vorfall sollte für Erdogan ein klares Zeichen sein, dass sein Islamisten-Spiel in Idlib beendet ist. Zudem dürfte die Aussage des Kreml-Sprechers unmissverständlich sein: Die Bedenken der Türkei seien zwar verständlich, die gesteigerten Angriffe der Islamisten jedoch besorgniserregend. In Italien erklärte Putin zudem, Russland unterstütze die Offensive der syrischen Armee.

Trotz der klaren Worte aus Russland sprach Erdogan am Rande einer Luft- und Raumfahrtmesse in Moskau, von "einem 'aufrichtigen und engen Dialog' mit Russland. Er glaube, dass die Beziehungen sich weiter vertiefen werden". Das hört sich nach Wunschdenken an, denn Russland hat kein Interesse an einem Regime Change in Syrien zugunsten der sunnitischen Islamisten, die die Türkei favorisiert.

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