Kulalgo-Killings am Abend des 11. August

Versammlung in Kolalgo, um gegen die Razzia in der Nacht vom 11. auf den 12. August zu protestieren, bei der 11 Zivilisten getötet wurden. Bild: AAN

Durch die Recherche von Korrespondenten wurde ein Massaker CIA-geführter Milizen in Afghanistan bekannt

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"Der Westen und seine afghanischen Verbündeten töten mehr Zivilisten, als dies Taliban und IS machen." Zu diesem Fazit kam Emran Feroz auf Grundlage eines UNAMA-Berichts im Mai 2019. Schon vorher gab es immer wieder Beispiele dafür.

Jetzt hat sich die Zahl der Opfer dieser Schattenarmeen erneut erhöht. In den Abendstunden des 11. August töteten CIA-geführte Milizen 11 junge Männer. Wie der Afghanistan-Korrespondent Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network in einer Reportage in der aktuellen Ausgabe des Neuen Deutschland berichtet, spielte sich das Massaker in dem kleinen Ort Kulalgo ab, weit weg von den Plätzen, an denen sich internationale Medien aufhalten. Deswegen dauerte es auch mehr als 2 Wochen, bis die Geschehnisse, die Ruttig prägnant Kulalgo-Killings bezeichnet, bekannt wurden. Umso wichtiger ist die Arbeit der wenigen Journalisten wie Ruttig, die über Afghanistan berichten und sich nicht als bei Nato und Bundeswehr eingebetteten Pressevertreter verstehen.

Den Nato-Opfern Name und Gesicht gegeben

Er liefert das Beispiel einer Recherche, die den Opfern Namen und Gesicht gibt. 6 der Getöteten sind auf der Titelseite des Neuen Deutschland abgebildet. Wahrscheinlich finden sich von den anderen keine Fotos. Das war auch schon bei dem Kunduz-Massaker der Fall, das sich am 4. September zum zehnten Mal jährt. Einer der Verantwortlichen, Oberst Klein, wurde nicht bestraft, sondern befördert. Für die Kuratoren der Ausstellung "Kunduz, 4. September 2009", der Stern-Korrespondent Christoph Reuter und der Fotograf Marcel Mettelsiefen, die den Opfern des Luftangriffs auf einen Tanker ein Gesicht geben wollten, war es nicht möglich, sämtliche Namen der Toten zu recherchieren.

Ruttig hat nun den Ablauf der Kulalgo-Killings genau beschrieben.

Der Angriff des Kommandos begann um etwa 22.30 Uhr, erinnern sich Augenzeugen, darunter Angehörige der Getöteten. Er dauerte bis 3 Uhr nachts. Dann waren elf Menschen tot. Mindestens zwei Hubschrauber setzten uniformierte Bewaffnete an drei Punkten in Kulalgo ab. Möglicherweise, so die Augenzeugen, waren noch andere Flugzeuge in der Luft. Das Dorf ist groß, besteht aus mehreren Weilern mit sogenannten Qalas, von Mauern umgebenen Lehmburgen. Dort gibt es oft mehrere Gebäude, in denen die verheirateten männlichen Mitglieder einer Großfamilie mit ihren nächsten Angehörigen leben.

Thomas Ruttig

Im Folgenden fasst er dann zusammen, was er und seine Kollegen durch Aussagen von Augenzeugen recherchiert haben:

Die Soldaten hätten sich in Gruppen von fünf oder sechs Leuten aufgeteilt. Jede, so sagen sie, sei von einem Amerikaner geführt worden, der einen Dolmetscher - einen Afghanen - bei sich gehabt habe. Unter den Kommandosoldaten, sagen mehrere Augenzeugen übereinstimmend, sei ein "langer Schwarzer" gewesen. Sie begannen, an bestimmte Hoftore zu klopfen. Sie fragten nach den Ausweisen der männlichen Bewohner, überprüften ihre Daten "mit einer Art elektronischem Gerät", wie mehrere Zeugen beobachteten, und baten dann einige heraus. Sie wurden von ihren Familienangehörigen getrennt und in andere Räume geführt.

In Porta Qala, einem der Gehöfte, sprengten die Angreifer das Tor auf, weil niemand öffnete oder die Anwesenden nicht schnell genug waren. Die Wucht der Explosion habe Autos und Motorräder, die im Hof geparkt waren, in Brand gesetzt. Vielleicht, so sagte ein Augenzeuge, habe eines der Flugzeuge über dem Ort eine Rakete abgefeuert. In Porta Qala starben die Brüder Rahatullah, Hekmatullah und Nasratullah, zusammen mit Achtar Muhammad (20). Der arbeitete in Kabul in einem Laden und wurde im Dorf »Disko Boy« genannt, denn er trug immer den neuesten Haarschnitt, rasiermesserscharf und mit viel Gel. Nicht gerade Taliban-Stil. Sie hatten erst in Achtars Dorf zusammen gegessen, waren dann in der Dunkelheit die etwa vier Kilometer zum Gehöft der Brüder gelaufen und hatten sich dort schlafen gelegt.

Die Brüder Schafiullah (25), Physiklehrer am Gymnasium von Kulalgo, und Qari Enamullah (19), unverheiratet, Apothekengehilfe und Koranrezitator, wurden mit ihren Cousins Ansarullah, Student an der Universität von Gardes, verheiratet, mit einer kleinen Tochter, und Hajatullah, Angestellter des Bildungsministeriums in Kabul, in der Qala ihres Vaters erschossen. Der war ein angesehener Stammesführer und musste in seinen letzten Lebensjahren in der Hauptstadt Kabul leben, denn er hatte kein Hehl aus seiner Ablehnung der Taliban gemacht. Als die Soldaten nach den jungen Männern verlangten, folgten diese ihnen und wurden jeweils zu zweit in separate Räume gebracht, während andere Kommandos den Rest der Familie in Schach hielt. Nur eine junge Frau muss Schreckliches befürchtet haben und warf sich schützend über ihren 16-jährigen Bruder Ikramullah. Die Soldaten ließen von ihm ab. Später hörten sie die Schüsse, die die vier Cousins töteten, und fanden deren Leichen, nachdem das Kommando abgezogen war.

Thomas Ruttig

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Anatomie eines Kriegsverbrechens

Was wir hier lesen, ist die Beschreibung eines Kriegsverbrechens. Wenn die bürgerliche Justiz ihren Anspruch ernst nehmen würde, müsste die gesamte Einheit sofort verhaftet und müssten Ermittlungen wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen eingeleitet werden.

Nun hören wir, dass die afghanische Regierung einige der an der Einheit Beteiligten festgenommen hat. Allerdings hat die afghanische Justiz keinen Zugriff auf die an der Aktion beteiligten US-Militärs. Daher müsste die Forderung lauten, dass sofort Ermittlungen in den USA aufgenommen und parallel der Internationale Strafgerichtshof angerufen wird, der aber kürzlich schon gescheitert war, CIA-Mitarbeiter der Folter in Afghanistan anzuklagen (Der Internationale Gerichtshof fügt sich den Drohungen aus Washington).

Bei den beschriebenen Verbrechen gibt es auch nicht wie bei Oberst Klein die Ausrede, hier hätte ein Irrtum mit tödlichen Folgen vorgelegen. Irrelevant ist auch die Frage, ob einige der Ermordeten in irgendeinem Verhältnis zu den Taliban standen. Selbst wenn alle Getöteten Kontakte zu den Taliban gehabt hätten, bliebe ihre Ermordung ein Kriegsverbrechen. Man hätte sie verhaften und vor ein Gericht stellen können, wo die Vorwürfe hätten geklärt werden können.

Wir sollten uns nicht auf die Logik einlassen, dass es schon irgendwie seine Richtigkeit hat, wenn einer, der irgendwie, vielleicht über Verwandte, Kontakte zu "den Bösen", hier den Taliban hat, bei einem Einsatz getötet wird. Eine solche Denkweise wird durch die Drohnenangriffe natürlich gefördert, wo niemand kontrolliert, ob jemand Taliban ist oder sich eben nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufhält. Auch da darf die Kritik aber nicht sein, dass es auch Unschuldige getroffen hat. Nach der Logik des bürgerlichen Rechts waren alle unschuldig, niemand von ihnen stand vor einem Gericht, niemand konnte sich verteidigen, es wurden keine Zeugen der Anklage und der Verteidigung gehört.

Nach der Logik der Drohnenkrieger, und da war der ehemalige US-Präsident Obama Vorreiter, waren diejenigen, die diese Einsätze befahlen, Richter und Henker in einer Person. Trotzdem war es schwer, diese Form der Morde anzuprangern, weil sie so abstrakt blieben. Die Kulalgo-Killings hingegen sind nach dem klassischen Schema der Kriegsverbrechen verlaufen. Eine multikriminelle Mörderbande in Uniform stürmte Dörfer und Häuser und am Ende blieben Leichen zurück.

Warum erwähnen, dass ein afroamerikanischer Soldat bei den Massakern beteiligt war?

Vor 50 Jahren haben solche Massaker in Vietnam die Anti-Kriegsbewegung bestärkt, auch bei den Soldaten. Ruttig zitiert Augenzeugen, dass ein Afroamerikaner aus den USA sich bei den Einheiten hervorgetan habe. Warum ist es wichtig, zu erwähnen, dass ein Afroamerikaner dabei war, wenn doch auch genügend Männer mit anderer Hautfarbe aktiv waren?

Wenn man die Geschichte der Proteste gegen den Vietnam-Krieg betrachtet, ist die Information nicht unwichtig. Auch damals beteiligten sich viele Afroamerikaner als Soldaten am Krieg in Vietnam, weil sie so hofften, Armut und Entrechtung in der US-Gesellschaft zu entfliehen. Damals entstand eine Selbstorganisation der Afroamerikaner, die dazu aufrief, nicht mehr in den Krieg zu ziehen, um in anderen Ländern zu töten, sondern für ihre Rechte in den USA zu kämpfen. Die Black Panther Party brachte das besonders prägnant zum Ausdruck. Auch der Boxer Mohammed Ali hatte erklärt, er habe nie Probleme mit den Vietcongs, sondern mit den weißen Rassisten in den USA gehabt.

Der Aufruf an die Afroamerikaner hatte damals Erfolg. Viele beteiligten sich in den unterschiedlichen Fraktionen der Bürgerrechtsbewegung und waren nicht mehr bereit, für einen Staat, der sie benachteiligt und in Armut hält, in Kriege zu ziehen und andere Unterdrückte zu töten. Heute sitzt wieder ein Präsident im Weißen Haus, der sich als Interessenvertreter des "weißen Amerika" sieht. Noch immer zählt das Leben von Menschen mit anderer Hautfarbe in den USA weniger, worauf die Bewegung Black lives matter aufmerksam gemacht hat. Noch immer versuchen viele Afroamerikaner, Armut und Entrechtung zu entkommen, indem sie andere Arme und Entrechtete, jetzt nicht in Vietnam, sondern Afghanistan töten.

Aus der Geschichte lernen, hieße deshalb, erneut aufzurufen, nicht in die Kriege der Mächtigen zu ziehen, sondern im Land für ihre Rechte zu kämpfen. Es gibt natürlich einen wichtigen Unterschied. Vor 50 Jahren konnten die afroamerikanischen Organisationen im Vietcong einen Bündnispartner sehen, das ist im Fall der Taliban natürlich nicht der Fall.

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