Polizeigewalt und Orbanisierung

Krawalle in Exarchia (Archivbild Dez. 2015). Bild: W. Aswestopoulos

Hintergründe zu den Räumungsaktionen in Exarchia, der Künstler- und Anarchisten-Hochburg, die zum "Montmartre" Athens werden soll

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Dass die Polizei in Griechenland unter einer konservativen Regierung stärker und oft rücksichtsloser durchgreifen würde, war zu erwarten. Schließlich gehörte es zu den Wahlversprechen von Kyriakos Mitsotakis. Er wolle für Recht und Ordnung sorgen, versicherte er im Wahlkampf.

Was das bedeutet, daran ließ die Nea Dimokratia, vertreten durch ihre Spitzenpolitiker, nie einen Zweifel. Sie wolle als Regierungspartei den Ordnungshütern den Rücken stärken, hieß es. Dafür sollten die so genannten Problembezirke des Landes, wie das als Anarchisten-Hochburg bekannte Exarchia in Athen "innerhalb eines Monats gereinigt" werden. Das Narrativ war von Anfang an martialisch.

Gentrifizierung

Tatsächlich stecken hinter dem Interesse der neuen Regierung für Exarchia nicht nur ordnungspolitische Motive. Exarchia, das Viertel rund um den Strefi Hügel, soll zu einer Art Montmartre Athens werden, so der Plan der Politik. Die Gentrifizierung von Exarchia ist keine Erfindung der Nea Dimokratia. Bereits unter der SYRIZA-geführten Regierung von Alexis Tsipras gab es Zwangsräumungen von Hausbesetzungen. Dies gab der frühere Direktor der Parlamentsfraktion und jetzige Abgeordnete von SYRIZA, Kostas Zachariadis, im Fernsehen anlässlich der jüngsten Räumungsaktionen der Regierung Mitsotakis zu.

Am Exarchia-Platz, mitten im Viertel, soll eine neue Metro-Station für die perfekte Verkehrsanbindung sorgen. Das "Goldene Visa Programm", was bereits unter Tsipras galt, hat besonders in Exarchia für Investitionen gesorgt. Mit dem Programm können sich Reiche, anders als die in Booten auf den Inseln ankommenden Flüchtlinge, mit genügend Geld ein Visum und in der Folge auch eine Staatsbürgerschaft Griechenlands kaufen. Den so gewonnenen Zugang zur Europäischen Union wollen viele der Investoren auch mit einem pekuniären Nutzen verbinden.

Das Exarchia-Viertel, von zahlreichen Künstlern und Anarchisten bewohnt, bot sich an. Denn hier konnte Wohnraum, mitten im Zentrum einer europäischen Großstadt, für Preise um 400 Euro pro Quadratmeter erworben werden. Die reinen Baupreise für Wohnraum in Griechenland liegen nach den Aussagen von Bauunternehmern bei über 1000 Euro pro Quadratmeter.

Mittlerweile sind die Wohnungen in Exarchia teurer. Ein Einkauf, wie der eines Chinesen, der allein 100 Objekte erwarb, ist ohne weiteres kaum mehr möglich.

Das Flair des Viertels mit zahlreichen neoklassischen Gebäuden lockt Immobilienkäufer an. Durch den Status der Künstler- und Anarchisten-Hochburg ist Exarchia in vielen Medien präsent und weit über die Grenzen Griechenlands bekannt. Damit sich die Investitionen der Hauskäufer letztendlich lohnen, müssen jedoch die angestammten Bewohner weichen.

Operation "Besen"

Im Sprachgebrauch der griechischen Ordnungspolitik hat sich seit Jahren der problematische Begriff "Operation Besen" durchgesetzt. Damit beschreiben auch die verantwortlichen Politiker Aktionen, bei denen radikal vorgegangen wird.

Seit Anfang der Woche gibt es in Exarchia derartige Aktionen. Der Staatsapparat hat zunächst vor allem die Hausbesetzungen, die Flüchtlinge und Asylbewerber beherbergen, im Fokus. Diese waren auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 jedoch durchaus Teil der Planung der damaligen Regierung.

Leerstehende Wohngebäude in Exarchia waren seinerzeit den Eigentümern eher eine Last, denn eine Kapitalanlage. Bei zahlreichen Objekten im Viertel gab es zusätzlich Probleme, weil sie Erbengemeinschaften und nicht Einzelpersonen gehörten. Der Staat war auf die Menge der Flüchtlinge nicht vorbereitet und begrüßte die privaten Solidaritätsaktionen der Autonomen. Diese verwandelten verlassene und verfallende Gebäude in Herbergen. Bereits unter Tsipras änderte sich das Klima. Erste Hausbesetzungen wurden geräumt.

Der Gewerkschaftschef und seine Ansichten

Am ersten Tag der Aktion, am Montag, den 26. August, ein Tag nach der Vereidigung des neuen Bürgermeisters Athens, Kostas Bakogiannis, wurden 143 Personen vorläufig festgenommen. Bei der Überprüfung der Papiere fanden die Beamten neun Personen, die abgeschoben werden sollen. Die übrigen 134 Personen wurden vorläufig in Hotels untergebracht und sollen danach in die Flüchtlingslager der Provinz verbracht werden. Waffen und Drogen wurden nicht gefunden.

Die jüngste Aktion wurde, wie nicht anders zu erwarten, von den Anhängern der Nea Dimokratia gefeiert. Der Regierung nahe stehende TV-Sender, allen voran SKAI TV, hatten durch frühzeitige Information ihre Kamerateams bereits vor der Räumungsaktion vor Ort.

Bei SKAI wurden Szenen, wie die eines Polizisten, der eine am Boden liegende Frau tritt, nicht gezeigt. Die Fernsehkameras konzentrierten sich eher auf Szenen, die das Großaufgebot der Polizei in Aufmarschstellung zeigten. Zudem beschäftigte sich der Sender nicht mit einer Affäre rund um eine offenbar rechtsextreme Person, die im Umfeld der Bereitschaftspolizei MAT agierte.

Fotografen hatten die Person, die ein T-Shirt der "Opposta Fazione", einer neofaschistischen Fan-Vereinigung aus Rom trug, zusammen mit Polizisten abgelichtet. Dies führte zu einer Untersuchung in den Reihen der Polizei. Offiziell, so behauptet die griechische Polizei in ihrer Stellungnahme, hat der Fan neofaschistischer Politik die Beamten schlicht nach dem Weg zu den Läden des Viertels gefragt. Wer Exarchia kennt, wird an dieser Version durchaus berechtigte Zweifel hegen. So ist es in Exarchia hinsichtlich der eigenen körperlichen Unversehrtheit nicht empfehlenswert, mit einer deutlich sichtbaren griechischen Flagge an der Kleidung durch das Viertel zu spazieren. Dass einzelne, allein unterwegs befindliche Personen mit eindeutig faschistischen Symbolen auf der Kleidung in Exarchia Läden aufsuchen, erscheint zumindest höchst unwahrscheinlich.

Menschen als "Staub" und "Abfall" bezeichnet

Im Studio von SKAI sollte der 51-jährige Sondersekretär und Vizevorsitzende der Griechenlandweiten Vereinigung der Angestellten der Polizei, POASY, Stavros Balaskas, den Erfolg der Aktion kommentieren. Balaskas hatte bei früheren TV-Auftritten nie einen Hehl aus seiner Sympathie für ein hartes Durchgreifen der Polizei gemacht. Er ist Anhänger der Nea Dimokratia.

Balaskas griff im Studio den Begriff "Operation Besen" auf und philosophierte, dass es sich beim aktuellen Vorgehen um "einen lautlosen, elektrischen Staubsauger neuer Technologie, der Polizei" handele, der "langsam, aber sicher allen Abfall in Exarchia einsaugt". Geistesgegenwärtig reagierte die Moderatorin und warf ein, dass Balaskas doch sicher nicht Menschen mit Abfall gleich setzen würde. "Mit dem Vergleich mit Abfall meinen Sie sicher die Gesetzesbrüche und das Phänomen der Gesetzlosigkeit und nicht die Menschen", sagte sie.

Οι δημοσιογράφοι ζήτησαν διευκρινίσεις για τα λεγόμενά του. "Με την παρομοίωση σκουπίδια εννοείται την παραβατικότητα και τα φαινόμενα ανομίας;" ρώτησε η παρουσιάστρια, με τον συμπαρουσιαστή της να συμπληρώνει: "όχι τους ανθρώπους."

"Βεβαίως δεν εννοούμε τους ανθρώπους που αποτελούν μία σκόνη που μπορεί να έχει ενοχλητικό χαρακτήρα αλλά δεν έχει καίριο για τα Εξάρχεια, εννοούμε τα πραγματικά σκουπίδια στις άλλες δέκα καταλήψεις τις οποίες τις έχουν σκληροί ποινικοί, ακροαριστεροί, ακροαναρχικοί, άνθρωποι ιδιαίτεροι, τότε θα έχει μπορεί δημοσιογραφικό ψωμί που θα μπορέσουμε να το συζητήσουμε και εδώ."

Balaskas griff den Rettungsring der Moderatorin nicht auf, sondern ging in seinem Narrativ einen Schritt weiter. Er meinte, dass die Flüchtlinge kein Abfall, sondern nur "lästiger Staub" seien. "Sicherlich meinen wir nicht die Menschen, die nur ein Staub sind, der lästig ist, aber keine Zukunft in Exarchia hat. Wir meinen den wahren Abfall in den anderen zehn Hausbesetzungen, die von harten Verbrechern, Linksradikalen, radikalen Anarchisten, sonderbaren Menschen gehalten werden. Dann wird es Brot für die Journalisten geben, worüber wir dann auch hier diskutieren können", sagte er.

Der Moderatorin verschlug es die Sprache. Wenige Stunden später kam vom Polizeipräsidium des Landes folgende amtlich formulierte Erklärung: "Es wird mitgeteilt, dass auf Befehl des Leiters der Griechischen Polizei, Vizegeneral Michail Karamalakis, die Erklärungen eines Gewerkschaftlers in einer Fernsehsendung hinsichtlich der heutigen polizeilichen Räumungsaktion von vier Hausbesetzungen in Exarchia vom Präsidium der Polizei an die Staatsanwaltschaft Athens weitergeleitet wurden. Gleichzeitig wurde eine eidliche Dienstaufsichtsuntersuchung eingeleitet."

Obwohl Balaskas als Gewerkschaftler im Dauerurlaub vom Dienst ist, hält er einen beamtenrechtlichen Rang inne und wird demensprechend besoldet. Ein Dienstaufsichtsverfahren hat, so es denn tatsächlich zu einem Ergebnis führt, durchaus ernste Konsequenzen. Balaskas kann sich jedoch politischer Unterstützung sicher sein. Der Parlamentsabgeordnete der Nea Dimokratia, Thanos Plevris, im Berufsleben Rechtsanwalt, hat sich bereit erklärt, seine Verteidigung zu übernehmen.

Es ist in Griechenland nicht gestattet, Anwälte bezüglich ihrer Klienten zu beurteilen. Allerdings fällt auf, dass der Politiker Thanos Plevris eine gewisse Affinität zur Verteidigung rechtsradikaler Meinungsäußerungen aufweist. So sorgte er als Advokat seines Vaters, eines notorischen Holocaustleugners, erklärten Antisemiten und hinsichtlich der Selbstbezeichnung überzeugten Nationalsozialisten, Konstantinos Plevris, dafür, dass dessen antisemitische Machwerke straffrei blieben und weiter frei verkäuflich sind. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass sich die Polizeiführung zeitnah von ihrem Beamten distanzierte, die Regierungspartei aber nicht reagierte.

Gewerkschaft vs. Polizeirhetorik

Balaskas versuchte noch am Montagabend zurückzurudern. Er behauptete, dass man ihn vorsätzlich missverstehe. Er habe niemals Menschen mit Staub und Abfall verglichen, meinte er. Seine Gewerkschaft zeigte sich von all dem unbeeindruckt. Mit sofortiger Wirkung setzte der Verwaltungsrat der POASY am Donnerstag seinen Vizevorsitzenden Stavros Balaskas ab. Die Gewerkschaft will darüber hinaus prüfen, wie sie den ihr unangenehmen Beamten mit disziplinarrechtlichen Mitteln ausschließen kann.

Nachträglich sprach der Verwaltungsrat der POASY dem ambitionierten Gewerkschaftler Balaskas die Legitimation zu öffentlichen Stellungnahmen ab. Die Gewerkschaft berief sich auf das eigene Statut. Demgemäß können nur der Vorsitzende und der Generalssekretär der POASY öffentliche Stellungnahmen abgeben.

Polizei vs. Gesetz

Die jüngsten Vorfälle rund um die Räumung in Exarchia sind kein Einzelfall. Sie zeigen vielmehr eine Entwicklung, die mit der Machtübernahme der Nea Dimokratia begann. So drang am 17. August eine aus fünf schwer bewaffneten Beamten bestehende Kommandoeinheit der Polizei in die psychiatrische Klinik des Thriasio Krankenhauses ein, um die einzige diensthabende Ärztin, Afroditi Retziou, festzunehmen.

Das Vergehen der Vorsitzenden des Verbandes der Krankenhausärzte war, dass sie einen Polizeibeamten darauf hingewiesen hatte, dass es gesetzlich verboten sei, die geschlossene Abteilung der Klinik mit Waffen zu betreten. Der Beamte rief das Kommando zu Hilfe und verlangte die Festnahme der Ärztin wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt". Erst das Eingreifen des Krankenhausdirektors vermied den Eklat.

Am 18. August hatte im Evangelismos Krankenhaus in Athen eine Verwandte eines Patienten, eine oberste Richterin, den Eindruck, dass der zuständige Stationsarzt ihren Verwandten "verlassen" habe. Sie rief die Polizei, die anrückte, um den Stationsarzt aufzuspüren und zu verhaften. Es stellte sich allerdings heraus, dass der Arzt schlicht am Ende seiner Schicht den neuen diensthabenden Arzt informiert hatte. Die Richterin zeigte sich uneinsichtig. Sie vertrat den Standpunkt, dass sie "die Macht" repräsentiere und wolle Presseberichten zufolge beim nächsten Mal auf gleiche Art handeln.

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