USA: Rückzug vom Totalabzug in Afghanistan

Bild: US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban soll unterschriftsreif sein, es wird aber weiter gekämpft. Trump ist noch am Überlegen. Frühere US-Botschafter warnen vor einem nächsten Bürgerkrieg

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Auch die Bundeswehr wird in Afghanistan beschossen, meldete das ZDF am vergangenen Wochenende. Im Lager "Pamir", in der Nähe der Stadt Kundus im Nordosten des Landes, soll auf dem Gelände ein "nicht näher identifiziertes Geschoss" eingeschlagen sein. Getroffen oder verletzt wurde niemand, so ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam.

Wie groß der Schock war, ist dem nicht zu entnehmen. Aber Kundus hat eine besondere Bedeutung für den Bundeswehreinsatz. Dort gab es die ersten offensive Bodenoperationen der Bundeswehr und die ersten Todesopfer. Im Oktober 2013 zog das Kontingent ab, im März 2018 kamen deutsche Soldaten zurück (Die Rückkehr nach Kundus). Das zeigt schon einiges über Lage im Land an, aus dem viele nach Deutschland geflüchtet sind, und die Unsicherheit der westlichen Verbündeten darüber, wie Afghanistan stabilisiert werden könnte.

Abzulesen war die Unsicherheit darüber, wie der Afghanistan-Einsatz gegenüber der Öffentlichkeit hierzulande einzustufen ist, in einer längeren öffentlichen Debatte darüber, ob man das Geschehen dort als "Krieg" bezeichnen soll. Dem folgte dann in der jüngsten Vergangenheit die Debatte, ob Afghanistan als "sicheres Herkunftsland" zu bezeichnen sei, was Abschiebungen von Geflüchteten ermöglicht.

Im Lager "Pamir" bei Kundus sind derzeit etwa 80 Bundeswehr-Soldaten stationiert. Insgesamt sind zwischen 1.200 und 1.300 deutsche Soldaten in dem Land im Einsatz, aus dem viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die Basis des deutschen Kontingents ist das Lager "Marmal" in Masar-i-Scharif, ebenfalls im Norden Afghanistans. Darüber hinaus werden laut Bundeswehr deutsche Soldaten auch in Kabul und Bagram eingesetzt.

Der Sicherheitskordon um das Bundeswehrlager Marmal sei auf "drei Kilometer" geschrumpft; Bundeswehrsoldaten würden berichten, dass die Taliban (manchmal auch: Taleban) in das Gebiet zwischen Mazar-i-Sharif und dem BW-Camp Marmal einsickern, meldete kürzlich der auf Sicherheitspolitik spezialisierte Journalist Björn Müller.

Maas: "Bloß nicht überhastet zurückziehen"

Offiziell endet das Mandat für die "Trainings- und Ausbildungsmission" der Bundeswehr im Rahmen der Operation Resolute Support am 31. März 2020. Ob eine Verlängerung beantragt wird, hängt sehr davon ab, wie sich die USA entscheiden.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Frank Fähnrich, hält sich gegenwärtig mit konkreten Aussagen zurück, verweist aber auf das Offensichtliche: "Dass wir im Konsens mit unseren Partnern entscheiden, ist selbstverständlich." Vom Außenminister Heiko Maas kamen im Frühjahr noch andere Töne: "Das schlimmste, was passieren könnte, wäre, sich überhastet aus diesem Mandat zurückzuziehen."

Augenscheinlich entspricht das im Moment auch der Haltung der US-Führung. Sie zögert.

Die Unterzeichnung eines Abkommens zwischen den USA und den Taleban verzögert sich weiter. US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad behauptet zwar, beide Seiten hätten sich "im Prinzip" über den Abzug der ausländischen Truppen und Anti-Terrorismus-Garantien der Taleban geeinigt. Der Text sei "unterschriftsreif", aber das letzte Wort liege bei Präsident Donald Trump [, der das Abkommen noch studiere. Eigentlich hatte das Weiße Haus Khalilzad den 1. September als Frist gesetzt].

Thomas Ruttig

Auch die Taliban seien noch am Überlegen, so der deutsche Afghanistan-Kenner in seinem aktuellen Lagebericht. Es gibt noch einige Probleme: Sie betreffen besonders den sogenannten "innerafghanischen Dialog", der Voraussetzung für ein Friedensabkommen ist.

Die afghanische Regierung war bei den Verhandlungen zwischen der US-Delegation und den Taliban-Vertretern nicht dabei, weil die Taliban die Regierung nicht anerkennen. Die USA verhandelten mit den Taliban unter deren "quasistaatlicher Eigenbezeichnung" (Ruttig) "Islamisches Emirat Afghanistan", was wiederum für die afghanische Regierung völlig unakzeptabel ist.

Stellt sich also die Frage, wie diese beiden Lager zu einem Dialog zusammengeführt werden können, der dann das angestrebte "Friedensabkommen" erbringen soll. Die Kluft ist unübersehbar. Geplant sind die Präsidentschaftswahlen für den 28. September. Die Taliban wollen sie verhindern.

Das sagt einiges darüber aus, welches Verständnis die Islamisten von der künftigen politischen Ordnung in Afghanistan haben. Sie setzen auf Autorität. Zwar hieß es zuletzt in Publikationen, dass sich auch die Taliban verändert hätten und nun ganz dafür seien, dass auch Mädchen zur Schule gehen. Die Frage ist in welche Schulen? (Zur Erinnerung: Die Religionsschulen in den benachbarten Gebieten in Pakistan waren Rekrutierungsanstalten für weltweit agierende Dschihadkämpfer).

Gewaltaktionen auf beiden Seiten

Zuletzt machten Anschläge und Angriffe auf Kabul und Kundus, die den Taliban zugerechnet werden, noch einmal deutlich, wie sehr Gewaltaktionen nicht nur zum Repertoire, sondern auch zum Selbstverständnis der Taliban ("Wir sind stark") gehören. Entgegenzuhalten ist dem allerdings, dass auch die US-Truppen und ihre afghanischen Partner bei den bis jetzt andauernden Kämpfen gegen die Taliban nicht zimperlich vorgehen. Wie auch angesichts der grauslige Gewaltbilanz der US-Truppen in Afghanistan gilt, was man den Taliban vorwirft: Dass es für Vertrauen wenig und für Misstrauen viele Gründe gibt.

"Das zeigt, dass die US-Taleban-Abmachung noch kein Friedensabkommen ist", heißt es im bereits erwähnten Lagebericht von Ruttig, der eine gute Übersicht nicht nur zum Stand der Verhandlungen, sondern auch über die Kämpfe zwischen den USA, afghanischen Truppen und den Taliban bietet.

Der Abzug

Laut US-Chefverhandler Khalilzad gehört zur Abmachung, dass die USA zunächst binnen 135 Tagen fünf Stützpunkte verlassen und an die Regierungstruppen übergeben würden. Wie die Haltung der Taliban, die auf einem Totalabzug bestehen, zu diesem Plan genau aussieht, ist noch nicht öffentlich bekannt. Trump teilte vergangene Woche über Fox mit, dass die USA ihre Truppen nur mehr auf die Stärke von 8.600 reduzieren würden. Die Entscheidung, wie es weitergeht, sei "davon abhängig, was passiert". Er will mehr Zeit.

Indessen warnen ehemalige US-Diplomaten, die in Afghanistan tätig waren, vor dem Risiko, dass der Bürgerkrieg in Afghanistan bei einem Total-Abzug der US-Truppen und ihrer westlichen Verbündeten wieder aufflammen kann. Aus Militärkreisen in den USA kamen in den letzten Wochen laute Einwände. Die New York Times berichtet von Überlegungen in der US-Administration, den Einsatz der CIA auszubauen. Die CIA wird in Afghanistan mit besonders brutalen Aktionen verbunden.

Anfang des Jahres hieß es vonseiten Khalilzads noch, dass ein Rahmenabkommen geschlossen worden sei, in dem sich die USA bereit erklärten, "ihre noch gut 14.000 Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Das wird dann auch die anderen etwa 8500 NATO-Truppen betreffen, darunter 1500 Bundeswehrsoldaten" (Ruttig).

Wie es gerade aussieht, deutet sich wie im Fall Syrien, entgegen der usrprünglichen Äußerungen ein "Rückzug vom Totalabzug" ab (Gen. Joseph Dunford: "Ich würde das Wort 'Rückzug' gerade nicht verwenden. Das wäre voreilig.") Aus einem Krieg auszusteigen, ist schwerer, als ihn anzufangen. Das wäre eine Lektion, die der Afghanistan-Einsatz den Aufrüstungsenthusiasten unter die Nase zu halten hätte. Für die Rüstungsindustrie ist der Fall sowieso klar.

Trump hoffte, dass er mit einer Erfolgsmeldung aus Afghanistan im Wahlkampf als Präsident punkten kann, der den Krieg in Afghanistan beendet hat.

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