Schaden in der Oberleitung

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Der langjährige Stern-Autor und einer der profiliertesten Bahn-Kenner hierzulande zeigt in seinem neuen Buch das Desaster detailliert auf und benennt die Täter, zum Beispiel Rüdiger Grube

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Als Grube auf Vorschlag Mehdorns 2009 an die Spitze der Bahn kam, hatte der Konzern 15 Milliarden Euro Schulden. Als Grube den Konzern 2017 verließ, war die Bahn AG mit 18,6 Milliarden Euro in den Miesen. Die Güterbahn - ein Desaster. Der Nahverkehr - im Abschwung. Der Fernverkehr - ein Ärgernis. Die Bahn in Deutschland - am Abgrund.

Als Bahnchef bezog dieser Manager, der so leise und freundlich sprach und stets aufmerksam zuhörte, etwa im Jahr 2016 insgesamt Vergütungen in Höhe 2,434 Millionen Euro.

Für was? Primär für Versprechungen, die er nicht einlöste. Grubes Wirken an der Bahnspitze beurteilte Anfang des Jahres 2016 das "Manager Magazin" so: "wolkige Strategien", "in Serie gebrochene Versprechen", "miserabler Dienst am Kunden".

Am 30. Januar 2017 verließ Grube die Bahn. Mit seinem Abgang zeigte er aber, dass er Visionen doch umsetzen kann, wenn er will. Wenn es um ihn geht. Es war ein außergewöhnlicher Abgang: Grube warf einfach die Brocken hin, Knall auf Fall. Dann, ein paar Tage später, setzte er sich an den Schreibtisch, um in einem Abschiedsbrief an die "lieben Kolleginnen und Kollegen" um Verständnis für sein Davonrennen zu buhlen. "Wie Sie wissen, komme ich vom Bauernhof. Da habe ich gelernt, was Geradlinigkeit und zu seinem Wort Stehen bedeutet." Vor allem hat er gelernt, für sich abzusahnen.

30 Tage hat Grube im Jahr 2017 offiziell gearbeitet, dann fristlos von sich aus gekündigt. Laut Geschäftsbericht bekam Grube für dieses überaus kurze Arbeitsjahr 2,3 Millionen Euro ausbezahlt. Davon entfielen, wie es im Geschäftsbericht heißt, 2,251 Millionen auf "Bezüge im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung der Tätigkeit". Das sind 76 667 Euro pro Arbeitstag. Ein Skandal.

"Es geht hier", notiert der Bahnexperte Winfried Wolf, "um eine vom Steuerzahler bzw. den Fahrgästen zu finanzierende Großzügigkeit gegenüber einem Großverdiener. Es geht um einen Staatskonzern, dessen Spitzenpersonal gegenüber den 300.000 "normalen" Bahnbeschäftigten niemals von Großzügigkeit gekennzeichnet war und ist." Ein Zugbegleiter bekommt rund 1800 Euro netto, DB-Reinigungskräfte etwa 1 200 Euro, ein Lokführer kommt auf etwa 2500 Euro monatlich.

Offiziell verließ Grube den Konzern aus Verärgerung, weil sein Vertrag statt um drei Jahre bloß um zwei Jahre verlängert worden war - auch wegen schlechter Zahlen, erbärmlicher Gesamtleistung, zunehmender Kritik an seinem Können.

Vielleicht gibt es aber auch eine andere Wahrheit. "So ein, zwei Jahre vor seinem Abgang bei der Bahn", heißt es in einem Artikel der "Welt", habe Grube "aufgehört, für den Job dort zu brennen". Sogar der Tag, an dem ihm das bewusst wurde, lässt sich laut "Welt" genau bestimmen: "Es war der 22. Juli 2016. Grube war damals mit Verkehrsminister Dobrindt auf Bahn-Rundreise, um den riesigen Rangierbahnhof Maschen südlich von Hamburg zu besichtigen. Der Tag war angenehm warm, die Stimmung gut. Bis Dobrindt den Journalisten nebenbei erzählte, 'Gewinnmaximierung' stehe bei der Bahn nicht mehr im Vordergrund. Wichtiger sei ein verlässlicher und stabiler Schienenverkehr. Das dürften Millionen von Bahn-Kunden ähnlich sehen. Grube war stocksauer, zeigte das offen, nämlich so: 'Niemand kann die Rückkehr zur Behördenbahn wollen', zischte Grube damals."

Das ist schon bemerkenswert: Der Bahnchef haut ab, weil von ihm, was selbstverständlich für einen Bahnchef sein sollte, Verlässlichkeit und ein ordentlicher Schienenverkehr verlangt werden.

Dass dieser scheinbar so spontane Abgang aber eine lange im Voraus geplante Inszenierung gewesen sein könnte, zeigt sich an mehreren Dingen: Bevor er am Tag seines Gehens die Aufsichtsratssitzung verließ, sorgte Grube in strategisch weiser Voraussicht dafür, dass der Aufsichtsrat, einen "Auflösungsvereinbarung" für ihn beschloss - ihn also finanziell für was auch immer belohnte.

Und es zeigt sich auch daran, dass Grube schon ein paar Tage danach, schon im Februar, eine neue Firma, die "Rüdiger Grube International Business Leadership GmbH (IBL), im Hamburger Handelsregister hat eintragen lassen, ein Beratungsunternehmen für Mittelständler.

Das Desaster der Deutschen Bahn ist kein Versehen. Es gibt Täter. Sie sitzen in der Bundesregierung, im Bundestag. Und seit Jahren im Tower der Deutschen Bahn, zeigt Arno Luik, langjähriger Stern-Autor und einer der profiliertesten Bahn-Kenner hierzulande, in seinem neuen Buch "Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn" (296 Seiten, 20 Euro, Westend Verlag). Dieser Text ist ein Auszug daraus.

Vor allem aber weiß Grube sich selbst gut zu beraten, jedenfalls beschafft sich der damals 65-Jährige eine ganze Reihe von Jobs, in denen er sein Bahnchefwissen gut einsetzen kann: Er wird "Chairman" für das Investment Banking der Vermögensverwaltung- und Finanzberatungsgesellschaft Lazard. Ist dies der Dank dafür, dass er als Bahnchef, wie der ehemalige MdB Winfried Wolf mutmaßt, "dem Lazard-Konzern satte Aufträge hat zukommen lassen?"

Außerdem wird er Vorsitzender des Beirats der Schockemühle Logistics GmbH und wird - so wichtig wie anstößig - am 21. Juni 2017, mit Zustimmung des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, Aufsichtsratschef der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA).

Dass er diesen Job so rasch nach seinem Bahnabgang bekommt, ist politisch fragwürdig: Denn HHLA ist mit ihrer Bahntochter Metrans im Güterverkehr unterwegs, und zwar mit großem Erfolg. Grube, der mit all seinem Insiderwissen all die Probleme und Schwachstellen bei DB Cargo bestens kennt, kann nun mit diesem Wissen den Erfolg des Konkurrenten Metrans noch vergrößern und DB Cargo so noch weiter in die Miese treiben.

2019 wird Grube auch noch Aufsichtsratschef beim Technikkonzern Bombardier. Ein Zufall? Oder ist auch das eine Honorierung dafür, dass er als Bahnchef dort viele Züge geordert hat (die häufig Qualitätsprobleme hatten, Verspätungen provozierten)?

Und dann, vermutlich last but not least, ist Grube seit seinem Abgang auch noch, wie schon erwähnt, Berater beim Tunnelbauer Herrenknecht. Ist auch dies ein Dank dafür, dass Grube als Bahnchef diesem Tunnelbauer viele und lukrative Aufträge hat zukommen lassen? Ist es ein Zufall, dass nun in Hamburg daran gedacht wird, die Köhlbrandbrücke, die über den Hamburger Hafen führt, durch einen Tunnel zu ersetzen? Wer würde davon profitieren?

Und bei noch etwas ist Grube hyperaktiv, bei einem Projekt namens Hyperloop: Danach sollen Güter in Röhren nahezu mit Schallgeschwindigkeit transportiert werden. Wer könnte davon profitieren? Natürlich Tunnelröhrenexperte Herrenknecht.

Über diese Art von Dank-Anschluss-Jobs hat der vor wenigen Jahren verstorbene SPD-MdB Hermann Scheer so geurteilt: Das sei "die deutsche Form von Korruption", bezahlt werde nach Aufgabenerfüllung.

Am 2. November 2017 gibt es eine Feierstunde für Rüdiger Grube in der Hamburger Universität. Er bekommt den Titel eines Ehrenprofessors verliehen. Die Laudatio auf ihn hält ein anderer ehrenwerter Mann: Hartmut Mehdorn. "Mission - Mut - Moral. Treiber statt Getriebener" heißt der Titel von Grubes Antrittsrede als Professor h. c. In ihr sagt er Wichtiges. Wir müssten die "Gesellschaft, in der wir leben, aktiv gestalten". Und "dazu gehört auch", sagt er, "dass wir uns verpflichtet fühlen, jungen Menschen Orientierung, Halt und Werte zu vermitteln." Und notwendig sei es immer, sagt er, "Offenheit, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit" zu praktizieren.

Sagt er, ehrlich, dieser ehrenwerte Rüdiger Grube.

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