Brexit: Unterhaus verweigert auch nach Inkrafttreten des No-No-Deal-Gesetzes Neuwahlen

Grafik: TP

Das Parlament fordert von Regierung außerdem, die komplette Kommunikation zu ihren Brexit-Verhandlungen und -Planungen herauszugeben

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Gestern gab die britische Königin dem am letzten Mittwoch vom Unterhaus und am Freitag vom Oberhaus verabschiedeten No-No-Deal-Gesetz ihren "royal assent" ihr "königliches Einverständnis". Das Gesetz soll Boris Johnson zwingen, in Brüssel einen vorformulierten Antrag auf eine weitere Verschiebung des Austrittstermins aus der EU zu stellen.

Die Bedingung, die Oppositionsführer Jeremy Corbyn letzte Woche zur Zustimmung seiner Labour Party zu Neuwahlen gestellt hatte, wäre damit erfüllt. Corbyn hatte jedoch bereits am Freitag verlautbart, dass er Johnson entgegen dieser Aussage am Montag doch nicht für solche Neuwahlen stimmen lassen wird (vgl. Brexit: Labour hält sich nicht an Neuwahl-Versprechen), was dann gestern auch geschah.

Hätte die Labour Party für die von Boris Johnson gewünschten Neuwahlen am 15. Oktober gestimmt, dann hätte sie diese womöglich verloren. Nicht nur, weil die Tories in der aktuellen YouGov-Umfrage für die Sunday Times mit 35 zu 21 Prozent einen deutlichen Vorsprung vor Labour haben, sondern auch, weil Nigel Farage am Donnerstag twitterte, seine Brexit Party, die im Mai die Europawahl gewann, sei zwar organisatorisch und finanziell für Unterhauswahlen bereit, werde aber "das Land vor die Partei stellen, wenn Boris Johnson auf einen sauberen Brexit zugeht". Dann könne man "die Wahlen zusammen gewinnen". Gestern ergänzte er, seine Gruppierung werde in keinem Wahlkreis antreten, in dem ein Tory kandidiert, der einen No-Deal-Ausstieg verspricht.

Zudem sind die Tories durch Austritte und durch den Ausschluss der abtrünnigen "Gaukeward Squad" (vgl. Brexit: Unterhaus verabschiedet Verlängerungszwang) einige Popularitätsproblemfälle losgeworden, die für einen Verbleib in der EU standen und ihre Wahlkreise, in denen 2016 oft klare Mehrheiten für einen Ausstieg votiert hatten, 2017 teilweise nur sehr knapp gewannen. Bei der am Wochenende aus dem Kabinett und der Fraktion ausgetretenen umstrittenen Ex-Ministerin Amber Rudd waren es beispielsweise bloße 346 Stimmen, die vor zwei Jahren für den vorläufigen Fortgang ihrer politischen Karriere sorgten. Ob diese Ex-Tories ihre alten Wahlkreise gewinnen können, wenn sie als Unabhängige antreten, ist angesichts der gleich doppelten Remainer-Konkurrenz durch Liberaldemokraten und Labour zweifelhaft.

Prorogation bis 14. Oktober

Nach der Abstimmung begann gestern die "Prorogation", eine von der Regierung beantragte und von der Königin genehmigte Parlamentspause, die dieses Mal bis zum 14. Oktober dauert. Der ehemalige Tory-Premierminister John Major und einige Unterhausabgeordnete hatten gegen diese Prorogation mit der Begründung geklagt, die Pause lasse dem Parlament zu wenig Zeit, einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Angesichts des letzte Woche verabschiedeten No-No-Deal-Gesetzes scheinen diese Klagen eher obsolet. Entsprechend wenig überraschend wies ein Edinburgher Gericht eine davon ab. Ebenso entschied der Londoner High Court, der jedoch eine Berufung vor dem Supreme Court zuließ.

Dass das No-No-Deal-Gesetz verabschiedet wurde und dass Boris Johnson auf Fragen dazu mehrfach versicherte, er werde sich "an das Recht halten", schließt nicht aus, dass der Premierminister nach juristischen Schlupflöchern zu dessen Umgehung sucht. Vielleicht haben er und seine Juristen sogar schon welche gefunden. Das Unterhaus verabschiedete deshalb mit 311 zu 302 Stimmen gestern noch eine Forderung an die Regierung, die komplette Kommunikation zu ihren Brexit-Verhandlungen und -Planungen herauszugeben. Ob das Unterhaus diese Forderung auch durchsetzen kann, ist noch unklar.

Hofft Johnson auf eines der EU-Mitgliedsländer?

Auch wenn Boris Johnson den vom Parlament vorformulierten Verlängerungsantrag stellt, ist nicht sicher, dass das Vereinigte Königreich länger als bis zum 31. Oktober in der EU bleibt. Frankreich oder ein anderes EU-Mitgliedsland könnten nämlich das Genehmigen einer erneuten Verlängerung bis zum 31. Januar verweigern, um Verzögerungen im EU-Rat und im EU-Parlament vorzubeugen. Zwar haben sowohl die amtierende als auch die designierte EU-Kommission durchblicken lassen, dass sie einem "begründeten" Antrag auf ein weiteres Verschieben des Austrittstermins stattgeben würden - aber die Entscheidung liegt letztendlich bei den Mitgliedsländern und muss einstimmig fallen.

Ebenfalls möglich wäre, dass die anderen EU-Mitgliedsländer zwar zustimmen, aber als Austrittstermin nicht den 31. Januar, sondern einen weit in der Zukunft liegenden Termin ansetzen. Möglicherweise in der Hoffnung, dass sie auf diese Weise einen Austritt ganz abwenden können. In diesem Fall könnte im britischen Unterhaus eine andere Mehrheit zustande kommen, falls deutlich mehr Abgeordnete fürchten, die britischen Wähler könnten sich nachhaltig gefoppt vorkommen, wenn man ihre Referendumsentscheidung von 2016 derart offen missachtet. Kommt diese Mehrheit jedoch nicht zustande, und widerspricht das Unterhaus der Verlängerungsgenehmigung mit geändertem Termin nicht, dann könnte das Vereinigte Königreich in so einem Fall theoretisch bis zum Sankt Nimmerleinstag in der EU verbleiben.

Varadkar: Neuer Deal nicht ausgeschlossen, aber nicht vor dem nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober

Boris Johnson selbst wiederholte bei seinem gestrigen Besuch beim irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar, er wolle "einen Deal erreichen". Einen Austritt ohne einen solchen Handel könne das UK zwar "sicherlich überstehen", aber er wäre seinen Worten nach ein "Versagen der Staatskunst", für das dann alle Beteiligten die Verantwortung tragen müssten.

Johnsons irischer Gesprächspartner gab sich bezüglich dieser Möglichkeit weder komplett optimistisch noch komplett pessimistisch, schränkte aber ein, dass ihm das bloße Versprechen einer weiterhin offenen Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland nicht reiche, weshalb er die von den Briten abgelehnte "Backstop"-Verbleibsklausel weiterhin für einen "wesentlichen Bestandteil" des Austrittsabkommens halte. Akzeptable Alternativen dazu habe ihm Johnson auch am Montag nicht unterbreitet. Dass das noch geschieht, schließt er nicht aus - aber er glaubt nicht, dass man sich vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober einigt.

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