Franco A. und das "Westfernsehen"

Bild: Bundeswehr/CC BY-SA-2.0

Über den Offenbacher Soldaten, der sich eine Legende als syrischer Flüchtling zulegte, weiß das Redaktionsnetzwerk Deutschland Neuigkeiten zu berichten

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Soll das der Sellner sein, konnte man sich vor einiger Zeit fragen, wenn man in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) blätterte und auf einen anspruchsvoll aufgemachten Artikel stieß. Eingerahmt von einer treu sorgenden Mutter und einer sittsamen Freundin war jemand mit halblangem Haar und gestutztem Bart porträtiert, der "wie ein Künstler oder ein Student der Philosophie" aussehen sollte. Ein bisschen jung, ein bisschen cool, ein bisschen trendig - wie sich Rechtsradikale gern darstellen, wenn sie sich einen "bürgerlichen" Anstrich verleihen wollen, bürgerlich freilich nach der Definition von Alexander Gauland. Verstärkt wurde die Assoziation durch die Technik der Illustration, die an die Autorenbilder in Kubitscheks Zeitschrift Sezession erinnerte.

Doch der NZZ ging es in ihrer dreiteiligen Artikelserie nicht um den Wiener Identitären Martin Sellner, sondern um den ehemaligen Oberleutnant Franco A. aus Offenbach, der vor zwei Jahren, am 26.4.17, unter Terrorverdacht festgenommen wurde, weil er sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und die Behörden 16 Monate lang getäuscht hatte. Bei Durchsuchungen wurden Waffen, Munition, Nazi-Schriften und Namenslisten prominenter Personen gefunden, die in rechtsradikalen Kreisen als links oder antifaschistisch gelten.

Der Verdacht liegt nahe, dass eine kleine Gruppe von Soldaten ein Attentat plante, für das ein Flüchtling verantwortlich gemacht worden wäre, dem A. mit einschlägiger Phantasie auch noch den jüdisch klingenden Namen "David Benjamin" verpasst hatte.

Insbesondere durch Recherchen der taz stellte sich später heraus, dass A. an einem Prepper-Netzwerk aus Soldaten und Reservisten teilnahm, das von einem Mann mit dem Decknamen Hannibal koordiniert wird und nach außen als eingetragener Verein "Uniter" auftritt, der sich angeblich um Kontaktpflege, Betreuung ehemaliger Soldaten, Weiterbildung u.a.m. kümmert. Prepper sind häufig Rechtsextreme, die sich auf einen durch ein Katastrophenereignis ausgelösten Tag X vorbereiten, an dem sie losschlagen wollen, um das Abendland zu retten und den vermeintlichen "großen Austausch" rückgängig zu machen. Sie agieren als ein potentieller militärischer Arm der Naziszene, und wenn man es recht bedenkt, trifft die Bezeichnung "Armeefraktion" auf sie viel besser zu, als es weiland bei der RAF der Fall war.

Vor diesem Hintergrund wäre Franco A. eine ziemlich große Nummer, mit der sich zu Recht die Bundesanwaltschaft befasst. Ob sein Fall das wirklich hergibt, wollte die NZZ klären: "Was für ein Mensch ist Franco A.?" Ihre Berliner Korrespondenten Benedikt Neff und Marc Felix Serrao trafen sich mehrfach mit dem 30-jährigen Mann, sprachen mit seiner Mutter, seinem Bruder, seiner Freundin und werteten "Hunderte Seiten Akten, Audiodateien und Handyvideos" aus. Bilanz: "Am Ende unserer Recherche zum Fall Franco A. müssen wir einräumen, dass wir auch nicht wissen, was Franco A. genau vorhatte." Für eine Recherche ist das ein betrübliches Ergebnis. Für den Soldaten ist es ein Freispruch mangels Beweisen durch eine ziemlich angesehene Zeitung. Sein Aufwand hat sich gelohnt.

Wenn einer inkriminierten Person nämlich nichts nachgewiesen werden kann, dann neigt man unwillkürlich dazu, den verharmlosenden Geschichten ihrer unbescholtenen Umgebung Glauben zu schenken. Die NZZ ist voll davon. As Freundin will von seinem Doppelleben als vermeintlicher syrischer Flüchtling nichts mitbekommen haben, bevor die Medien davon berichteten. Eingeweiht war sie allerdings, als A. bei einem gemeinsamen Ausflug zum Wiener Offiziersball angeblich in der freien österreichischen Natur eine Waffe fand. "Typisch Franco", findet die Freundin, ein "sehr, sehr neugieriger Mensch", der den Dingen auf den Grund gehen wolle und auch mal unter ein Gebüsch fasst, wenn dort etwas funkelt. Seine Freundin wird von der NZZ als Mitglied der Linkspartei vorgestellt, was ihrer Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang zuträglich wäre, aber nicht nachprüfbar ist, weil sie anonym bleibt.

Ein neuer Hauptmann von Köpenick

Als nächstes kommt die Mutter in die Zeitung: "Ich kenne meinen Sohn." Er sei "in den Medien (außer in der NZZ) als Monster dargestellt" worden, das weiß sie ganz sicher. Immer fleißig, anständig und hilfsbereit sei er gewesen und ein beispielhaft guter Schüler. Über seine Nazi-Ansichten, die er bereits als Teenager entwickelte - gekränkter Nationalstolz, Entscheidung für eine militärische Karriere, Führer- und Putsch-Phantasien gegen die "Besatzung Deutschlands", jüdische Weltverschwörung - hat sie mit ihm nie gesprochen oder die NZZ hat sie nicht danach gefragt.

Für seine Tarnung als Syrer gibt die Mutter die gleiche Begründung, wie sie die rechtsradikale Szene gefunden hat. Mit einer Art Wallraff-Projekt habe er die Missstände der deutschen Flüchtlingspolitik aufdecken wollen. Sie vergleicht ihn mit dem Hauptmann von Köpenick, eine kühne Idee, um Franco A. den Nimbus deutscher Leitkultur zu verleihen. Jetzt steht er schon auf einer Stufe mit Heinz Rühmann.

Dann ist sein älterer Bruder dran, eine frühere Klassenkameradin, ein Kamerad. Sie alle geben Franco A. Bestnoten. Einen kritischen Zeugen präsentiert der Artikel nicht. Dabei ist der Familie nicht entgangen, dass der Soldat Prepper-Vorräte "für einen potenziellen kriegerischen Notfall" anlegte. Doch die NZZ-Journalisten verzichteten darauf, nach einer Besichtigung des Kellers zu fragen, um in Erfahrung zu bringen, welche Lebensmittel, Werkzeuge und andere nützliche Dinge die Familie für den Tag X noch hortet, nachdem die ursprünglich dort lagernde Munitionskiste leider beschlagnahmt wurde.

Natürlich breiten Neff und Serrao auch die schwerwiegenden Verdachtsmomente gegen Franco A. aus. Damit sorgen sie pro forma für Ausgewogenheit. Doch von dem Bild des schrecklich netten Jungen aus einer schrecklich netten Familie zeigen sie sich sichtlich beeindruckt. Als die Unterhaltung mit As Mutter die Reaktion der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen streift, bricht die Parteilichkeit der NZZ durch. Die Ministerin habe "ihre eigene Truppe auseinandergerissen", findet die Mutter. Das baut die Zeitung gern aus. Von der Leyen habe ihre Untergebenen "kollektiv zusammengestaucht". Außerdem sei sie den Beweis für ihre Behauptung, die Bundeswehr habe ein Haltungsproblem, schuldig geblieben.

Die von Rechten geliebte NZZ

An dieser Stelle hätte es sich angeboten, das Gespräch auf die "Feindesliste" zu lenken, die bei Franco A. und seinen Freunden von der Chatgruppe Nordkreuz kursierte, wo kürzlich ein erhebliches Munitionsdepot sichergestellt wurde. 25.000 "flüchtlingsfreundliche" Personen sollen darauf vermerkt sein. Über einige hat sich Franco A. eigene Notizen gemacht.

Was meint der Bruder dazu, welche Erklärung hat die Freundin von der Linkspartei? Wollte der "Hobby-Ermittler" mit Heiko Maas oder Claudia Roth in Kontakt treten, weil er so neugierig war? Oder Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, einmal persönlich kennenlernen? Auch den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck hatte er im Visier.

Aus As Handydaten geht hervor, dass er am 22.7.16 nach Berlin fuhr, um die Tiefgarage unter den Büros der Amadeu Antonio Stiftung in Augenschein zu nehmen. Die dort parkenden Autos fotografierte er, von der Umgebung fertigte er einen Lageplan an. Diese ungewöhnlichen Aktivitäten werden, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland jetzt berichtete, durch handschriftliche Notizen des Ex-Offiziers ergänzt, die sich wie ein Reiseplan lesen.

Der Trip hätte, wenn er denn stattgefunden hätte, von Offenbach nach Berlin, von dort zurück in seine Kaserne bei Straßburg, dann nach Bayreuth und schließlich zur Asylunterkunft im bayrischen Erding geführt. In Berlin wollte er einen Komplizen treffen, der eine Schrotflinte mitbringen sollte. In Erding wäre er dann wieder David Benjamin gewesen. Der Kauf einer BodyCam stand ebenfalls auf der ToDo-Liste.

Auch ohne diese neuen Informationen enthalten die "Hunderte Seiten Akten, Audiodateien und Handyvideos", die der NZZ vorliegen, sicher genügend Stoff, um eine Befragung von Franco A. und seiner Familie weniger empathisch ausfallen zu lassen wie jene, die von Benedikt Neff und Marc Felix Serrao veranstaltet wurde. Die wirkt, um es mit einem Wort zu sagen, wie gestellt. Als Leser gewinnt man den Eindruck, dass die Befragten gut vorbereitet waren, wahrscheinlich durch Franco As Anwälte. Dort sind auch die Informanten zu suchen, die der Zeitung die Akten zuspielten. Die Anwälte haben ihren Mandanten auf Sellner getrimmt; den Identitären kann man ja nichts nachweisen.

Warum auch nicht? Den Klienten zu verteidigen, ist ihr Job. Allerdings ist es nicht die Aufgabe von Journalisten, eine Rolle in einer solchen Inszenierung zu übernehmen. Die NZZ hat es aber doch getan, weil sie im breiten Strom des medialen Mainstreams hart am rechten Ufer navigiert. Das hat ihr die Zuneigung deutscher Erzkonservativer eingetragen, die sich auch sonst - häufig aus einschlägig bekannten Gründen - der Schweiz verbunden fühlen. So pries Hans-Georg Maaßen das Blatt als "Westfernsehen", womit er sagen wollte, dass man heute, wie damals in der DDR, nur noch ausländischen Medien trauen könne.

Klar, die NZZ hat in Chemnitz keine Hetzjagden ausgemacht. Dafür liebt sie der ehemalige Verfassungsschützer. "Hexenjagden" gegen Pegida, die AfD oder eben gegen Franco A. erkennt sie dagegen gern. Und sie wird nicht müde, die Schweizer vor übertriebener Hast bei der Stilllegung ihrer antiken Atomkraftwerke zu warnen. Empfiehlt sie sich schon für Straches, pardon: für Kubitscheks "Projekt", das nach den Wahlerfolgen in Brandenburg und Sachsen "ergänzt und vervollständigt" werden müsse? "Was fehlt, ist die eine große Zeitung, der eine große Sender, der sich entschlösse, das alternative Milieu wohlwollend abzubilden und zu Wort kommen zu lassen", so Kubitschek (Der AfD fehlen Experten und ein "wohlwollendes" großes Medium).

"Wohlwollend" trifft es gut. Franco A. ist in der NZZ auf ausgesprochen viel Wohlwollen gestoßen, sozusagen das Gegenteil von Nulltoleranz. Bleibt es dabei? Anderthalb Monate nach dem Artikel wurde Walter Lübcke erschossen.

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