Klassenkampf und weißes Rauschen

Oswald Spengler und die Feuchtgebiete III

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Und jetzt wieder das ganz dünne Eis. Kann man schreiben, dass die Demokratisierung der Medien mit einem Absinken der Qualität zu tun hat? Wo jeder ein bisschen schreibt, filmt, fotografiert, postet, twittert, dass sich da Mittelmaß einstellt? War es mit den alten (Medien)Eliten besser? Den Großschriftstellern? Den Großkritikern? Den Adeligen mit den "von"s und "zu"s im Namen in den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten? Den Edelfedern in der "Zeit"? Und was war dann Fassbinder genau? Demokratischer Anti-Elitarismus? Proletarische oder elitäre Boheme?

Medien, das war auch die Rangfolge in Sachen Aneignung durch die Unterprivilegierten. Denn Medien lassen sich als Produktionsmittel fassen, sind damit ein Kostenfaktor und ihre Nutzung ist von der Kapitalkraft des Produzenten abhängig. Als Kostenfaktor wiederum stehen die Medien zueinander in einer Hierarchie, die auch vom jeweiligen historischen Stand der Technik abhängt.

Sind so Medien als Produktionsmittel fassbar, lässt sich auch die Beziehung von sozialen Klassen bzw. Klassenorganisationen zu diesen Produktionsmitteln betrachten. Es ist dabei wenig verwunderlich, dass mit zunehmenden verfügbarem ökonomischen Kapital auch die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel Medien zunimmt. Regis Debray hat mit seiner Untersuchung über die Macht und Ohnmacht der Intellektuellen in Frankreich sehr anschaulich die Abhängigkeit der Sinnproduzenten, der Produzenten des Immateriellen - also zum Beispiel eines Essays - von der Materialität und damit den Besitzverhältnissen innerhalb der Medienbranche (das Erwähnen eines Autors in einer angesehenen Tageszeitung steigert die Buchauflage enorm) geschildert.

<ZU>Soziale Mediologie<ZU>

Gerade für die soziale Klasse der Arbeiter respektive ihrer Klassenorganisationen war es angesichts der bürgerlichen (Medien)Macht eine historisch wichtige Aufgabe, Zugang zu medialen Produktionsmitteln zu erlangen um zum Beispiel eine eigene Zeitung herauszugeben und damit der bürgerlichen Presse Paroli bieten zu können.

Betrachtet man nun ergänzend zur Geschichte der Arbeiterpresse die Geschichte der Arbeiter-Medien im historischen Verlauf, so lässt sich eine Medien-Hierarchie feststellen, was die Nutzung durch die Klassenorganisationen der Arbeiter betrifft. Und wiederum verwundert es wenig, dass diese "Klassen-Nutzung" bzw. das Ausmaß dieser Nutzung in Zusammenhang mit den spezifischen Produktionskosten der jeweiligen Medienbranche steht. Wir haben es hier mit einer Art "sozialer Mediologie" zu tun, also der Betrachtung der Materialität eines Mediums in Hinsicht auf die zur Nutzung notwendigen Ressourcen an ökonomischen Kapital.

Das "billigste", weil ohne ökonomische Ressourcen einsetzbare Medium ist die Sprache, ich kann mich meinem Arbeitskollegen oder meinem Nachbarn mitteilen, auch wenn ich keinen Cent in der Tasche habe. Das der Sprache folgende Medium auf der Stufenleiter des zur Nutzung nötigen Kapitaleinsatzes nach oben ist die Schrift beziehungsweise der Druck. In den Ländern, in denen die Volksbildung das Lesen und Schreiben einschließt, also in der Regel die industrialisierten Länder seit Beginn des 20. Jahrhunderts, war die Schrift, das gedruckte Wort das bevorzugte Kommunikationsmittel der Arbeiter-Organisationen.

Es lässt sich parallel zur Entstehung der Arbeiterorganisationen nicht nur das Anwachsen der Arbeiterpresse mitverfolgen, sondern der Bleistift oder die Feder wird auch zum Produktionsmittel individueller Texte wie der Arbeiterdichtung oder der Arbeitererzählungen. Die Schrift war das der Arbeiterklasse in Hinsicht auf den notwendigen Kapitaleinsatz neben der Sprache "naheliegendste" Medium. Für die Arbeiterorganisationen war das gedruckte Wort, die Zeitung und die Zeitschrift das bevorzugte Medium. Die dazu notwendige Technik war ausgereift, weitverbreitet, relativ unkompliziert und dadurch mit geringem Kapitaleinsatz verfügbar.

War die Presse das verbreitetste Kommunikationsmittel der Arbeiterbewegung, stellten demgegenüber Medien wie der Film, der Rundfunk oder Jahre später das Fernsehen aufgrund der neuen Technik und des damit verbundenen hohen Kapitalaufwandes wie auch staatlicher Reglementierung nahezu unerschwingliche Produktionsmittel für Arbeiterorganisationen dar.

Intimisierte Öffentlichkeit

Heute geht es freilich nicht mehr um Arbeiterorganisationen, sondern um das Phänomen einer umfassenden Demokratisierung der Medien. Book on Demand, You Tube, Instagram, Twitter, Facebook, der eigene Blog und die eigene Website - darauf Bilder, Texte, Töne - alles produzierbar zu geringen Kosten, jeder Empfänger ein Sender - und jetzt? Jetzt ist in vielen Ländern - Kambodscha etwa oder Äthiopien - Facebook das erste und kostengünstigste Medium (zum Beispiel der politischen Opposition).

Gewiss, es ist nicht neu, aber: Wir haben es mit einem tiefgreifenden Medienwandel zu tun, dessen Ausmaß erst nach und nach sichtbar wird. Eines seiner markantesten Merkmale ist der ungefilterte Zugang zur öffentlichen Sphäre. Und wir erschrecken nun, dass das "weiße Rauschen" des Internets mittlerweile vor allem ein Rauschen der Hass-Kommentare und der Rechtspopulisten ist.

Donald Trump und Boris Johnson wenden sich über social media direkt an "ihre" Bürger, es bedarf keines (womöglich kritischen) Journalismus mehr, der vermittelt. Das Internet wird zur Echokammer eines Raunens, das den Rechtsdrall in der Gesellschaft begleitet. YouTube als mediale Struktur unterstützt die Radikalisierung der Nutzer nach rechts, so lautet ein Ergebnis einer Analyse des Informatikers Manoel Ribeiro. Er zeigt auf, wie im Laufe der Zeit nach und nach die Kommentarschreiber immer mehr zu Portalen wandern, die offen rassistische und nationalistische Positionen einnehmen. Die Würzburger Soziologin Elke Wagner spricht dazu von intimisierter Öffentlichkeit, vollgepumpt mit privaten, hochemotionalen Meinungen.

Dieses weiße Rauschen braucht keine Debatte mehr, ist nur noch anschwellendes Geräusch. Es geht nicht mehr um das Argument, sondern um das privat Erlebte. Waren die Medien früher ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und Wegmarken im Gelände der sozialen Kämpfe, ist das Internet heute die Arena der Selbstentblößung, in dem die braunen Feuchtgebiete gedeihen. Die Hoffnung auf ein Internet als "Demokratisierungsmaschine" sei enttäuscht worden", so die Soziologin.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.