Typisiert, seriell, vorfabriziert - und trostlos?

Dymaxion House von Richard Buckminster Fuller im Henry Ford Museum. Bild: Rmhermen / CC-BY-SA-3.0

Was es kulturell heißt, wenn der Wohnungsbau rationalisiert wird

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Der ehemalige tschechische Präsident Vaclav Havel fragte sich einmal, was passieren würde, wenn man Ökonomen die Aufgabe übertrüge, die Arbeit eines Sinfonieorchesters zu optimieren. Seine Antwort: Wahrscheinlich würden sie in Beethovens Konzerten alle Pausen streichen. Denn man könne die Musiker nicht dafür bezahlen, dass sie nicht spielen. Doch heute scheint nicht nur die Wirtschafswissenschaftler vom Leitbild des homo oeconomicus förmlich besessen - und für das Verstehen menschlicher Handlungen geradezu blind.

Allein, angesichts der aktuellen Wohnungsfrage wären Ökonomie und Humanismus neu auszutarieren. Schließlich geistert das Schreckgespenst von der Wohnungsnot durch fast alle Großstädte und viele Mittelzentren im Land. Doch so drängend die derzeitigen Probleme auch sein mögen, neu und einzigartig sind sie nicht. Unter dem Druck der Verhältnisse wurde bereits mehrmals darauf hingearbeitet, Behausungen in ausreichender Menge und zu erschwinglichen Kosten verfügbar zu machen.

Auch die vor einiger Zeit von der Bundesregierung eingesetzte Baukostenkommission erwartet eine merkliche Kostenreduzierung durch eine stärkere Industrialisierung des Wohnungsbaus. Kosteneinsparpotenziale ergäben sich durch eine höhere Standardisierung, durch die der Planungsaufwand reduziert werden könne. Eine höhere Automatisierung könne lohnintensive Arbeiten verringern und dem aktuellen Arbeitskräfteengpass im Baugewerbe entgegenwirken. Eine weitgehende Vorfertigung im Werk ermögliche einen ganzjährigen witterungsunabhängigen Produktionsprozess. Zudem könnten diese Verfahren zu verkürzten Bauzeiten führen, was zur Reduzierung der Kosten ebenso beitrüge wie zu einer zügigeren Bereitstellung von Wohnraum. Neben den Kostenaspekten wird von einer seriellen und modularen Bauweise zudem ein höheres Maß an Präzision und an Qualität erwartet.

Die erhofften Effekte bei den Kosten und Qualitäten hängen freilich in hohem Maße vom Mengeneffekt ab. Erst eine Produktion in höheren Stückzahlen und eine Wiederholung der Prozesse führt zu deutlichen Erfolgen bei Kosten und Qualitäten. Dabei erschweren unterschiedliche Regelungen in Landesbauordnungen und der sozialen Wohnraumförderung einen bundesweiten Einsatz von Systembaukonzepten. Zudem erfordern industrialisierte Bauprozesse hohe Vorlauf-Investitionen in den Produktionsbetrieb. Diese Anlagen werden jedoch nur dann getätigt, wenn mit einer auskömmlichen Nachfrage zu rechnen ist.

Bis auf einige wenige größere Wohnungsunternehmen ist die Struktur der Unternehmen in Deutschland durch viele kleine und mittlere Wohnungsunternehmen und Genossenschaften geprägt, die als Einzelne kaum ausreichend große Absatzmengen erzielen. Eine stärkere Kooperation der Wohnungsunternehmen untereinander und mit der Bauwirtschaft könnte die Voraussetzungen für eine breitere Anwendung deutlich verbessern.

Anlieferung von Großtafeln in Karl-Marx-Stadt (1975). Bild: Deutsche Fotothek / CC-BY-SA-3.0

Industriell gefertigte Wohnungsbauprojekte aus früheren Jahren - namentlich der Plattenbau in der DDR oder die Großwohnsiedlungen in Westdeutschland - erfreuen sich wegen ihrer Dimension, Dichte und Monotonie wenig Akzeptanz in der Bevölkerung. Heutige Möglichkeiten der Digitalisierung bieten allerdings eine deutlich höhere Flexibilisierung bei Gestaltung und Herstellung von Modulen und ihrer Zusammensetzung zu Gebäuden. Diese Innovationen können zu einem merklichen Qualitätssprung bei der Gebäudegestaltung und -nutzung eingesetzt werden. Gleichzeitig lässt sich die städtebauliche Qualität erhöhen, da es sich in den angespannten Wohnungsmärkten insbesondere um kleinteilige innerstädtische Bauflächen handelt, für die standortangepasste Lösungen gefunden werden müssen. Die Akzeptanz der Nachbarschaft für Neubauprojekte könnte auf Grund einer kürzeren Bauzeit vor Ort steigen, insbesondere dann, wenn die Attraktivität der Neubauten stimmt.

"Haus aus der Fabrik"

Anlass genug, einen frischen Blick auf Typisierung und Vorfertigung im Wohnungsbau zu werfen. Und zugleich auf die Frage, welche Rolle der Baukultur dabei zukommen könnte. Denn eigentlich stellt der State of the Art in der Architektur ein überkommenes Verhältnis dar, beherrscht vom retrospektiven Werkanspruch des Baukünstlers und vom Stückwerkscharakter der Bauproduktion. Doch nun wird, nicht nur in Deutschland, der Wohnungsbau erneut zum Gegenstand von Rationalisierungsbestrebungen. Was lange Zeit als Krebsgeschwür der modernen Architektur galt, scheint erneut die Geister zu beflügeln.

Der wiederaufgebaute Kristallpalast von Joseph Paxton in London (1854). Bild: Philip Henry Delamotte / Public Domain

Dabei ist der Systembau an sich ja nichts Neues. Als Ausgangspunkt kann der Kristallpalast von Joseph Paxton zur Weltausstellung 1851 in London gesehen werden. Mies von der Rohe und Le Corbusier zeigten sich in den 1920er-Jahren begeistert von dem "Haus aus der Fabrik", das sich in Anlehnung an den Automobilbau am Fließband zusammenfügte. Im zweiten Weltkrieg mussten Notunterkünfte für Soldaten und Flüchtlinge geschaffen werden, Jean Prouvé entwickelte u.a. hierfür demontierbare Leichtbaukonstruktionen aus Stahl und Holz. Martin Wagner, Hans Poelzig und Hans Scharoun beschäftigen sich in den 1930er-Jahren mit einem zeitgemäßen Holzfertigbausystem, das sich den Bedürfnissen der Nutzer flexibel anpassen lassen sollte.

International machte sich in dieser Zeit Richard Buckminster Fuller mit dem Dymaxion House einen Namen. Das vollständig vorgefertigte Wohngebäude, das nach den Prinzipien des Schiffsbaus entwickelt wurde, sollte nicht mehr als ein Auto kosten. Nicht zuletzt seine Ansätze schufen die Grundlage für die Umstellung der Planungs- und Fertigungsprozesse großer Raumtragwerke mittels standardisierter, industriell gefertigter Elemente.

Die Folgen, wie sie sich später etwa im Plattenbau der DDR materialisierten, waren ernüchternd. Nicht minder desillusionierend freilich ist, dass die "bezahlbare Wohnung" vielerorts erneut die Debatte um das Bauen dominiert. Macht es doch manifest, dass ein Jahrhundert an prallvoller Architekturgeschichte wenig bis nichts an einem gesellschaftlichen Grundproblem hat ändern können.

Dabei gibt es freilich vielversprechende Anknüpfungspunkte, um die Weichen einmal anders zu stellen. Zum Beispiel den vor sieben Jahren verstorbene Schweizer Fritz Haller, einer der wichtigsten Wegbereiter des industriellen Bauens und der integralen Planung, der mit seinem 'USM Haller Regalbausystem' Geschichte geschrieben hat. Sie zeigt: Es ist möglich und nötig, preiswerte und nachhaltige Systembauweisen mit industrieller Grundstruktur zu entwickeln, die architektonischen und stadträumlichen Kriterien dezidiert standhalten, zudem die gesamten Lebenszykluskosten einbeziehen.

Zugleich aber hat Architektur offen sein für emanzipatorischen Prozesse. Bloße 'Container' leisten das nicht. Denn Wohn-Container sind Käfige, die nach starrem geometrischem Schema Raumvolumen ausschneiden. Der Raum ist dann nach innen wie nach außen als Grenze definiert. Dass es auch anders geht, demonstriert etwa das Büro Feldschnieders + Kister in Bremen an bisher drei "Übergangswohneinrichtungen". Die Architekten stellten Container-Module zu zweigeschossigen Wohneinheiten zusammen, die kleine Höfe bilden und um einen zentralen Platz gruppiert sind. Die Erschließung der Häuser für je 30 Bewohner erfolgt hofseitig über Laubengänge. Sie stellen durchaus so etwas wie nachbarschaftliche Austauschräume her, und der Hofraum ist, obwohl öffentlich, gleichwohl introvertiert.

Integration kann nicht von einem auf den anderen Tag geschehen, zumal in vom römischen Atriumhaus geprägten Mittelmeerländern solche Innenhoftypologien Tradition haben. Noch aus Wien sind bis zu fünf Geschossen hohe Laubenganghäuser, sogenannte Pawlatschen, überliefert. Die biedermeierlichen Nachbarn hängten Körbe für Blumen sowie Kräuterbünde an die Geländer und spannten Wäscheleinen auf. Und auch das Bauhaus griff den Laubengang auf.

"Differenzierten Siedlungen"

Damit wird das Mögliche zwar ausgelotet, aber der Spielraum bleibt natürlich (zu) begrenzt. Die Holzrahmenbauweise bietet hier weitaus mehr Optionen, möglicherweise auch modulare Bausysteme. (Diese sind ihrem intellektuellen Vorgang nach der Vorfertigung genau entgegengesetzt. Denn zunächst wird hier ein Satz von dimensional und funktionell zusammengehörigen Komponenten geplant, dann werden allgemeine Regeln festgesetzt, wie diese Teile miteinander verbunden werden können, und das Endprodukt wird dann aus diesen Komponenten konstruiert. Als relativ einfaches Beispiel eines modularen Bausystems darf man etwa das 'Meccano'-Spielzeug werten: Ein Satz von vorher bestimmten Teilen kann hier nach gewissen dimensionalen Grundregeln zusammengesetzt werden.)

Die Ambitionen indes müssen noch weiter gehen, worauf der renommierte Architekturkritiker Sigfried Giedion schon vor einem halben Jahrhundert rekurrierte: "Der Stand einer Kultur hängt davon ab, bis zu welchem Grad eine chaotische Masse in eine integrierte lebendige Gemeinschaft verwandelt werden kann." Auf den Zusammenhang zwischen Demokratie, Kultur und Integration hinweisend, forderte Giedion den Bau von "differenzierten Siedlungen", um die vielfältigen Lebensstile einer offenen Gesellschaft zu berücksichtigen. Der im Wohnungsbau oft missachtete Ruf nach Durchmischung anstelle von Exklusion und Ghettobildung erhält aktuell hohe Dringlichkeit. Denn derzeit droht Masse statt Klasse, was ja nicht zuletzt - landauf, landab - durch die vehementen Klagen über die kistenartige Einfallslosigkeit aktueller Wohnungsbauprojekte illustriert wird.

Deswegen ist heute ein Erfinder- und Tüftlergeist gefragt, wenn das Bauen, aus der handwerklichen Tradition heraus, gleichsam in die Fabrikproduktion und schnelle Montage überführt werden soll. Wie es etwa Konrad Wachsmann mit seinem legendären Buch "Wendepunkt im Bauen" vor gut einem halben Jahrhundert gefordert hat. Er selber entwarf in den 1940er-Jahren mit Walter Gropius zwar nur ein Fertighaus-System, das nie auf den Markt gekommen ist (und später dann genialische, weit ausschwingende Raum-Tragwerke für die Hangars der amerikanischen Luftfahrt-Industrie). Aber jene Prise Fortschritts-Optimismus, der seine Schrift prägt, scheint auch heute opportun.

Dass modernes Bauen nur sehr bedingt eine Sache von Mörtel und Steinen ist, hat Wachsmann betont. Gleichzeitig jedoch gab er auch Kriterien für gute Architektur vor: "Es kommt eben nicht darauf an, wie die Oberfläche gestaltet ist. Sondern: Wie ist das Ding gebaut. Und daran erkenne ich, ob das ein moderner Bau ist, ob er die Möglichkeiten der Zeit genutzt hat, oder ob da mal 'ne Mode drübergegangen ist."

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