Freilassung der drei in Frankreich inhaftierten Nürnberger gefordert

Vor dem Berufungsprozess in der kommenden Woche wird am Samstag gegen das willkürliche Vorgehen Frankreichs demonstriert

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So langsam lichtet sich der Nebel um die drei jungen Nürnberger, die im August vor dem G7-Gipfel im französisch-baskischen Biarritz auf dem Weg ins spanisch-baskische Lekeitio zunächst verschwunden sind. Die Eltern haben nach vier Wochen (!) endlich über die Anwälte Kontakt zu den jungen Leuten zwischen 18 und 22 Jahren und derweil auch einige Briefe erhalten. Sie waren unter Aushebelung ihrer Verteidigungsrechte im Eilverfahren ohne Wahlverteidiger zu Haftstrafen von zwei und drei Monaten verurteilt worden.

Vorgeworfen wurde ihnen in einem Frankreich im Ausnahmezustand, sie hätten "eine Gruppe spontan gebildet" um möglicherweise beim Gipfel der Staatschefs in Biarritz "gewalttätig" zu werden. Dieser Vorwurf ist inzwischen im Frankreich von Macron üblich, wie der Telepolis Autor Bernard Schmid in einem Interview erklärte. Er wurde von Macron gegen die Gelbwesten-Proteste in Stellung gebracht und wird unter anderem auch gegenüber Mitgliedern der französischen Menschenrechtsliga gemacht, die als Beobachter beim G7-Gipfel waren.

Die drei Nürnberger haben Widerspruch gegen dasUrteil im Schnellverfahren eingelegt, das nur zwei Tage nach der Festnahme gesprochen worden war, in dem der Pflichtverteidiger die Wahlverteidiger aus dem Gerichtssaal werfen ließ. Durchgesetzt werden konnte so, dass am kommenden Freitag in Pau vor dem Tribunal de Grand Instance um 8 Uhr 30 ein Berufungsverfahren stattfindet. Zuvor findet am Samstag in Nürnberg eine zweite Demonstration statt, um vor dem französischen Konsulat die sofortige Freilassung der jungen Nürnberger zu fordern.

Für die Eltern ist immer noch nicht nachvollziehbar, warum sie nicht mit ihren Kindern telefonieren können. Wer in Frankreich in Berufung geht, dessen Rechte werden sogar noch weiter eingeschränkt, was wie eine weitere Strafe wirkt. In diesem Fall sei telefonieren untersagt, teilen die Eltern ihre Erfahrungen mit dem französischen Rechtsstaat mit. "Es ist ein unerträglicher Zustand", keinen persönlichen Kontakt haben zu können, erklärt Petra M. Sie ist die Mutter eines Inhaftierten. "Wie kann es sein, dass jemand nicht telefonieren darf, nur weil er sein Recht auf Berufung wahrnimmt?", fragt sie.

Sie hält die Situation für "unglaublich". Sie zitiert aus einem Brief ihres Sohnes, dass selbst der Richter sinngemäß gesagt hätte, man könne ihnen zwar nichts nachweisen, aber es wäre möglich, dass sie nach Frankreich gekommen seien, um während des G7 Krawall zu machen. Dass alleine die Möglichkeit einer Straftat ausreicht, um einen Menschen drei Monate zu inhaftieren, ist für alle anderen Angehörigen unvorstellbar. Das lässt Fragen am französischen Rechtsstaat aufkommen.

Linke Literatur und Schwarze Listen

Christiane Brand erklärte gegenüber Telepolis, dass man es mit einer neuen Form der Normalität zu tun habe. "Verschärfte Polizeiaufgabengesetze, ständige Erweiterung der Befugnisse der Staatsgewalt, das 'Anti-Randalierergesetz' in Frankreich, das gegen soziale Bewegungen wie die 'Gelbwesten' geschaffen wurde, bleiben natürlich nicht ohne Konsequenz." Für das Mitglied aus dem Presseteams des Solikreises in Nürnberg, der aus Angehörigen, Freunden und linken Gruppen besteht, wurden die drei Nürnberger Opfer von Schwarzen Listen, die das Bundeskriminalamt erstellt hat. Darauf befinden sich auch Menschen, die zum Beispiel gegen den G20-Gipfel in Hamburg demonstriert haben. Die Bundesregierung hatte auf eine Anfrage der Linken bestätigt, dass diese Listen an die französischen Behörden geliefert wurden. "Wer da drauf steht, der ist quasi vogelfrei, Bürgerrechte scheinen für KritikerInnen der herrschenden Verhältnisse nicht mehr zu gelten", erklärt Brand. Ob die Person in den Urlaub oder zu einem völlig legitimen Gipfelprotest fährt, spiele dann keine Rolle mehr.

Auch in Frankreich haben die Inhaftierungen inzwischen eine öffentliche Debatte ausgelöst. So weist die Zeitung Liberation darauf hin, dass in dem Urteil darauf abgestellt wurde, dass man "linke Literatur" im Auto der Nürnberger gefunden habe. Dass sie Tränengasgranaten oder andere Waffen bei sich hatten, wie diverse Medien in Deutschland voreilig berichtet hatten, waren bestenfalls falsche Übersetzungen oder schlicht Fake-News. Dabei wurde aus nicht verbotenem Tränengasspray Granaten und wie man auf einen "Eispickel" kam, ist völlig unklar. Klar ist, dass die Nürnberger vom angeblichen Waffenbesitz freigesprochen wurden. Dass hatten sogar diese Medien berichtet. Das hätte Anlass genug sein müssen, den Hinweis auf angebliche Granaten und Eispickel zu überprüfen. Doch der journalistischen Sorgfaltspflicht kam weder Die Welt noch der Deutschlandfunk nach und so wurden die Nürnberger zwischen den Zeilen vorverurteilend als Gewalttäter dargestellt und ihre Verurteilung legitimiert.

Es ist hanebüchen, dass man in Frankreich einfach verschwinden kann

Ohne die Berichte über die Nürnberger des deutschen Journalisten Luc, wäre die Lage vermutlich noch heute weiter ziemlich unklar. Er war illegal sogar zweimal auf dem Weg zu den Protesten festgenommen und abgeschoben worden. Gegenüber Telepolis hatte er darüber berichtet, dass sich im kleinen Gefängnis von Hendaye auch drei junge Deutsche befanden.

Deshalb ging man beim Gegengipfel davon aus, dass es sich bei den drei Nürnbergern um willkürlich festgenommene Gipfel-Gegner handelte. Mehr als 100 Menschen wurden festgenommen, zum Teil abgeschoben und dutzende Verfahren laufen, die ähnlich dubios sind. Luc hatte den Nürnbergern die Namen der Anwälte des Legal Team zugeschrien. Jede Kommunikation wurde von den Bewachern zu verhindern versucht, hatte er gegenüber Telepolis erklärt.

Inzwischen haben die Telepolis-Berichte auch dazu geführt, dass auch andere deutsche Medien die abstrusen Vorgänge aufgreifen, dass junge Menschen in Frankreich einfach ohne Kontakt zu ihren Eltern und einem Anwalt ihres Vertrauens in französischen Gefängnissen verschwinden können. Auch der Bayrische Rundfunk hat sich mit den Eltern in Verbindung gesetzt, die zunächst völlig verzweifelt waren. Sie waren von einem Unfall ausgegangen, als sie Freunde informierten, dass sie 21. August nicht in Lekeitio angekommen sind und auch kein Kontakt mehr zu ihnen besteht.

Die Familie telefonierte deshalb zunächst alle Krankenhäuser in der Umgebung ab. "Mein erster Gedanke war, die sind eine Böschung runtergefahren und man findet die auch nicht mehr, deshalb sind alle drei auch nicht mehr erreichbar", hatte Petra M. dem Sender erklärt. Erst als eine Vermisstenanzeige aufgegeben wurde, sei man darüber informiert worden, dass auch der Sohn an einer Mautstelle in Biarritz verhaftet wurde.

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