Sanktionen wie Bomben

Donald Trump auf der UN-Generalversammlung. Screenshot von UN-Video

Die USA greifen das Einkommen der Regierung in Venezuela an. Humanitäre Folgen werden international bislang kaum hinterfragt

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Venezuela gehört zu einer Gruppe von 41 Staaten, die nach einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf externe Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, um eine humanitäre Krise zu vermeiden. Neben dem südamerikanischen Krisenstaat führt die UN-Organisation nur Haiti in der Region als hilfsbedürftig auf.

Neben wetterbedingten Ausfällen in der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion verweist die FAO auf politische Konflikte als Grund für Hungerkrisen. Die Hyperinflation in Venezuela habe die lokale Kaufkraft stark geschwächt, was zu schweren Einschränkungen beim Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln führe, heißt es in dem Bericht. Zugleich sei zu erwarten, "dass die Getreideproduktion aufgrund fehlender landwirtschaftlicher Betriebsmittel zurückgeht". Dessen ungeachtet hat die US-Regierung die Strafmaßnahmen gegen Venezuela noch einmal verschärft.

Tatsächlich wird die Krise in Venezuela zunehmend auch von Sanktionen gegen die amtierende Regierung von Präsident Nicolás Maduro verursacht. Die USA haben in den vergangenen Jahren mehrfach gezielt Strafmaßnahmen gegen Regierung und Wirtschaft des südamerikanischen Staates erlassen. Die US-Führung unter Präsident Donald Trump unterstützt entschieden den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó. Durch die Sanktionen versucht Washington, die Maduro-Regierung in die Knie zu zwingen und den Nachfolger des verstorbenen Anführers der "Bolivarischen Revolution", Hugo Chávez, aus dem Amt zu drängen.

Eine Verschärfung der humanitären Krise wird damit billigend in Kauf genommen. Die US-Regierung kopiert damit die seit Anfang der 1960er Jahre andauernde Blockadepolitik gegen Kuba. So heißt es in einem der jüngeren US-Sanktionsgesetze gegen Kuba - dem Helms-Burton-Act von 1996 -, die "konsequente" US-Kuba-Politik "hat das totalitäre Castro-Regime wirksam bestraft". Ziel sei eine Regierung "ohne Fidel Castro oder Raúl Castro".

Kaum Kritik an Sanktionen gegen Venezuela

Im Fall von Kuba wird das wirtschaftspolitische Vorgehen gegen einen Staat mit dem Ziel eines Regimewechsels jedes Jahr von einer deutlichen Mehrheit der UN-Generalversammlung verurteilt. Vor wenigen Tagen erst stellte Kubas Außenminister Bruno Rodríguez den neuen Jahresbericht zur US-Blockade vor, der die akkumulierten Schäden auf knapp 139 Milliarden US-Dollar beziffert. Alleine im vergangenen Jahr habe die US-Blockade Kuba gut 4,3 Milliarden US-Dollar gekostet.

Während die aggressive Kuba-Politik gegen Kuba inzwischen international geächtet ist - auch wenn das real nicht viel ändert -, stößt das Vorgehen gegen Venezuela auf weit weniger Widerspruch. Dabei sind die humanitären Folgen inzwischen offensichtlich. Die Auswanderung aus Venezuela nimmt angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise immer weiter zu. Zugleich kommt es im Land zunehmend zu Versorgungsengpässen, die von der Regierung kaum mehr aufgefangen werden können.

Anfang vergangener Woche kündigte die Trump-Regierung neue Sanktionen gegen Personen und Unternehmen an, die mit dem staatlichen Lebensmittelprogramm, den sogenannten Clap, in Verbindung gebracht werden. Gesperrt werden Vermögenswerte von drei Personen und 16 Firmen, an denen sie zu 50 oder mehr Prozent beteiligt sind. Laut des US-Finanzministeriums haben zwei der Sanktionierten mit dem Kolumbianer Alex Nain Saab Geschäfte betrieben, der im Juli bereits wegen seiner Zusammenarbeit mit dem Ernährungsprogramm der venezolanischen Regierung bestraft wurde. Die Strafmaßnahmen betreffen auch über ein Dutzend Unternehmen mit Sitz in Kolumbien, Panama und Italien.

Die Lokalen Produktions- und Versorgungskomitees (Clap) bilden ein Lebensmittelverteilungsnetz, das die Regierung Maduro in Kooperation mit lokalen Gemeinderäten unterhält. Schätzungen zufolge werden rund sechs Millionen Haushalte, d.h. mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung, von dem Programm erreicht. Der größte Teil der verteilten Lebensmittel wird importiert, hier setzen die US-Sanktionen an.

Sanktionen sorgen für innenpolitischen Zwist

Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza hatte am UN-Hauptsitz in New York bereits im April vor den negativen humanitären Folgen der US-Sanktionen gewarnt. Damals gab er an, internationale Banken würden mehr als fünf Milliarden Euro staatlicher venezolanischer Geldmittel blockieren. "Wir wollen die Folgen der einseitigen Blockade der US-Regierung gegen Venezuela bekanntmachen, die tausenden Venezolanern das Leben gekostet hat", sagte Arreaza damals. Die Strafmaßnahmen der USA erschwerten es dem venezolanischen Staat zunehmend, Nahrungsmittel und Medikamente zu kaufen. Schon in Frühjahr hatten nach Arreazas Angaben die Bank of England, die Citibank, Clearstream London, North Capital, die portugiesische Novo Banco und das japanische Bankhaus Sumitomo Millionenmittel eingefroren.

Der US-Diplomat Thomas Shannon, ein Kritiker der Trump-Regierung, zeigte sich Mitte des Jahres davon überzeugt, dass "die von den Vereinigten Staaten gegen Venezuela verhängten Sanktionen dem venezolanischen Volk enormen Schaden zufügen". In einem Interview mit der Financial Times sagte der ehemalige Lateinamerika-Direktor des US-Außenministeriums, die Sanktionen seien "mehr oder weniger vergleichbar mit den Bombenangriffen auf Dresden und Tokio. Wir sehen die Zerstörung Venezuelas, als Land und als Gesellschaft." Es sei unglaublich, dass einige Leute dies leugnen, so Shannon weiter: "Es belegt entweder das Ausmaß ihrer Fehleinschätzung, wenn sie Sanktionen gegen die venezolanische Erdöl- und -gasindustrie unterstützen, oder ihren Wunsch, Venezuela enormen Schaden zuzufügen, um Maduro zu stürzen".

Wegen der zunehmend aggressiven US-Sanktionen hatte Venezuelas Regierung Anfang August ein geplantes Treffen mit der Opposition in Barbados abgesagt. In einer Stellungnahme führte Präsident Maduro aus, neue Strafmaßnahmen stellten eine "schwere und brutale Aggression" dar. Man habe "mit großer Empörung festgestellt, dass der Leiter der Oppositionsdelegation, Juan Guaidó, diese Aktionen bejubelt, fördert und unterstützt".

Politisierung humanitärer Hilfe

Nach Ansicht humanitärer Akteure in Venezuela hat die bisherige Hilfe kaum zu einer verbesserten Verfügbarkeit medizinischer Produkte geführt. Darunter litten vor allem die Notaufnahmen in dem südamerikanischen Land.

Wenige Wochen nach seiner Selbsternennung hatte Guaido im Februar gegen den Willen der Regierung Maduro erfolglos versucht, US-Güter über Kolumbien nach Venezuela zu bringen. Nach diesem Konflikt gab Maduro dem Internationalen Roten Kreuz und den Vereinten Nationen die Erlaubnis, Krankenhäuser mit medizinischen Hilfsgütern zu beliefern. "Trotz der Verbesserung gibt es unserer Meinung nach noch keine stabile Versorgung", sagte Julio Castro von der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Médicos por la Salud (Ärzte für Gesundheit). Seinem Urteil lägen Daten von Mitarbeitern aus 40 öffentlichen Krankenhäusern Venezuelas zugrunde. In den Notaufnahmen hätten in den vergangenen sechs Monaten rund 50 Prozent der benötigten Vorräte gefehlt, so Castro.

Angesichts dieser Situation wird der Kampf um Venezuela immer stärker auch über die humanitäre Hilfe ausgetragen. Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) und die Regierung Venezuelas haben vor wenigen Tagen eine Vereinbarung zur künftigen Zusammenarbeit unterzeichnet. Geplant sei die kontinuierliche Präsenz eines Teams von zwei UN-Menschenrechtsbeauftragten im Land. Die Vereinbarung bilde "die Grundlage für Gespräche über die Einrichtung eines UN-Menschenrechtsbüro in Venezuela", hieß es seitens des OHCHR.

Die USA hingegen sagten nach einer aggressiven Rede von Präsident Trump gegen Venezuela vor der UN-Vollversammlung am Dienstag 52 Millionen US-Dollar (gut 47 Millionen Euro) Finanzmitteln für die Opposition um Guaidó zu. Die US-Entwicklungshilfeorganisation USAID erklärte, die Gelder würden neben "unabhängigen Medien", politischen Gruppen und der oppositionell dominierten Nationalversammlung auch in den Gesundheitssektor fließen.