Messerangriff in Pariser Polizeizentrale: Doch ein Terroranschlag?

Polizeipräfektur, rue de la Cité, Paris. Bild: besopha/ CC BY-SA 2.0

Staatsanwaltschaft erweitert Ermittlungen aufgrund neuer Hinweise. Damit häufen sich auch Vorwürfe gegen die Informationspolitik der Regierung

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Und wenn die Messerattacke vom vergangenen Donnerstag in Paris doch ein geplanter Anschlag war? Dann hätten die Sicherheitsdienste und die Regierung ein großes Problem.

Denn die für vier Menschen tödliche Attacke, die auch mehrere Personen zum Teil lebensgefährlich verletzt hat, fand mitten im Hochsicherheitstrakt der Polizeipräfektur in Paris statt - und der Angreifer arbeitete als IT-Spezialist für den DRPP, einem Geheimdienst, der für die Überwachung von radikalisierten Islamisten in Paris und seinem Großraum zuständig ist.

Konfusion und Informationspolitik

"Confusion" ist derzeit ein Begriff, der in französischen Medien häufiger auftaucht. Mit ihm wird die Lage nach dem Unfall in der Chemiefabrik in Rouen beschrieben. Statt dass die Unsicherheit über das Ausmaß der schädlichen Folgen zu beschwichtigt werden konnte, tauchen immer mehr Informationen auf, die weitere Beunruhigung auslösen, der Unfall entwickelt sich zu einem ernsthaften Politikum. In der Kritik steht die Informationspolitik der Verantwortlichen, denen vorgeworfen wird, dass sie auf Beschwichtigung setzten.

Ein ganz ähnliches Muster zeigt sich nun im Fall des mörderischen Angriffs innerhalb der Polizeipräfektur im "Herzen von Paris". Auch hier gibt es starke Emotionen und Unsicherheit über die genauen Hintergründe. Zunächst wurde eine Eliteeinheit der Polizei mit Ermittlungen wegen Mordes betraut. Seit gestern Abend wurde das geändert - nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Terrorverdachts. Grund sind neue Informationen über den Hintergrund des Täters, der kurz nach seiner Attacke von einem Wachmann erschossen wurde.

Der 45-jährige Informatikfachmann Mickael H., der aus Martinique stammte und seit 2003 im Polizeidienst in der Präfektur in Paris tätig war, hat am vergangenen Donnerstag gegen Mittag zunächst Polizisten innerhalb der Präfektur attackiert und danach zwei Frauen in einem Flur. Draußen im Hof des Gebäudes handelte ein Wachmann sehr schnell und erschoss den Mann, der nach mehreren Aufforderungen sein Messer nicht fallen ließ.

Soweit der grobe Kern der Abläufe, dessen Details in den letzten Tagen mehrmals korrigiert wurden. Auch dazu gab es Irritationen. Angesichts der Terroranschläge, die in den letzten Jahren in Paris und in Frankreich geschahen, tauchte sofort nach Bekanntwerden des tödlichen Vorkommnisses im hochsensiblen Bereich der Polizeipräfektur die Frage auf, ob es sich um einen Anschlag mit terroristischem Hintergrund handeln könne. Aber bald hieß es: "Offenbar kein Verdacht auf Terrorakt".

Ultrasensibler Ort

"Niemals seit der Befreiung von Paris im Jahr 1944 hatte das neuralgische Zentrum der Macht ein solches Blutbad in seinen Räumen erlebt. Dazu kommt, dass die Geschehnisse zum Teil in den Räumen der Direktion des Geheimdienstes der Polizeipräfektur (DRPP) stattfanden, einem ultrasensiblen Dienst, der damit befasst ist, Informationen zu sammeln und zu analysieren, die mit dem Terrorismus zusammenhängen", so Le Monde.

Zum Aufgabenbereich gehört die Überwachung bzw. Beobachtung von Personen und ihrem Umfeld, die als radikalisierte Islamisten aufgefallen sind. Was alles auf dem Spiel steht, zeigt sich zum Beispiel an Spekulationen, die eine Verbindung zum Anschlag auf ein Polizisten-Ehepaar im Juni 2016 herstellen (siehe: Polizistenmord in Frankreich: Der Faktor IS und die Suche nach dem Fehler im System). Bei dem Fall wurde der Polizei vorgeworfen, dass sie nicht aufmerksam genug arbeitet und ihr eigenes Personal nicht zu schützen vermag, darüber hinaus wurde gemutmaßt, dass der Attentäter über Lücken Informationen zugespielt bekommen hat.

Ob Mickael H. dank seiner Einblicke möglicherweise Informationen an Verdächtige, die überwacht oder beobachtet wurden, weitergegeben haben könnte, dürfte zum Gegenstand der Ermittlungen gehören.

Im Weiteren berührt der Fall, der viel Aufsehen verursacht, auch die Debatte über Asyl und Einwanderung, die in der Nationalversammlung beginnt. Aber selbst wenn man die spekulativen Randbereiche herausnimmt, bleibt die große Beunruhigung im Zentrum: Wie kann es dazu kommen, dass ein Radikalisierter unerkannt in einem Hochsicherheitsbereich arbeiten kann, das genau den Schutz vor Radikalisierten als zentrale Aufgabe hat, und dort einen Anschlag begehen kann?

Dass die Regierung und namentlich Innenminister Castaner zuerst die Spur betonte, dass es sich bei dem Angriff um einen Mord handelte, und man bestrebt war, dem Verdacht, dass es sich möglicherweise auch um einen beabsichtigten Anschlag mit terroristischem Hintergrund handeln könnte, wenig Raum zu geben, verdeutlicht, wie heikel die Sache ist - und sie rückt die Informationspolitik der Regierung erneut in ein sehr schlechtes Bild. Erneut wird ihr Vertuschung und Manipulation vorgeworfen - Vorwürfe, die Macron gerne seinen politischen Gegnern macht.

Umgang mit Salafisten

Ans Licht kam seit dem Anschlag einiges, das, so Le Monde, die These eines vorsätzlichen dschihadistischen Anschlags erhärtet: Dass Mickael H. vor 18 Monaten zum Islam konvertiert ist, dass er Umgang mit bekannten Salafisten hatte, dass er die Moschee de La Fauconnière in Gonesse besuchte, wo Hassan El Houari, dem wiederum ein salafistischer Eifer nachgesagt wird, predigte.

Zu den Verdachtsmomenten, die zur Einschaltung der Staatsanwaltschaft führte, die für Terrorermitlungen zuständig ist (Parquet national antiterroriste, PNAT) gehören auch die SMS, die der Täter anscheinend kurz vor der Tat seiner Frau schickte. Sie sollen eine "starke religiöse Konnotation" haben.

Auch berichteten seine Kollegen von "Verhaltensauffälligkeiten", etwa bei seiner Reaktion auf den Anschlag auf Charlie Hebdo, wo er Verständnis für die Angreifer geäußert haben soll - aber auch bei der Begrüßung (kein Handschlag mit Frauen, keine Bisous, Küsschen auf die Wange). Zu Letzterem fällt natürlich auf, dass dies sehr dünne Verdachtsmomente für eine Radikalisierung abgeben, aber der kritische Punkt, der zum Politikum geworden ist, ist auch ein anderer:

"Die Zeitung 'Le Parisien' zitierte Kollegen des Täters, die vor ihrem Zeugenverhör von ihren Vorgesetzten dazu gedrängt wurden, die Verdachtsmomente zu verschweigen (…) Mehrere Beamte weigerten sich dann aber, ihre Zeugenaussage zu unterschreiben und meldeten die versuchte Einflussnahme bei einer Polizeidienststelle, schrieb die Zeitung." (FAZ)

Innenminister Castaner hatte behauptet, dass der Mann keine Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hatte.

Sollte sich nun, wie sich gerade andeutet, ein anderes Bild vom Täter herauskristallisieren und die Tat sich tatsächlich als dschihadistisch motiviert herausstellen, dann hat die Regierung den nächsten Skandal am Hals, den die rechte Opposition weidlich ausnützen wird.