Die ärmeren Schichten werden immer weiter abgehängt

Nach einem WSI-Bericht wächst in Deutschland die Einkommensungleichheit politisch gewollt stark an, was vor allem auch am wachsenden, aber gering versteuerten Kapitaleinkommen liegt

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Vor allem für die SPD muss dies ein Armutszeugnis sein. Seit den 1990er Jahren ist die Einkommensungleichheit in Deutschland, im Westen stärker als im Osten, weiter gewachsen. Nach einem Bericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung gab es zwischen 2005 und 2010 zwar eine kurze Phase der Stagnation, danach stieg der Gini-Koeffizient, mit der die Ungleichheit der Verteilung gemessen wird, wieder kontinuierlich an. Seit den 1990ern um 19 Prozent.

Zwar liegt der Gini-Koeeffizient mit 0,297 - völlige Ungleichheit wäre ein Wert von 1 - noch relativ gering. In den USA lag er bereits in den 1990er Jahren über 0,4 und ist bis 2016 auf 0,45 geklettert. In den USA hat Donald Trump erst mit einer Steuerreform zugunsten der Reichen und der Unternehmen für eine weitere Verschärfung gesorgt, während, abgesehen von Joe Biden, der wohl wegen Ukrainegate wenig Chancen mehr haben wird, von den demokratischen Präsidentschaftskandidaten eine Reichensteuer und andere Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheit vorgeschlagen werden.

Dorothee Spannagel und Katharina Molitor, die Autorinnen des WSI-Berichts, verweisen darauf, dass selbst Organisationen wie die OECD und auch der IWF mittlerweile die Ungleichheit thematisieren. Der IWF hat in seinem Deutschlandbericht 2019 konstatiert, dass die großen Leistungsbilanzüberschüsse nur den Reichen zugutekamen. Die Einkommen hätten sich weiter ganz oben konzentriert, dabei würden Familienunternehmen eine treibende Kraft sein. Trotz - oder wegen? - langer Jahre, an denen die SPD an der Regierung seit der Wiedervereinigung beteiligt war, hat sich die Einkommensungleichheit seitdem vergrößert und ist zu Beginn der 2000er Jahre auch dank der Agenda 2010 und Hartz IV sowie der Senkung von Einkommensteuer-Spitzensätzen, Unternehmenssteuern und Kapitaleinkommensteuern und die Abschaffung der Vermögensteuer. sprunghaft angestiegen.

Bild: WSI

Seit 1998 stieg die Armutsquote von 10,3 auf 14,2 kontinuierlich an, mit den rot-grünen Reformen die Reichtumsquote von 7,0 auf 7,9. Hier gibt es auch einen deutlichen Unterschied zwischen West und Ost. Der Anteil der Reichen und sehr Reichen an der Bevölkerung ist im Osten (1,0 und 4,8) noch sehr viel niedriger als im Westen (1,7 und 7,8). Die Armutsquote ist der Anteil der Personen, die in Haushalten mit einem verfügbaren Einkommen von weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens leben, die Reichtumsquote stellt den Anteil der Personen mit einem Einkommen von mehr als 200 Prozent des Medieneinkommens dar.

Die systematische, politisch gewollte Begünstigung der Reichen zeigt sich auch an der "Armutslücke". 2005 lag der Abstand der mittleren Einkommen von Einpersonenhaushalten unterhalb der Armutsgrenze zur Armutsgrenze noch bei unter 2900 Euro, bis 2016 stieg der Abstand vor allem in den Jahren 2013-2016, auf 3500 an. Ein solcher Einpersonenhaushalt erzielt 2016 nur ein Einkommen von 9000 Euro. Der Grund für die Vergrößerung liegt nach den Autorinnen im Anstieg des Medianeinkommens, von dem die ärmeren Schichten aber ausgeschlossen sind.

Bild: WSI

Der Befund: "Seit Ende der 2000er Jahre nimmt die Entwicklungsdynamik an den Rändern der Verteilung deutlich zu. Reichtums- und vor allem Armutsquoten steigen und die Armutslücke wächst stark. Das unterste Dezil verliert real an Einkommen, in der oberen Hälfte (also ab dem 5. Dezil) hingegen steigen die Einkommen kräftig." Trotz der guten Konjunktur und der geringen Arbeitslosigkeit sinkt das Einkommen der unteren Lohngruppen, die gegenüber den höheren Lohngruppen vom gesellschaftlichen Reichtum abgehängt werden und weiter nach unten rutschen.

Unterstützt wird die Reichtumskonzentration durch das Kapitaleinkommen, das nach dem Einbruch während der Finanzkrise seit 2010 stark anwächst und an dem die unteren Einkommensschichten mangels Geld praktisch nicht teilhaben. Die WSI-Studie basiert auf der repräsentativen Befragung von 25.000 Menschen für das Sozio-ökonomische Panel (SOEP). Dabei werden aber die reichsten Haushalte nicht wirklich erfasst, daher könnte die Ungleichheit, worauf die Autorinnen auch hinweisen, noch größer sein. Allerdings sind die Arbeitnehmerentgelte seit 2013 bis 2016 parallel zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen gewachsen, seit 2017 sind die Arbeitnehmerentgelte weiter gewachsen, während das Unternehmens- und Vermögenseinkommen stagniert und dessen Anteil zurückgeht.

Um der weiteren Vertiefung der Einkommensgleichheit entgegenzuwirken, schlagen die Autorinnen vor, was schon längst im Raum steht, aber politisch nicht umgesetzt wird: eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen, höhere Besteuerung von Kapitaleinkommen, die Verringerung des Niedriglohnsektors, eine Anhebung des Mindestlohns und der ALG II Regelsätze sowie eine "bedarfsorientierte Beratung für Bedürftige". Unter letzterem wird u.a. verstanden: "Zugang zu psychosozialer Beratung (bspw. Bei Schulden oder Suchtproblemen), Deutschkurse für Migranten, aber auch passgenaue arbeitsmarktbezogene Maßnahmen wie Umschulungen oder Weiterbildungen".

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