"Make Rojava Green Again"

Chabur-Fluss, Syrien, bei Tell Halaf, Ras al-Ain. Bild: Bertramz/CC BY 3.0

Anfang 2018 startete in Nordsyrien eine Kampagne mit dem Ziel, eine ökologische, selbstverwaltete Gesellschaft aufzubauen als Teil der Öko-Revolution, die vor fünf Jahren hier ihren Anfang nahm

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Rojava erstreckt sich vom Irak im Südosten bis nach Nordwesten ans Mittelmeer. Während es im Süden an die syrische Wüste grenzt, wird die türkische Grenze im Norden durch einen 900 Kilometer lange Mauer gesichert. Von syrischer Seite kommen seitdem keine Flüchtlinge mehr in die Türkei hinein, während von der Türkei aus in der Vergangenheit immer wieder Truppen nach Nordsyrien eindrangen. Aktuell ist die Frage, wann die Türkei ihre angekündigte militärische Operation unternehmen wird und wie groß sie sein wird (Nordsyrien: USA machen den Weg für eine türkische Militäroperation frei).

Auch bisher war Rojava immer wieder sporadischen Angriffen vonseiten türkischer Milizen ausgesetzt. Ende September 2019 entfachten türkische Soldaten laut des kurdischen Nachrichtenmediums AFN einen Waldbrand. Im selben Zeitraum wurden fünf Einwohner aus Afrin entführt. Wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Angriffe des IS verließen tausende Menschen Nordsyrien.

Dennoch ist die Zahl der Einwohner gestiegen, denn Rojava galt bislang als eine relativ sichere Region. Im Januar 2014 wurde die Autonomie ausgerufen und ein demokratischer Gesellschaftsvertrag verabschiedet. Grundlage der selbstgegebenen Verfassung ist die basisdemokratische Selbstverwaltung (siehe: Das Modell Rojava). Auf dem kulturell und - bislang durch den Ausnahmezustand des Krieges in Syrien - auch politisch autonomen Territorium leben Araber, Kurden, Christen, Armenier, Turkmenen und Assyrer friedlich zusammen.

Unterste und wichtigste Ebene sind die Kommunen, die die Stadtteilräte bilden, die wiederum schließen sich in Stadträten zusammen. Alle Stadträte gemeinsam bilden einen Kanton. Anfangs gehörten nur die Kantone Afrin, Kobane und Cizire dazu. Seit 2017 weitete sich die selbstverwaltete Region auf den größten Teil Nordsyriens nach Süden hin immer weiter aus - bis hin zum Euphrat, der den Nordosten des Landes durchquert.

Entscheidend ist die Emanzipation der Frauen: Im Gegensatz zu anderen Regionen bringen sich viele Frauen in Rojava aktiv in den Wiederaufbau ein und übernehmen Schlüsselfunktionen in der Verwaltung.

Selbstversogung mit Nahrungsmitteln

Das Land zwischen Euphrat und Tigris ist seit jeher die Kornkammer des Mittleren Ostens. Auf Grund der repressiven Politik der Assad-Regierung war es den Menschen allerdings bis 2012 verboten, Bäume zu pflanzen und eigene Gemüsegärten anzulegen.

Im Nordosten Syriens, das in der Antike noch dicht bewaldet war, wurden unter der Herrschaft der Assads flächendeckend Monokulturen angebaut. Im Kanton Cizire im Nordosten beherrschen Weizenfelder das Landschaftsbild, im nordwestlichen Afrin wuchsen Olivenbäume und in der Mitte, in Kobane Weizen und Oliven. Die profitorientierte Landwirtschaft war nur auf Export ausgerichtet.

Der massive Einsatz von Agrochemikalien vergiftete Boden, Wasser und Luft. Zum Teil kamen die Pestizide aus der Türkei, wo sie schon damals längst verboten waren. Heute sind eingewanderte Krankheiten und Schädlinge wie der Collorado-Käfer, Heuschrecken und Pilzbefall ein zusätzliches Problem.

Eines der wichtigsten Ziele der selbstverwalteten Kommunen ist die Ökologisierung und Dezentralisierung der Landwirtschaft. Auch deshalb wird die Revolution in Rojava gerne als Öko-Revolution bezeichnet. Ökologischer Landbau in einer wüstenähnlichen Landschaft, die einst als fruchtbarer Halbmond bekannt war - das dürfte in jedem Fall eine Herausforderung sein.

Die Idee der basisdemokratischen Selbstverwaltung lebe essentiell von der Selbstorganisierung der Gesellschaft, erklärt der Sozialwissenschaftler Ramzan Mendanlioglu gegenüber dem Fernsehsender Phönix. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung gründen sich überall Genossenschaften. Glaubt man den lokalen Behörden, ernähren sich die Menschen trotz der türkischen Blockaden seit Beginn der Revolution besser als vorher.

Eine autonome Nahrungsmittelversorgung soll die Menschen unabhängiger von außen machen. In Amude, direkt an der türkischen Grenze zum Beispiel, halten Familien, die kein eigenes Land besitzen, mitten in der Stadt Schafe, Hühner und Enten. So kultiviert ein Landbesitzer Zwiebeln auf einer Fläche von vier Hektar. Die Zwiebeln werden vom Gemüsegroßhändler aufgekauft, der sie in die kurdischen Gebiete im Irak, nach Aleppo oder nach Damaskus exportiert. In experimentellen Gewächshäusern wird Biogemüse gezogen.

Wasser ist nur begrenzt verfügbar

Das Euphrat-Tigris-Becken gehört zu den wichtigsten Wasserspendern in der Region. Während Flüsse in Afrin früher im Frühling häufig die Dörfer überfluteten, führen sie inzwischen kaum noch Wasser. Das liegt vor allem an dem gigantischen Staudammprojekt in Südostanatolien, das auf türkischer Seite entlang von Euphrat und Tigris errichtet wurde. So haben Dämme und Stauseen den Wasserlauf der beiden Flüsse, aber auch den kleinerer Flussläufe, deutlich verringert.

Ein zentrales Problem ist die Versorgung mit Wasser - sowohl zum Trinken als auch zwecks landwirtschaftlicher Bewässerung. Zum einen werden die Regenzeiten immer kürzer. So ist der Niederschlag in der Region Cizire seit den 1990er Jahren um bis zu 15 Prozent zurückgegangen. Zum anderen wird der Zufluss über den Euphrat und Chabur (kurdisch: Xabur) eingeschränkt, weil auf der türkischen Seite des Euphrat massiv Wasser abgeleitet wird (Wasser als Waffe).

Auf Grund der exzessiven Wassernutzung auf der türkischen Seite, aber auch wegen des jahrzehntelangen Baumpflanzverbotes ist der Grundwasserspiegel unter der syrischen Regierung stetig gesunken. So wie im Kanton Cizire, wo die Städte Derik und Qamislo ihr Wasser aus dem Sefan-See beziehen und mehr als 30.000 Brunnen betrieben werden. Innerhalb von wenigen Jahren sank der Grundwasserspiegel von 100 Meter auf 150 Meter Tiefe.

Die wasserintensive Landwirtschaft verschärfte die Verknappung des Grundwassers aber auch des Flusswassers stetig. So versorgte der Fluss Chabur, ein Nebenfluss des Euphrat in der Autonomen Region Kurdistan, die Städte Tell Tamer (kurdisch Gire Xurma) und al-Hasaka und die regionale Landwirtschaft zuverlässig mit Wasser, bis die Türkei den Fluss fast zum Austrocknen brachte und der IS weitere Zuflüsse verschloss. Was vom Fluss übrig war, wurde durch eingeleiteten Müll und Fäkalien verschmutzt.

Abwässer als Dünger nutzen

Werden Abwässer in Flüsse geleitet, deren Wasser für die Landwirtschaft verwendet wird, kann dies auch Krankheiten verursachen. Auf der anderen Seite könnte das so genannte Grauwasser, also Haushaltsabwässer, die oft auch Nährstoffe wie Phosphor enthalten, wieder aufbereitet und gefiltert werden. Damit wäre es nutzbar für Bewässerung von Bäumen, stärker gefiltert auch von Feldfrüchten. Denkbar wäre auch, menschliche Exkremente in kompostierter Form als Dünger auf den Feldern einzusetzen.

Um einen Überblick über die Grundwasserentnahme zu erhalten, registrierte das Komitee für Landwirtschaft alle Brunnen und verbot weitere Brunnenbohrungen. Nur 60 Prozent der Feldfläche sollten bewässert und nur mit Sorten bestellt werden, die eine Bewässerung brauchen, beispielsweise Linsen, Kichererbsen und Bohnen.

Diese Kulturen beanspruchen nun ein Viertel der gesamten Landwirtschaftsfläche, früher waren dies gerade mal zehn Prozent. Auf 15 Prozent der Flächen sollen bewässerungsintensive Kulturen wie Gemüse und Baumwolle gepflanzt werden. Etwa die Hälfte aller Ackerflächen werden mit Weizen bestellt. Die restlichen zehn Prozent liegen für ein Jahr brach, damit sie sich regenerieren können.

Regelmäßige Fruchtwechsel sollen dafür sorgen, dass die Böden nicht durch Monokulturen ausgelaugt werden. Außerdem gibt es Handel mit Weizen auch in die anderen Regionen Syriens, sofern die eigene Region mit Nahrungsmitteln versorgt ist. So exportiert der Kanton Cizire zwar keine Lebensmittel mehr, doch werden zwischen Kantonen, aber auch Regionen, die eben erst vom IS befreit wurden, Lebensmittel ausgetauscht.

Seit fünf Jahren werden in Afrin Obstbäume wie Mangos, Trauben und Zitrusfrüchte gepflanzt, die an das Mittelmeerklima angepasst sind. Unter der türkischen Besetzung kommen die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Früchte der Landwirtschaft allerdings weniger der einheimischen Bevölkerung zugute als islamistischen Milizen und dem türkischen Staat.