Berliner Klimapolitik: Wie weiter nach dem Flop?

Kommentar: Nachdem der Klimagipfel der Regierung keine sinnvollen Ergebnisse gebracht hat, brauchen wir einen Plan B

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CO2 einsparen lässt sich nur durch weniger Verbrauch von fossilen Brennstoffen als Energieträger. Damit landen wir aber zwangsläufig mit dem CO2-Thema bei der Energiewende. Energiewende heißt Ersatz von fossilen Brennstoffen und Atomenergie durch erneuerbare Energien. Und solange wir nicht genügend erneuerbare Energien verfügbar haben, können wir die fossilen Brennstoffe nicht einsparen, denn wir sind auf die Energie angewiesen.

Was wir brauchen, ist ein durchdachtes und in seinen Teilen aufeinander abgestimmtes, realisierbares, langfristiges Energiewendekonzept, kein Sammelsurium von nicht zu Ende gedachten Schnellschüssen. Die gehen nur nach hinten los. Wenn man ein solches Konzept erstellen will, muss man zunächst eine Bestandsaufnahme machen. Wo stehen wir?

2018 wurden in der Bundesrepublik 38% des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugt, aber nur 13-14% des Gesamtenergieverbrauchs wurden regenerativ abgedeckt. Das heißt, 86% wurden aus fossilen Brennstoffen oder Kernenergie erzeugt. Dabei wurden 866 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen müssen diese bis 2030 auf 563 Millionen Tonnen jährlich reduziert werden, also um über ein Drittel. Hinzu kommt, dass 2022 die letzten AKW in Deutschland abgeschaltet werden. Diese erzeugen gegenwärtig noch 13% unseres Stroms.

Daraus ergibt sich, dass wir die Erzeugung von Solar- und Windstrom so schnell wie möglich massiv ausbauen müssen, denn ohne genügend Ökostrom können wir weder den Kohle- und Atomstrom ersetzen, noch im Heizungs- und Verkehrsbereich die notwendigen Mengen CO2 einsparen.

Überkapazitäten

Nun kommt hier immer der Einwand, dass Deutschland ja eigentlich riesige Überkapazitäten in der Stromerzeugung hat und große Mengen Strom exportiert, so dass die Stilllegung der AKW und der Braunkohlekraftwerke eigentlich kein Problem sein sollte.

Das ist leider aus mehreren Gründen falsch. Erstens wurde 2018 mit 270 TWh fast die Hälfte unseres Stroms aus Kohle und Kernkraft erzeugt, das ist wesentlich mehr als die exportierte Strommenge. Zweitens bekommen wir durch die notwendigen Umstellungen im Verkehrs- und Heizungsbereich einen massiven Mehrbedarf an Ökostrom und drittens handelt es sich bei dem exportierten Strom größtenteils um Windstrom aus der norddeutschen Tiefebene, der zu Dumpingpreisen ins Ausland quasi verschenkt wird.

Der Grund ist, dass es mangels Nord-Süd-Stromtrassen nicht möglich ist, den Strom in die Ballungszentren in Bayern und Baden-Württemberg zu transportieren. Deshalb werden 10 TWh jährlich an die Niederlande verschleudert und weitere große Mengen Strom über Polen und Tschechien nach Österreich und in die Schweiz, obwohl es in Deutschland eigentlich Bedarf gibt. Aber mangels Transportmöglichkeiten wird der dann mit Strom aus fossilen Brennstoffen oder Kernkraft abgedeckt. Die Kosten für diesen Irrsinn zahlt der Verbraucher über die EEG-Umlage.

Ausbau der Netze

Damit sind wir beim zweiten wichtigen Punkt der Energiewende, dem Ausbau der Netze. Wenn wir unsere Energieversorgung vollständig auf Ökostrom und Umweltwärme umstellen wollen, wird sich unser Stromverbrauch etwa verdoppeln. Aber nur, wenn wir es geschickt anstellen. Wenn wir (Speicher)-Technologien mit geringem Over-All-Wirkungsgrad einsetzen, steigt der Stromverbrauch rasant an.

Aber auch die doppelte Strommenge verkraften die vorhandenen Netze nicht, dafür sind sie nicht ausgelegt. Das betrifft sowohl die Fernübertragungs-Hochspannungsnetze als auch die Niederspannungsnetze vor Ort.

Natürlich ist es weder möglich noch notwendig, die Netzkapazität schlagartig zu verdoppeln, aber da man den Windstrom nun mal dort erzeugen muss, wo das ganze Jahr möglichst viel Wind weht, in Deutschland also bevorzugt in der norddeutschen Tiefebene und offshore in Nord- und Ostsee, brauchen wir die Nord-Süd-Stromtrassen möglichst schnell, damit wir den süddeutschen Raum mit Windstrom versorgen können, wenn 2022 die AKW, die ihn jetzt versorgen, abgeschaltet werden.

Sonst wird nämlich der abgeschaltete deutsche Atomstrom nur durch Atomstrom aus Frankreich und der Schweiz ersetzt, was sicher nicht Sinn der Übung ist. Außerdem macht der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung keinen Sinn, wenn der Strom mangels Übertragungsnetzkapazität nicht dahin transportiert werden kann, wo er gebraucht wird.

Sektorenkopplung

Ebenfalls möglichst schnell müssen wir die Niederspannungsnetze zu Smartgrids aufrüsten. Dadurch wird es einerseits möglich, die vorhandenen Leitungen effektiver auszunutzen und andererseits Verbraucher je nach Angebot von Ökostrom im örtlichen Netz zu betreiben oder abzuschalten, also Elektroautos und Wärmepumpen wirklich mit Ökostrom zu betreiben.

Durch eine solche Sektorenkopplung können die Übertragungsnetze ganz entscheidend entlastet werden, indem der Peakstrom vor Ort sinnvoll verbraucht wird. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich ein Umstieg auf E-Autos und Wärmepumpen in der CO2-Bilanz wirklich bemerkbar machen.

Die Vorteile von Hybridsystemen

Und wir werden noch sehr lange mit fossilen Brennstoffen leben müssen, da es einfach nicht möglich ist, eine erneuerbare Infrastruktur über Nacht aus dem Boden zu stampfen. Das wirft die Frage nach fossilen Zwischen- und Hybridtechnologien auf.

Der Autor dieses Beitrags lehnt fossile Zwischentechnologien wie den Umstieg von Öl- auf Gasheizungen oder den Ersatz von Kohle- durch Gaskraftwerke ab, da wir dadurch einerseits nur die Weiternutzung fossiler Brennstoffe fortsetzen und zementieren und andererseits für die Energiewende dringend benötigte Investitionsmittel anderweitig verwenden. Anders sieht es mit Hybridsystemen aus. Diese können durch ihre Flexibilität große Vorteile haben.

Beispiel Heizungen: Wenn wir die vorhandenen alten Öl- und Gasheizungen nicht demontieren, sondern Wärmepumpenheizungen zusätzlich installieren, können wir mit diesen eine Menge CO2 sparen, wenn genügend (Öko)Strom vorhanden ist. Und wenn der Strom nicht ausreicht wird halt mit dem alten Kessel geheizt. Da der Kessel weniger benutzt wird, produziert er auch weniger CO2. Und andererseits ist es so nicht nötig, unbedingt riesige Stromerzeugungskapazitäten als Reserve vorzuhalten für den Fall, das irgendwann mal in einer Kälteperiode eine Dunkelflaute auftritt.

Beispiel E-Auto: E-Autos sind klimapolitisch kontraproduktiv, wenn sie nicht mit Ökostrom betrieben werden. Leider können wir eine ordentliche Belieferung mit Ökostrom auf absehbare Zeit nicht sicherstellen, was bedeutet, dass die Fahrzeuge zumindest häufig mit Strom aus fossilen Brennstoffen geladen werden. Bei Plug-In-Hybriden ist das anders. Diese können konsequent nur dann elektrisch geladen werden, wenn Ökostrom vorhanden ist, ansonsten wird mit Treibstoff gefahren. Wobei der Hybridantrieb auch noch die sparsamste Variante des Antriebs mit Verbrennungsmotor ist.

Die Reichweitenproblematik des reinen E-Autos entfällt ebenfalls. Und last but not least besitzen Hybridautos einen Verbrennungsmotor und einen E-Motor/Generator. Deshalb kann man mit ihnen auch Strom erzeugen und ins Netz einspeisen, wenn man die Ladeinfrastruktur entsprechend auslegt. Natürlich wird ein einzelnes Fahrzeug nur 15-20 kW liefern, aber bei 1 Million Fahrzeugen sind das 15-20 GW.

Auch wenn wir davon ausgehen, das nur die Hälfte der Fahrzeuge immer an der Ladesäule hängt und damit als Reserveleistung verfügbar ist, sind das immer noch 7,5-10 GW. Zum Vergleich: Die Leistung aller in Deutschland noch in Betrieb befindlichen AKW zusammen beträgt 9,6 GW. Und in Deutschland sind derzeit 47 Millionen PKW zugelassen. Natürlich sind das 20-30 Millionen zu viel und eine Verkehrsreduktion ist unumgänglich. Aber das heißt ja nicht, dass wir das Auto ganz abschaffen müssen. 10-20 Millionen PKW könnten durchaus ihre Berechtigung haben in einem zukünftigen Verkehrskonzept. Aber das ist ein anderes Thema und würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen.

Auf jeden Fall ließen sich mit 5-10 Millionen als Aggregat verwendbaren Plug-In-Hybriden und der entsprechenden Ladeinfrastruktur die Problematik der Reservekapazität bei der Stromerzeugung ganz nebenbei und ohne zusätzlichen Aufwand lösen.

Gaskraftwerke

Zurzeit dienen schnell verfügbare Gaskraftwerke als Reserve. Die installierte Gaskraftwerkskapazität in Deutschland beträgt etwa 35 GW, davon allerdings 2,2 GW vorläufig stillgelegt. Benötigt wurden 2018 als Spitzenleistung nicht einmal 17 GW. Wenn wir allerdings die Atomkraftwerke stilllegen und auch noch die Kohlekraftwerke zumindest teilweise vom Netz nehmen, müssen wir ihre Leistung dann, wenn nicht ausreichend Ökostrom zur Verfügung steht, durch die Gaskraftwerke ersetzen.

Diese werden damit ganz normale Spitzenlastkraftwerke und stehen als Reserve nicht mehr zur Verfügung. Man kann aber ein Stromnetz nicht regelmäßig ohne Reserven an der Leistungsgrenze fahren, das geht irgendwann schief.

Und die Idee, dass dann schon unsere Nachbarn aushelfen werden, ist auch nicht bestechend. Die verlassen sich, so die Erfahrung der letzten Jahre, darauf, dass wir ihnen mit unseren Reserven aushelfen, wenn's bei Ihnen nicht reicht (zum Beispiel Frankreich im Winter vor 2 Jahren).