US-Verteidigungsminister will Nato-Mitglieder zu Maßnahmen gegen die Türkei bringen

Nato-Generalsekretär bei der Rede vor der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Bild: Nato

Nato-Generalsekretär packt die Türkei mit Samthandschuhen an, die EU bleibt ein Papiertiger

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Nach dem Beginn der türkischen Invasion und eines völkerrechtswidrigen Kriegs war Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in die Türkei gereist, um der türkischen Regierung volles Verständnis für die angebliche Bedrohung durch die syrischen Kurden zu versichern und nur vorsichtig Bedenken anzumelden, weil sich damit die Lage in der Region destabilisieren, der IS wieder erstarken und die von den Kurden gefangenen IS-Kämpfer befreit werden könnten.

Letzteres haben die türkische Armee und die mit der Türkei verbundenen Dschihadisten-Miliz schon ausgeführt und Hunderte von ausländischen IS-Kämpfern befreit, zudem wurden Zivilisten bombardiert, gefangene YPG-Kämpfer und eine kurdische Politikerin vor laufender Kamera ermordet, was nur ein Vorschein dessen sein dürfte, was die im Norden lebende Bevölkerung erwarten kann, wenn die türkische Armee weiter vorrückt.

Nato-Generalsekretär: Kein kritisches Wort zur Türkei

Gestern sprach Stoltenberg auf der Parlamentarischen Vollversammlung in London noch einmal auf ähnliche Weise den Konflikt an. Wieder äußerte er große Sorge, aber nur die Erwartung, dass die Türkei ihren Krieg "zurückhaltend" führen solle. Kein kritisches Wort zur Türkei, auch wenn der Krieg, sollten türkische Truppen mit syrischen zusammenstoßen, was nach dem Abkommen der Kurden mit Damaskus durchaus möglich wäre, die Gefahr heraufbeschwört, über die Beistandspflicht alle Nato-Staaten hineinzuziehen. Und er betonte, dass die Nato ein "Wertebündnis" sei.

Stoltenberg setzt alles daran, die Türkei im Bündnis zu halten. Sie hat nicht nur über die nukleare Teilhabe amerikanische Atombomben als Pfand, sondern durch den Erwerb des russischen S-400-Raketenabwehrsystems darf sie sich auch sicher sein, vor entsprechenden Angriffen geschützt zu sein. Das könnte auch mit ein Grund gewesen sein, weswegen Donald Trump auf keinen Fall einen militärischen Konflikt mit der Türkei riskieren wollte, nun aber, weil die Kritik in den USA und auch bei den Republikanern so groß geworden ist, auf ökonomischen Druck setzt, um das Vorrücken der türkischen Streitkräfte und die Freilassung weiterer IS-Kämpfer zu beenden.

Bislang sind die angedrohten Sanktionen aber nur schwach, man könnte auch vermuten, dass Trump genötigt sein könnte, überhaupt Druck auf die Türkei auszuüben, um die vom Kongress von Demokraten und Republikanern geplanten schärferen Sanktionen auszuhebeln. Trump geht ähnlich wie die EU vor. Anders als die Nato wird Kritik an der eigentlich schon seit Jahren angekündigten Militäroffensive geübt und symbolisch mit Maßnahmen gedroht.

Die EU ist da noch zaghafter und fordert die Mitgliedsstaaten nur auf, keine neuen Waffen mehr an die Türkei zu liefern. Selbst vor einem allgemeinen Waffenembargo schreckt man zurück, geschweige denn vor wirtschaftlichen Sanktionen, mit denen die EU die Türkei hart treffen könnte. Vorerst bleibt es bei Worten, über die sich die Türkei hinwegsetzen kann, Erdogan droht hingegen immer wieder damit, die Millionen von Flüchtlingen im Land Richtung Europa zu schicken, womit er die EU in der Hand hat.

Esper geht auf Mission nach Europa

Offenbar gefällt Washington die Haltung der übrigen Nato-Länder nicht, die sich wegducken wollen, obgleich letztlich Trump mit dem Rückzug der US-Truppen das Fanal für den türkischen Einmarsch gegeben hat und jetzt so tut, als habe er dies nicht erwartet. Angeblich soll man im Weißen Haus davon ausgegangen sein, dass Erdogan nur blöfft, weswegen man dann überrascht gewesen sein soll, dass er sofort den Angriff befahl. Wahrscheinlich auch mit Rückendeckung Russlands, das den Nato-Partner halten will, zwischen Ankara, Damaskus und den Kurden einen Ausgleich sucht und vermutlich freie Hand in Idlib erhielt.

US-Verteidigungsminister Mark Esper ergänzte gestern die Sanktionsdrohungen Trumps (Trump will die Türkei mit Sanktionen wegen Syrien belegen). Trotz der Warnungen habe Erdogan eine "unilaterale Invasion" angeordnet, die zu "Toten, Flüchtlingen, Unsicherheit und einer zunehmenden Bedrohung der US-Truppen" geführt hätten. Das "inakzeptable Vorgehen", das er auch als unnötig und impulsiv bezeichnete, habe auch die erfolgreiche Anti-IS-Mission untergraben und zur Befreiung vieler gefährlicher IS-Gefangenen geführt.

Die Aktionen der Türkei seien "unverantwortlich". Um dem Risiko zu entgehen, in einen größeren Konflikt hineingezogen zu werden, ziehe das Pentagon auf Anordnung des Präsidenten US-Truppen aus dem Nordosten Syriens ab:

Präsident Erdogan trägt die volle Verantwortung für die Konsequenzen, wozu die mögliche Wiederauferstehung des IS, mögliche Kriegsverbrechen und eine zunehmende humanitäre Krise gehören. Die bilaterale Beziehung zwischen unseren Ländern wurde beschädigt.

Mark Esper

Esper kündigte an, nächste Woche nach Brüssel zu reisen, um dort die Nato-Staaten unter Druck zu setzen, "kollektive und individuelle diplomatisch und ökonomische Maßnahmen gegenüber diesen ungeheuerlichen türkischen Aktionen zu ergreifen".