Zukunft des Klimas: Vom Wandel über die Katastrophe ins Chaos

Was kommt nach dem Klimawandel? - Teil 3

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Wer davon spricht, dass es auf der Erde Klimawandel immer gegeben hat und dass sich die Menschen, solange es sie gibt, auf veränderte klimatische Bedingungen einstellen mussten, der meint einen sehr langsamen Prozess, der für die einzelne Person kaum merklich ist. Der Wandel kann so allmählich erfolgen, dass im Rückblick jedes gelebten Lebens das Klima an einem Ort als stabil erscheint. Wir wollen nicht davon reden, dass die Menschen sich in ihrer Erinnerung eher an Extremereignisse entsinnen als an das durchschnittliche, normale Wetter der meisten Jahre und deshalb der Meinung sind, dass die Winter früher kälter und die Sommer wärmer und sonniger gewesen seien.

Der allmähliche Klimawandel

An den normalen, ganz allmählichen Klimawandel können sich Natur und menschliche Kultur ganz automatisch anpassen. Das liegt daran, dass sowohl die Tier- und Pflanzenwelt als auch die menschliche Gemeinschaft gewissermaßen ständig "experimentieren": Tiere und Pflanzen "wagen" es, sich in anderen Gegenden auszubreiten, Menschen bauen fremde Getreide- und Obstsorten an, ändern ihre Vorlieben für bestimmte Bekleidungen und Baustile. Manches davon hat Erfolg und bleibt, anderes scheitert und verschwindet wieder. So reagiert Mensch und Umwelt auf allmähliche Veränderungen, ohne es zu merken.

Solche Veränderungen sind eigentlich kein Wandel, sondern ganz allmähliche, kaum merkliche Verschiebungen. Im Laufe der Erfahrungen eines Lebens, einer Generation, hat sich das Klima dann gar nicht verändert, was man daran merkt, dass man etwa dort, wo man als Kind nicht Schlittschuh laufen gelernt hat, auch die Enkel nicht Schlittschuhlaufen lernen, und dort, wo man als Kind im Sommer im Meer gebadet hat, auch die Enkel noch im Sommer in die Wellen springen können. Eine Anpassung an Klimaveränderungen ist möglich, wenn die zeitlichen Maßstäbe der Verschiebungen der normalen Wetterereignisse und der erwartbaren unangenehmen Ausnahmen länger sind als die Zeiträume der Erneuerung unserer kulturellen Ausstattungen, von den Kleidungsstücken, die wir tragen, über die landwirtschaftlichen Verfahren bis zu den technischen Infrastrukturen. Um einen solchen Anpassungsprozess bewusst zu gestalten, müsste eine Gesellschaft aber erst einmal verstehen, in welche Richtung und wie konkret sich der Klimawandel vollzieht. Wir müssten wissen, was die neue Normalität ist. Und das ist mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Bei jedem heißen Sommer und sogar bei jedem einzelnen extremen Starkregenereignis kann man sich fragen: Ist das nun die neue Normalität oder wird es auch zukünftig die Ausnahme bleiben?

Heute gelangen wir allmählich zu einem Denken, in dem wir bereit sind, vieles, was bisher als Extrem galt, für die neue Normalität zu halten. Zudem werden die Aussagen der Klimaforschung immer präziser, sie machen genauere Angaben zu der Art der Veränderungen, die wir erwarten müssen. Für bestimmte Regionen wird vorausberechnet, dass heißere und trockenere Sommer häufiger sein werden. Gemeinden und Städte reagieren bereits darauf, indem etwa Bäume angepflanzt werden, die im Sommer länger mit der Trockenheit zurechtkommen. Auch in der Landwirtschaft beginnt man, nach Sorten zu suchen, die an solche Bedingungen angepasst sind.

Bevor wir uns die Mechanismen und Risiken solcher Anpassungsprozesse genauer ansehen, soll noch ein Blick auf ein Szenario klimatischer Veränderungen geworfen werden, das in der bisherigen Diskussion kaum beachtet wird. Wir hatten gesagt, dass von einem Klima eigentlich nur die Rede sein kann, wenn es eine bestimmte Bandbreite "normaler" Wettereignisse und Witterungsverläufe gibt, auf die wir uns mit unseren kulturellen Gewohnheiten und unseren technischen Infrastrukturen einrichten können. Diese umfassen auch erwartbare Ausnahmen, etwa kalte Winter und heiße Sommer alle paar Jahre. Darüber hinaus gibt es auch bei einem stabilen Klima seltene Extremereignisse, die zu Schäden führen, weil wir nicht auf sie eingestellt sind. Im normalen Klima haben wir aber immer genug Zeit, diese Schäden zu reparieren. Im Allgemeinen behalten wir solche Extremereignisse im kollektiven Gedächtnis als Ausnahmesituationen, die gezeigt haben, wie schnell sich unser Alltag wieder reparieren lässt.

Dreißig Jahre für die Bestimmung von Normalität

Was "normal" ist und was "die Ausnahme" ist, sehen wir immer erst im Rückblick. Die Klimaforschung hat als ein typisches Zeitintervall für die Bestimmung des Klimas an einem Ort einmal dreißig Jahre festgelegt. In der Zusammenschau von drei Jahrzehnten können wir sagen, welcher Mai "durchschnittlich" war, welcher Sommer "verregnet" und welcher Januar "zu mild". Ob, unter den Bedingungen eines Klimas, welches sich wandelt, dieser Sommer "normal" ist oder "zu heiß und zu trocken" - das ist genau genommen eine Frage, die keiner beantworten kann. Nur mit dem Blick auf die Vergangenheit lässt sich eine Antwort geben, aber es ist nun einmal ein Grundprinzip eines Wandels, dass das, was früher normal war, heute nicht mehr gilt.

Dass der Zeitmaßstab für die Bestimmung des Klimas an einem Ort dreißig Jahre beträgt, ist zwar eine Festlegung der Wissenschaft, die zunächst willkürlich erscheint, passt aber sehr gut zu den Zeitmaßstäben der Entwicklung, Nutzung und Erneuerung kultureller Praktiken und technischer Strukturen. Wer Investitionen plant, sei es in Freizeiteinrichtungen, Straßen und andere Verkehrsprojekte, Gebäude oder Energieversorgungsnetze, denkt in solchen Zeiträumen. Auch die Entscheidungsprozesse in der Gesellschaft sind auf diese Zeitmaßstäbe angelegt. Und auch wenn in der Landwirtschaft in Jahreszyklen der Aussaat und Ernte gedacht wird, liegen die Zeithorizonte, für die neue Entscheidungen zu treffen sind, bei einigen Jahrzehnten. Mit neuen Getreidesorten müssen erst Erfahrungen gesammelt werden, ihre Eignung für lokale Bedingungen erweist sich erst in Jahren, Verfahren und Techniken werden auf der Grundlage von Ergebnissen der Vorjahre entwickelt - ganz zu schweigen davon, dass etwa Obstbäume und Weinstöcke Jahre benötigen, um ihre Ertragskraft zu entwickeln und dass die Zeit, die benötigt wird, um neue Pflanzensorten zu entwickeln und auszuprobieren, ebenfalls in Jahren und Jahrzehnten zu messen ist.

Klimachaos: Welt ohne Klima

Was aber, wenn der Klimawandel sich so beschleunigt, dass von einem normalen Klima, das sich allmählich oder mehr oder weniger zügig verschiebt, gar keine Rede mehr sein kann?

Wenn die Zeitmaßstäbe der Klimaveränderung kürzer werden als die der Erneuerung kultureller und technischer Einrichtungen, entsteht ein Problem: Es gibt genau genommen gar kein Klima mehr, auf dessen Kenntnis hin man Planungen und Entscheidungen für diese Erneuerung vornehmen könnte. Dieses Problem verstärkt sich, umso mehr sich der Klimawandel zu einer Klimakatastrophe auswächst, in der durch ein Umkippen des ganzen klimatischen Systems gar nicht mehr von einer Verschiebung, sondern nur noch von einer chaotischen Neuausrichtung des ganzen Systems auf einen möglichen neuen, völlig unbekannten Zustand die Rede sein kann. Eine solche Phase ließe sich als Klimachaos bezeichnen in der es, auch auf eine Sicht von dreißig Jahren, gar keine Normalität und keine Ausnahmen, sondern quasi nur noch Abweichungen vom früheren Normalzustand gäbe.

Klimachaos ist auch insofern der richtige Begriff für eine solche Zeit, weil die verschiedenen Elemente des Erd-Klimasystems - Atmosphäre, Ozeane, Gletscher, Arktisches Eis, Kontinentale Eisschilde, Wälder und Wüsten - unterschiedlich schnell auf die Veränderungen reagieren. Die Veränderungen eines Teilsystems greifen immer wieder neu und auf komplexe Weise auf die anderen Teilsysteme über, Veränderungen etwa in der Vegetation oder beim Anstieg des Meeresspielgels beeinflussen die Wärmespeicherung und die Wärmerückstrahlung der betreffenden Fläche was wieder Rückwirkungen auf die großen Strömungsmuster in der Atmosphäre hat.

Deshalb wird es für eine gewisse Zeit keine neue Klimastabilität geben. Der Wetterverlauf wird sich nicht nur in einer normalen Schwankungsbreite verändern, auf die man sich verlassen könnte, vielmehr wird sich der Witterungsverlauf über Jahrzehnte immer wieder überraschend und unerwartet ändern. Die Zeit, bis sich das ganze System auf einen neuen, einigermaßen stabilen Zustand eingeschwungen hat, sodass man wieder von einem Klima mit Normalität, Abweichungen und Ausreißern sprechen kann, wird Jahrzehnte dauern.

Klimamodelle, die dies alles auf Grundlage des naturwissenschaftlichen Verständnisses simulieren und damit vorausberechnen könnten, werden, wenn sich die Prozesse weiter beschleunigen, immer den tatsächlichen Veränderungen hinterherhinken. Natürlich sind die Computer schnell genug, um diese Prognosen auszuführen, aber sie basieren ja darauf, was die Wissenschaftler bereits verstanden und in die Modellrechnungen eingebaut haben. Viele Effekte wird man aber erst untersuchen und verstehen lernen, wenn sie eingetreten sind. Das führt dazu, dass die Modelle - insbesondere, wenn es darum geht, mittel- und kleinräumige Veränderungen in den Lebensbedingungen der Menschen vorherzusagen, immer wieder den schnellen, dramatischen Veränderungen hinterherhinken werden.

Unsicherheitsfaktor Mensch

Selbst, wenn es gelänge, die physikalischen, chemischen, biologischen und ökologischen Veränderungen auf Basis naturwissenschaftlicher Computermodelle hinreichend genau vorherzusagen, bleibt eine große Unsicherheit: niemand kann vorhersagen, wie die Menschen handeln werden. Wann werden sie aufhören, die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre weiter zu erhöhen? Werden sie versuchen, durch Geo-Engineering-Technologien gegenzusteuern? Wird das andere, unvorhergesehene, gravierende Nebenwirkungen haben? Werden sie durch Anpassungen in der Landwirtschaft relevante klimatische Veränderungen vornehmen? Was passiert, wenn Wanderungsbewegungen Landstriche veröden lassen und andere Gegenden zu intensiv genutzt werden? Werden Kriege um die verbleibenden Lebensräume und Ressourcen weiteren Schaden fürs Klima anrichten? Alles, was durch das zukünftige Handeln der Menschen im Klimawandel erst hervorgerufen wird, lässt sich zwar ansatzweise in Szenarien durchspielen und in Modellen auch beispielhaft berechnen, aber es lässt sich nicht vorhersagen, weil das tatsächliche Handeln der Menschen weitgehend unvorhersehbar ist.

Der Klimawandel wird also eine Phase extrem hoher Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Witterungsverläufe sein. Das bedeutet: Wir können zwar davon ausgehen, dass es insgesamt wärmer wird, aber ob die Sommer in einer bestimmten Region heiß und trocken werden, ob womöglich in den Frühlingsmonaten oder im Herbst sintflutartige Starkniederschläge zu erwarten sind, ob es in den Alpen häufig im Frühsommer extreme Schneefälle geben wird, wann der erste Schnee zu erwarten ist und wann es "Frühling wird", wie sich die typischen Zugbahnen der Tiefdruckgebiete verlagern werden, ob bestimmte Regionen austrocknen und andere unter Stürmen zu leiden haben werden. - all das ist nicht nur ungewiss und schwer vorherzusagen, es kann sich im Laufe des Klimawandels auch immer wieder ändern. Zur normalen Variabilität des Klimas, wie wir es kennen, kommt nicht nur eine grundsätzliche Verschiebung des "Normalen" und der "Ausnahmen" vielmehr kann sich über Jahrzehnte womöglich überhaupt keine Normalität mehr einstellen, weil das ganze System im Umbruch ist und die einzelnen Komponenten sich immer wieder wechselseitig "aus dem Rhythmus" bringen.

Das hat gravierende Konsequenzen für die Möglichkeiten der Planung langfristiger Investitionen in Technologien, Infrastrukturen und Landwirtschaft. Man weiß schlicht nicht, was "funktionieren" wird. Natürlich können wir heute mit unerwarteter Trockenheit, Starkniederschlägen und Hitzeperioden umgehen. Selbst wenn sie zu Störungen führen haben wir die Möglichkeit, uns davon jeweils zu erholen und wir wissen, das sind Ausnahmen. Im chaotischen Klima werden wir aber nicht wissen, ob das Extremereignis eine Ausnahme oder die neue Normalität ist - und was als neue Normalität erscheint, kann in wenigen Jahren schon wieder einer anderen "Normalität" weichen.

Eine neue Normalität

Vorausgesetzt, dass in dieser Phase der Einfluss des Menschen auf das System irgendwann kleiner wird, wird sich das chaotische Klimasystem irgendwann wieder beruhigen und auf einen neuen verlässlichen Zustand einschwingen, in dem es wieder ein normales Klima geben wird, mit normalen Wetterereignissen, erwartbaren Ausnahmen und extremen Ausreißern. Diese Zeit ist gemeint, wenn wir hier fragen: "Was kommt nach dem Klimawandel?" Natürlich wird sich auch in dieser Zukunft das Klima allmählich verändern, so wie es sich tatsächlich immer allmählich verändert hat. Diese allmählichen Veränderungen meinen wir nicht, wenn wir von einem Wandel sprechen. Es ist wie mit einem Menschen, der sich allmählich verändert: Wenn wir da von einem Wandel, etwa in den politischen Einstellungen oder in seinen Interessen oder seinem Charakter sprechen, dann meinen wir einen ziemlich abrupten, plötzlichen und tiefen Veränderungsprozess. So ist es auch mit dem Klimawandel, der uns bevorsteht: Es gab eine Zeit vor diesem Wandel, es gibt die Phase des ziemlich schnellen, ziemlich grundsätzlichen Veränderns, und es gibt eine Zeit, die danach ist.

Wie diese Welt danach beschaffen ist, wissen wir nicht. Wird es noch Menschen geben? Das ist die wichtigste Frage für uns Menschen. Wenn ja: Wie werden sie leben? Werden sie aus dem Wandel, den sie verursacht haben, etwas gelernt haben? Um diese Fragen soll es später noch gehen. Dazu wird uns aber zuerst beschäftigen, wie dieser Wandel aussehen könnte.