Schluss mit lustig!

Björn Höcke auf dem Landesparteitag der AfD-Thüringen im August 2019 in Arnstadt. Bild: Vincent Eisfeld/CC BY-SA-4.0

Den deutschlandweit aufschäumenden Faschismus bekämpft man am wirksamsten, indem man ihn tatsächlich auch mal bekämpft. Ein polemischer Kommentar zur Wahl in Thüringen

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Der Wahlerfolg der AfD in Thüringen scheint einem Schlag ins Gesicht der Opfer des zunehmenden Rechtsterrors in der Bundesrepublik gleichzukommen. Nur wenige Wochen nach dem jüngsten antisemitischen und rassistischen Terrorakt von Halle kann die Partei, deren Führer als geistiger Brandstifter durch antisemitische Äußerungen das "Andenken an sechs Millionen ermordeter Juden" mit Füßen trat - so der Zentralrat der Juden in Deutschland Anfang 2017 - ihren Stimmanteil gegenüber der Vorwahl mehr als verdoppeln.

"Signal des Schreckens"

Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, warnte in einer ersten Stellungnahme angesichts des Erfolgs der Höcke-AfD, dass "in unserem politischen System etwas grundlegend aus den Fugen geraten" sei. Die Wahlberechtigten in Thüringen hätten eine Partei gewählt, die "seit Jahren mit ihrer Verharmlosung der NS-Zeit, ihrem offenen Nationalismus und dem von ihr geschürten Hass gegen Minderheiten, darunter auch die jüdische Gemeinschaft, den Nährboden für Ausgrenzung und rechtsextreme Gewalt" bereite. Das Internationale Auschwitz-Komitee sprach angesichts des Wahlerfolges des Faschisten Höcke von einem "Signal des Schreckens" für die Überlebenden des deutschen KZ-Systems, das "eine weitere Verfestigung rechtsextremer Grundeinstellungen und Tendenzen in Deutschland befürchten" lasse.

Wie konnte es so weit kommen, dass eine von einem gerichtsnotorischen Faschisten geführte Partei bei einer Landtagswahl nahezu ein Viertel der Stimmen holt, dass die immer weiter ins Extrem abdriftende AfD, die von Rechtsextremismusforschern inzwischen rundweg als "rechtsradikal" bezeichnet wird, zur "Normalität" im Polit- und Medienbetrieb der Bundesrepublik gerinnt?

Es könnte vielleicht doch an den unzähligen Naziverstehern in Politik, Medien und dem Staatsapparat liegen, die die Neue Rechte mit offenen Armen empfingen und kräftig daran arbeiteten, die beständig nach rechts und ins offen Völkische abdriftende "Bewegung" als Teil des Politikbetriebs zu etablieren und zu "normalisieren". Der mit unzähligen Talkshowauftritten gepflasterte Aufstieg der Neuen Rechten ist gerade der verrohenden bürgerlichen "Mitte" zu verdanken, ihrer krisenbedingten Anfälligkeit für Krisenideologien der Neuen Rechten, die ein ideologisches Verwesungsprodukt des Neoliberalismus darstellen. Und es ist eben diese erodierende bürgerliche "Mitte", die diesen neurechten Extremismus der Mitte ausbrütete und förderte, die nun sich entblödet, die alte Extremismus-Doktrin aufzuwärmen - und etwa die kreuzbrave, bieder sozialdemokratische Thüringer Linke der AfD gleichzusetzen.

Anstatt die alte Totalitarismus-Keule zu schwingen, die angesichts der kräftigen massenmedialen Förderung der AfD durch die Mitte nur noch lächerlich wirkt, könnte mal zur Abwechslung das Gerede von den "besorgten Bürgern" und ihren "berechtigten Ängsten" eingestellt - und eine andere, konsequente Taktik gegenüber der anschwellenden braunen Brut verfolgt werden.

Hierbei können die Überlegungen Theodor Adornos, einer der konsequentesten Antifaschisten, die in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit wirken konnten, von Interesse sein, der sich etwa im Vortrag "Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute" mit dem Fortwirken von Elementen der Naziideologie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft schon 1962 hellsichtig auseinandersetzte.

Aller scheinbaren Stabilität des politischen Systems des Wohlstandwunder-Deutschlands zum Trotz konstatierte Adorno schon damals das Fortleben eben jener antisemitischer Ressentiments, die gegenwärtig sich offen manifestieren und zur mörderischen Tat drängen. Antisemitismus sei kein "isoliertes und spezifisches Phänomen", sondern Teil des rechten "Tickets" einer ideologischen "Plattform", in der sich ein militanter und exzessiver Nationalismus notwendigerweise mit Antisemitismus anreichere. Antisemitische Ressentiments fungierten als eine Art ideologischer Klebstoff in diesen in der Nachkriegszeit sich formierenden Bewegungen, so Adorno, sie brächten die "sonst sehr divergierenden Kräfte eines jeden Rechtsradikalismus auf eine gemeinsame Formel".

Rechte Pseudo-Rebellion gegen ein antisemitisch konnotiertes Wahngebilde

Hinzu kommt, dass der Antisemitismus gerade in Krisenzeiten als eine letzte ideologische Verteidigungslinie des Kapitalismus fungiert. Sobald die zunehmenden inneren Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung ernsthafte Krisenschübe zur Folge haben, wird die von der Neuen Rechten betriebene Personifikation der Krisenursachen in letzter Instanz auf das historisch gewachsene, antisemitische Feindbild des Juden explizit übertragen.

Der Antisemitismus dient dabei nicht nur der Konstruktion von Sündenböcken wie beim Rassismus, das Wahngebilde der jüdischen Weltverschwörung dient dem Antisemiten als Personifikation der widersprüchlichen real-abstrakten Eigendynamik des Kapitals, der vermittelten, fetischistischen Formen kapitalistischer Herrschaft. Gerade wenn ein neuer Krisenschub droht, drängt das latente antisemitische Ressentiment ins Manifeste.

Bei Höcke sei die entsprechende, antisemitisch konnotierte, verkürzte Kapitalismuskritik voll ausgebildet, so Rechtsextremismusforscher Helmut Kellershohn. Höckes Welt sei von einem "Raubtierkapitalismus" beherrscht, der durch das "internationale Finanzkapital" gesteuert würde, das einen "internationalen Geldmachtkomplex mit seiner krakenhaften Machtstruktur" ausgebildet habe. Diese Geldelite führe einen Krieg gegen die organisch gewachsenen Völker, gegen "Staat, Volk, Recht, Religion, Sicherheit, Sitte und Anstand".

Ein zentrales Merkmal dieser absurden rechten Pseudo-Rebellion gegen ein antisemitisch konnotiertes Wahngebilde besteht aus Konformismus. Angetrieben werde die Rechte dabei von einer "verdrängten Wut", so Adorno weiter, die durch die alltägliche Unterdrückung und Ausbeutung im Kapitalismus angefacht werde. Da die Rechte sich "mit der sie unterdrückenden Autorität identifiziere", würden die unterdrückten aggressiven Instinkte an Anderen, "im allgemeinen an Schwächeren", ausgelebt. Der autoritätsgläubige Charakter, der sich in diesen Bewegungen sammle, sei "wirklich der Untertan, wie Heinrich Mann ihn darstellte", so Adorno. Trotz seiner "pseudorebellischen" Agitation sei er "ständig bereit, vor den Trägern der wirklichen Macht, der ökonomischen oder welcher auch immer, sich zu ducken und es mit ihr zu halten".

Servilität gegenüber wahrer Macht geht bei der Rechten einher mit dem Hass auf alles Fremde und Schwache

Daran hat sich in den vergangenen 50 Jahren nichts geändert. Auch die Neue Rechte betreibt eine konformistische Rebellion, die den Kampf gegen die gesellschaftlich schwächsten, wehrlosen Bevölkerungsgruppen und imaginierte antisemitische Wahngebilde mit einer hündischen Unterwürfigkeit gegen die gegebenen Machtstrukturen koppelt, für die deren Akteure ein sehr fein ausgebildetes Gespür haben. Auch Kellershohn konstatierte, dass bei Höcke und seinem "Vordenker" Kubitschek vieles nur Rhetorik und "Geraune" sei. Die Eigentumsverhältnisse wolle Höcke nicht angreifen:

Da schlägt er antikapitalistische Töne an, kritisiert etwa die Privatisierung der Rente, sagt, die AfD müsse den sozialistischen Auftrag übernehmen, den die Linke verraten habe. Aber dann kommt über die sogenannte Staatsbürgerrente, die nur für Deutsche gedacht ist, das Völkische rein.

Kellershohn

Wie sich neurechter Untertanengeist - der sich immer nur gegen gesellschaftlich Schwache richtet und sich gleichzeitig als verfolgte Unschuld imaginiert - in der Praxis entfaltet, illustriert gerade der besagte Herr Kubitschek vortrefflich, der sich laut Kellershohn Höcke als Repräsentanten seines "Instituts für Staatspolitik" in der AfD hält. Wie sieht nun die rechte "Rebellion" aus, die abermalige "konservative Revolution", als dessen Akteur sich all das versteht, was sich im Institut für Staatspolitik - das witzigerweise als eine "Denkfabrik" der Neuen Rechten gilt - zusammentut? Herr Kubitschek hat da so eine ganz eigenen "revolutionären" Vorstellungen, wie das folgende Zitat illustriert:

Was fehlt, ist die eine große Zeitung, der eine große Sender, der sich entschlösse, das alternative Milieu wohlwollend abzubilden und zu Wort kommen lassen. Das wäre noch nicht einmal eine vor allem idealistische Entscheidung: Eine Welt, die unter 100 000 Abonnenten hat, eine FAZ, die ihre Abonnentenzahl halbierte, hätten plötzlich das Alleinstellungsmerkmal desjenigen, der im Osten einem Viertel und im Westen einem Siebtel der Wähler Fairneß angedeihen ließe.

Götz Kubitschek

So sieht die Rebellion der Neuen Rechten aus. Während man gegen eine halluzinierte Weltverschwörung einer Geldelite hetzt, bettelt man bei den hiesigen, biodeutschen Oligarchen und Meinungsmachern um wohlwollende Beachtung, um einen Sendeplatz, um Zeitungsspalten bei Frau Friede Springer und Herrn von Altenbockum.

Servilität gegenüber wahrer Macht geht bei der Rechten einher mit dem Hass auf alles Fremde, Schwache. Und, vor allen Dingen, es geht ja auch um das Geschäft, es wird sich lohnen. Der in diesem Milieu tief sitzende Opportunismus kommt gerade in dem Verweis auf das wirtschaftliche Potenzial der Etablierung eines Neurechten Medienmainstreams zum Ausdruck. Angesichts der publizistischen Linie des Springer-Konzerns, der längst de facto als eine Vorfeldorganisation der AfD fungiert, fragt sich nur, was Kubitschek noch will? Poschardts Posten?

Der Opportunismus der alten wie neuen Rechten, ihre autoritäre Fixierung, sie lassen Adorno zufolge in letzter Instanz nur das Mittel der Autorität als effektive, kurzfristige Maßnahme übrig, um den manifesten Rechtsextremismus und Antisemitismus zumindest an der Entfaltung zu hindern:

Diesen Menschen gegenüber, die im Prinzip selber lieber auf Autorität ansprechen und die sich in ihrem Autoritätsglauben auch nur schwer erschüttern lassen, darf auf Autorität auch nicht verzichtet werden. Wo sie sich ernsthaft vorwagen bei antisemitischen Manifestation, müssen die wirklich zur Verfügung stehenden Machtmittel ohne Sentimentalität angewendet werden, gar nicht aus Strafbedürfnis oder um sich an diesen Menschen zu rächen, sondern um ihnen zu zeigen, dass das einzige, was ihnen imponiert, nämlich wirklich gesellschaftliche Autorität, einstweilen denn doch noch gegen sie steht.

Theodor W. Adorno

Faschisten verstehen die Sprache der Peitsche sehr gut. Sie führen sie alltäglich selber ins Feld. Etwa, wenn Björn Höcke von der "wohltemperierten Grausamkeit" spricht, mit der Deutschland nach einem Machtantritt der AfD gesäubert werden solle. Ein im Rahmen des rechtsstaatlich weitestgehend mögliches, konsequentes Vorgehen gegen die aufschäumende braune Brut, die schon über zwangsläufig erforderliche "Schnitte" am deutschen Volkskörper debattiert, wäre auch deswegen notwendig, um eine zentrale Frage zu beantworten, die sich aus dem obigen Adorno-Zitat ergibt: Steht die gesellschaftliche Autorität noch überhaupt gegen den aufkommenden Antisemitismus und Faschismus?

Überdies würde das ganze opportunistische Umfeld der Neuen Rechten wegfallen, das deren Aufstieg als eine Karrierechance oder ein gutes Geschäftsfeld begreift und nutzt. Das Aufspringen auf den braunen Wagen der AfD darf nicht mehr zu einem guten Geschäft werden, es muss mit Nachteilen einhergehen. Die alte wie die neue Rechte nutzten den vor allem in Krisenzeiten zunehmenden Opportunismus sehr geschickt aus, um neue Anhänger zu gewinnen. Adorno sprach in diesem Zusammenhang vom dem der Reklame entlehnten Bandwagon-Effekt, bei dem rhetorische Figuren bemüht werden, die allen potenziellen Mitläufern zukünftige Privilegien zusichern, sobald der Sieg der Bewegung errungen sei. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre die obig genannte "Staatsbürgerrente".

Lässt sich eine konsequente Ächtung und Marginalisierung der AfD in Medien und Politik, eine entschiedene strafrechtliche Verfolgung rechter Gewalt und Hetze, lassen sich Verbotsverfahren gegen Faschistenparteien überhaupt noch durchsetzen, angesichts des zunehmenden Rückhalts, den die Neue Rechte samt rechtsterroristischen Seilschaften vor allem im Staatsapparat genießt? Dieser breite, demokratisch-antifaschistische Kampf um die Marginalisierung der Neuen Rechten, der sich durchaus in die Tradition der Volksfrontbewegung stellen könnte, würde somit am Vorabend des nächsten großen kapitalistischen Krisenschubs auch die Frage beantworten, ob die Faschisierung der Bundesrepublik noch reversibel ist.