Grüne Kreuze gegen das Bauernsterben

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Landwirte demonstrierten gegen das Agrarmaßnahmepaket. Um zu verstehen, warum sich die Bauern zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen, lohnt es sich, genauer hinzuschauen

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Am 22. Oktober 2019 protestierten tausende Bauern mit ihren Treckern gegen die Pläne der Bundesregierung: Aktionsprogramm Insektenschutz, neue Düngeverordnung, Auflagen bei der Tierhaltung und Umschichtung der Agrarförderung hin zu mehr Umweltschutz, aber auch das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten sehen die Bauern kritisch.

Zu den Demos aufgerufen hatte die Initiative Land schafft Verbindung, in der sich Landwirte verbandsübergreifend und parteiunabhängig organisiert haben. Die Landwirtschaftspolitik sei zu praxisfern und zu bürokratisch, hieß es. Die Gesetzgebung gleiche einer Entmündigung.

Auf Streifen in Gewässernähe soll das Düngen mit Gülle, Jauche und Co. verboten werden. Insbesondere wehren sich die Landwirte gegen längere Sperrzeiten für das Düngen auf Wiesen und Weiden im Herbst und Winter. Auf der anderen Seite sind schärfere Düngeregeln nötig, um die Qualität des Grundwassers zu verbessern. Weil die Nitratwerte im Grundwasser seit Jahren nicht mehr eingehalten werden, droht die EU-Kommission Deutschland mit einer Klage.

So muss in intensiven Tierhaltungsgebieten mit großen Tiermastanlagen die Düngung um 20 Prozent reduziert werden. Warum aber betrifft die Vorschrift Ackerbauern, sogar dann, wenn sie gar keine Tiere halten, wundert sich Kartoffelanbauer Henning Schulz in einem Interview mit 3sat. Gerne würde man Natur und Umwelt schützen, das Tierwohl weiter ausbauen, die Landwirtschaft zeitgemäß weiterentwickeln, betont das Bündnis. Allerdings wolle man alltagstaugliche Vorgaben selbst mitentwickeln, anstatt die Vorgaben von Umwelt- und Naturschutzorganisationen bestimmen zu lassen.

Das Agrarpaket sei zu "toxisch", ereiferte sich Bauernpräsident Joachim Rukwied. Die Politik mute den Bauernfamilien zu viele Maßnahmen zu. Ausgerechnet Rukwied mit seinen zahlreichen Posten in Unternehmen und Verbänden der Agrarindustrie, Düngemittel-Herstellern und Banken spielt sich als Fürsprecher der Bauern auf.

Jahrelang hatte der Multifunktionär falsche Entscheidungen in der Agrarpolitik mitzuverantworten und EU-Subventionen ungerecht verteilt. Bereits 2017 setzte er sich vehement gegen ein Glyphosat-Verbot ein. Vor diesem Hintergrund dürfte er natürlich ein persönliches Interesse daran haben, dass alles beim Alten bleibt (Agrarlobbyismus im Hinterzimmer).

Dreiteiliges Agrarpaket in der Kritik

Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist ab sofort ein zehn Meter großer Abstand zu Gewässern vorgeschrieben. Ab 2021 dürfen Pestizide in Naturschutzgebieten nicht mehr angewendet werden. Und 2024 soll endlich das lang geforderte Glyphosat-Verbot in Kraft treten. Neben strengeren Regeln für Pestizide und mehr Schutzgebiete will der Bund den Bauern 50 Millionen Euro zur Förderung des Insektenschutzes zahlen.

Weitere 50 Millionen Euro fließen in die Insektenforschung und das -monitoring. Mit dem Geld aus der so genannten Zweiten Säule der Agrarsubventionen wurden bisher Leistungen für Naturschutz- und Tierschutz belohnt. Nun will die Regierung die Fördergelder aufstocken: Von 4,5 Prozent auf sechs Prozent der Gesamtmittel. Im Gegenzug wird die Direktzahlung von 4,50 € pro Hektar eingestellt.

Das Echo auf das Agrarpaket ist geteilt. Vergebe die EU die Subventionen künftig nicht mehr nach Fläche, sondern nach Umweltleistungen, so die Sorge der Bauern, drohe ein neues Höfesterben.

Was die Umschichtung der Direktzahlungen angeht, seien die geplanten sechs Prozent ein guter Kompromiss vor dem Hintergrund, dass die SPD auf 15 Prozent aufstocken wollte, glaubt Staatssekretär Hermann Onko Aeikens. Die Bauernproteste richten sich aber auch gegen das neue Freihandelsabkommen Mercorsur.

Denn billige Importware, die den inländischen Markt überschwemmt, könnten die Preise einheimischer Agrarerzeugnisse drücken. Das Abkommen würde nicht nur die Exportinteressen deutscher Landwirte berücksichtigen, sondern ihnen sogar mehr Chancen eröffnen, hält Aeikens dagegen.

Artenschutz und sauberes Grundwasser haben nie eine Rolle gespielt

Auf ahnungslose Stadtmenschen wirken die Proteste, die derzeit von grünen Kreuzen auf den Feldern begleitet werden, zunächst irritierend. Wollen die Bauern wirklich, dass die Bienen aussterben und die Umwelt vergiftet wird?

Ein Blick in die Vergangenheit erklärt ihre Empörung zumindest teilweise. Jahrzehntelang predigte man ihnen, sie sollten ihre Tierzahlen vergrößern, mehr Flächen hinzupachten und ihre Betriebe auf Milchviehhaltung, Schweinemast, Getreide-, Zuckerrübenanbau oder auf wenige Gemüsearten spezialisieren. Wachsen oder weichen, hieß die Devise.

Chemiekonzerne bereicherten sich am Verkauf von Agrochemikalien und Mineraldünger, während autarke Bauernhöfe mit weiten Fruchtfolgen auf den Äckern, Weidetieren, Schweinen, Hühnern, Gänsen, Katzen und Bauerngärten verschwanden. Am Tropf der EU-Subventionen konnten viele Bauern gerade so überleben. Währenddessen verschwinden die Arten, wird das Grundwasser weiter verschmutzt.

Nun will die Politik das Ruder herumreißen und mit Maßnahmepaketen das Schlimmste verhindern: Dünger und Pestizide sollen reduziert werden, um Insekten zu schützen und hohe Nitratwerte zu senken. Besser spät als nie, sollte man meinen.

Aber reicht es wirklich, an wenigen Stellschrauben zu drehen, um die Fehler der letzten 50 Jahre zu korrigieren? An den Fundamenten eines überholten Wirtschaftssystems soll schließlich nicht gerüttelt werden. Das ganze System bleibt weiterhin auf Wachstum ausgerichtet. Nicht ohne Grund spricht Renate Künast beim Agrarpaket von einem Potemkinschen Dorf, das von der Regierung errichtet würde, um das alte Agrarsystem zu retten. Schulze und Klöckner würden sich nicht wirklich an ein Verbot von Glyphosat herantrauen, kritisiert die ehemalige Agrarministerin.

Sie verweist auf Holland, wo der Staat den Landwirten, die für einen neuen Stall nicht genug Platz oder Geld haben, Ländereien abkauft, um es für den Naturschutz oder den Bioanbau zu nutzen. Auf diese Weise könne man auch in Deutschland weitere Massentierhaltungsanlagen vermeiden und mehr Land für Ökoanbau oder Naturschutz gewinnen. Im Hinblick auf den Fleischkonsum fordert Künast höhere Preise. Die Mehreinnahmen könnten für den Umbau der Landwirtschaft genutzt werden.

Badische Winzer kritisieren Volksbegehren "Rettet die Bienen"

Neben dem Agrarpaket ist für viele Bauern das Volksbegehren für mehr Bienenschutz Anlass zur Sorge. Hintergrund ist, dass in Baden-Württemberg zwei Stuttgarter Imker einen Zulassungsantrag auf den Weg gebracht haben, den knapp 36.000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben. Ähnlich wie in Bayern wurde auch hier ein Volksbegehren zum Schutz der Bienen in Gang gesetzt.

Wichtigste Eckpunkte: Bis 2025 sollen nur die Hälfte aller landwirtschaftliche Anbauflächen mit Pestiziden behandelt werden. Bis 2035 sollen 50 Prozent der Landwirtschaft auf Öko-Landbaus umgestellt werden, und in Schutzgebieten Pestizide komplett verboten sein und Streuobstbestände gezielt geschützt werden.

Vielen Bauern, auch Biobauern, in Südbaden, deren Anbauflächen in Schutzgebieten liegen, bereiten diese Forderungen Sorgen. Denn das hieße zum Beispiel, dass Biowinzer am Kaiserstuhl kein Kupfer mehr einsetzen dürften. Bisher waren geringe Mengen Kupfer gegen Pilzkrankheiten auch im Öko-Weinbau erlaubt. Mit einem Kupfer-Verbot werde es am Bodensee weder Weinbau noch Obstbau geben, befürchten Obstbauern am Bodenseekreis. Die Folge seien Missernten.

Ohne Pflanzenschutzmittel gehe es einfach nicht, so die unter Winzern verbreitete Ansicht. Das Verbot hätte zu starke Einschnitte in der Branche zur Folge, kritisiert Paulin Köpfer. "Wir arbeiten sehr eng mit den Initiatoren und den Befürwortern des Volksbegehrens zusammen", erklärt der Vorsitzende des Verbands Ecovin Baden. Es müsse einen Weg geben, der von allen Seiten tragbar sei. Und der müsse gemeinsam erarbeitet werden.

Öko-Bauer Martin Hahn aus Überlingen-Bonndorf hält darüber hinaus eine Erhöhung des Anteils des Ökolandbaus bis 2035 auf 50 Prozent für nicht praktikabel. Ihm zu Folge sollten synthetische Pflanzenschutzmittel zwar verboten werden, mineralische Pflanzenschutzmittel auf natürlicher Basis aber weiter erlaubt bleiben.

Besser sei eine gezielte Förderung des Strukturwandels, glaubt der agrarpolitische Sprecher der Grünen im baden-württembergischen Landtag. Immerhin sei der Öko-Anteil in der Region seit 2011 innerhalb von sieben Jahren von sieben Prozent auf 15 Prozent gestiegen.