Werte MdB: Hört auf zu jammern …

Jammern auf hohem Niveau: Kein Wasser im Plenarsaal.

Über die angeblich "menschenfeindliche Arbeitsbedingungen" von Bundestagsabgeordneten

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Binnen eines Tages kam es im Bundestag zu zwei medizinischen Notfällen. Ein CDU- Abgeordneter bekam während einer Rede gesundheitliche Probleme. Während einer namentlichen Abstimmung mitten in der Nacht ebenso eine Abgeordnete der Linken. Beide sind erfreulicherweise auf dem Weg der Besserung. Jetzt wird, bis hin zur Tagesschau, über "menschenfeindliche Arbeitsbedingungen" (Zitat MdB Anke Domscheit-Berg) der Abgeordneten diskutiert. Domscheit-Berg beklagte sich via Twitter, im Plenarsaal nicht einmal ihre mitgebrachte Wasserflasche austrinken zu dürfen. Lassen wir mal beiseite, dass Frau Domscheit-Berg in drei (sic!) Parteien hinter einer erfolgreichen Nominierung für den Bundestag hinterherlief, bis es bei der "Linken" mit ihrem "menschenfeindlichen" Traumjob endlich klappte.

Nicht diskutiert wird, dass das "normale" Bundestagspersonal, vom stenografischen Dienst bis hin zur Garderobenfrau, Büro- und Reinigungskraft, bei oft schlechter Bezahlung, ebensolchen "menschenfeindlichen" Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist. Daher diskutiere ich als jemand, der 15 Jahre lang Mitglied des "Hohen Hauses" war, nun gerne mal mit.

Ich erinnere mich noch immer an ein Sommerfest der parlamentarischen Gesellschaft (DPG), als es einen Schlechtwetteranbruch gab. Tropfnass musste das Personal bei strömendem Regen weiterhin Getränke servieren, während meine "Amtskollegen", teilweise feixend, im Trockenen unter Pavillons saßen und nicht aufhörten, Bestellungen abzugeben. Es war eine der Stunden, wo ich mich richtig schämte, MdB zu sein. Das war tatsächlich menschenfeindlich.

Aber wenden wir uns nun den Hintergründen des Mimimi zu. Ja und nochmals: MdB zu sein ist durchaus kein reines Vergnügen. Auch wenn meine Frau immer lästerte, es mache mir so viel Spaß, dass ich eigentlich Vergnügungssteuer zahlen sollte. Wer das Mandat ernst nimmt, hat tatsächlich viel zu tun und ganz sicher keinen 8-Stunden Tag nebst freien Wochenenden. Wer nichts tun will und Fehler macht, wird allerdings auch von keinem Chef und niemand sonst gegängelt oder gar sanktioniert. Niemand, der oder die Abgeordneten Vorschriften machen oder gar entlassen könnte.

Ich hatte in meinen 66 Jahren freiberuflich und angestellt schon einige Jobs. Ich war bei einer Lebensversicherung in der betrieblichen Altersversorgung tätig, arbeitete bei Gewerkschaften, zuletzt als (sehr ordentlich bezahlter) Pressesprecher der IG Metall in Baden- Württemberg, davor an der "Basis" in regionalen Geschäftsstellen, zwischendurch und heute als journalistischer Freiberufler. All dies war interessant. Nichts davon wollte ich missen. Bis hin zur künftigen Altersversorgung aber auch und erst recht nicht meine "menschenfeindlichen" 15 Jahre im Deutschen Bundestag.

Und eben dies trotz wenig Freizeit, wenig Urlaub und manchem Ärger. In 7 meiner 15 Bundestagsjahre hatte ich keinen Urlaub und auch dies überlebt. Nach meiner Zeit im Reichstagsgebäude zu Berlin machte ich also einfach so mal eine einwöchige Radtour entlang des Rheins in die Schweiz, genoss die neugewonnene Freiheit und das Ende, am Rande bemerkt, einer einjährigen Justizposse.

MdB-Arbeit macht auch Spaß

Das erste, was nach dem Mandat auf mich zukam, war die Erkenntnis und Notwendigkeit, wieder ganz banale Dinge des Alltags selbst bewältigen zu müssen. Wo früher eine Bürokraft meine Bahntickets organisierte, musste ich das wieder selbst tun. Na und? Ich gebe zu: Man gewöhnt sich an Bequemlichkeit. Wo ich früher gut gelaunt am Morgen im Büro erschien und anwies, was ich gerne erledigt haben möchte und heute eben allein machen muss, wurde dies damals von Mitarbeiter*innen prompt und gut erledigt. Schließlich hatte ich als MdB gute Leute einstellen können. Im Moment erhält jeder Bundestagsabgeordnete eine Personalpauschale von monatlich rund 20.000.- Euro.

Dafür bekommt man vom Azubi bis hin zum wissenschaftlichen Personal qualifizierte Leute, auch wenn es damals infolge der allgemeinen Gehaltsentwicklung noch etwas weniger Geld war. Wenn ich also nach meinem "menschenfeindlichen" Job etwas vermisste, dann war es mein tolles Team in Berlin und im Wahlkreis. Dessen Arbeit erlaubte es mir, dort und im Bundestag selbst ganz gute Arbeit zu machen. Dies wird mir parteiübergreifend erfreulicherweise auch 10 Jahre danach immer wieder bestätigt. Und das macht schlicht Spaß und nicht nur eitel.

Als zweites vermisste ich meine Bahncard 100 und auch sonst die freie und kostenlose Wahl aller Verkehrsmittel. Wollte mich jemand, war ich da. Honorarfrei selbstverständlich (zumindest für mich). Kam ich Nachts während der Sitzungswochen von einer Veranstaltung, sagen wir mal in der brandenburgischen Provinz, holte mich ein Chauffeur ab, der nun ebenfalls so lange von Tisch und Bett zu Hause getrennt war wie ich selbst. Er aber hatte Arbeit. Ich hatte Arbeit und im Gegensatz zu ihm wenigstens den interessanteren Abend.

Bleiben wir bei den Sitzungsperioden: Im Jahr 2020 werden die MdB nur an 22 von 52 Wochen des Jahres in Berlin sein. Vielleicht könnte man den vielbeklagten Stress etwas minimieren, hätte man im April oder im Juli nicht nur eine einzige Sitzungswoche. OK: Dafür sind es im Wonnemonat Mai 2020 sogar drei. Dessen ungeachtet hat ein MdB in den 30 Wochen, an denen er im nächsten Jahr in der Regel nicht in der Hauptstadt weilt, nicht Urlaub.

Aber er kann allein und für sich festlegen, was er / sie in diesen 30 Wochen so tut und welche Priorität man setzt. Theoretisch könnte man sogar NICHTS machen. Es gibt keinen Chef, keine Aufsicht, die einen sanktionieren könnte. Natürlich macht man das nicht, sollte man mal wieder für eine nächste Wahl aufgestellt werden wollen. Und die meisten der früheren Kolleginnen und Kollegen wollen das komischerweise trotz alledem. Selbst Frau Domscheit-Berg.

Die Meisten sind stolz darauf, oft Menschen in vielerlei Hinsicht helfen zu können oder für den Wahlkreis aktiv zu sein. Abends in der Kneipe wurde oft davon regelrecht geschwärmt. Von meiner Zeit im Bundestag profitierten sogar Forschungseinrichtungen und Schulen vor Ort, zwei geplagte Gemeinden erhielten Umgehungsstraßen, auf die sie viele Jahre warteten. Etc., etc. Spaßhalber sagte ich dann immer irgendwelchen Kritikern, ich sei mein Geld wert gewesen.

Und ich glaube auch, dass das in den meisten Fällen für viele Abgeordnete bis hinunter in den kommunalen Bereich so auch gilt. Natürlich kann man in der Wirtschaft mehr Geld verdienen. Vorausgesetzt, man erhielte den dazu passenden Job. Besagter Plenarsaal ist umgeben von mindestens zwei Restaurants, wo (allerdings gegen Bezahlung) so viel Wasser erhältlich ist, wie es der Bauch eben noch verträgt. Am Rednerpult gibt’s Wasser gratis. Kein MdB wird von irgendjemandem gerügt, wenn man mal den Platz verlässt und was auch immer trinkt. Oder unter der Kuppel überhaupt nicht mehr erscheint, weil man (sicher aus guten mandatsbezogenen Gründen) anderen Dingen nachgehen will und muss. Man mache dieses Mal in einem anderen, "normalen" Job, sagen wir mal als Bedienung, Stahlarbeiter oder Pflegekraft… Bestenfalls fragte der Chef, ob man noch ganz sauber sei.

Der leere Plenarsaal …

Damit sind wir beim Thema "Plenarsaal". Ja: Es mag ein Ärgernis sein, wenn bei wichtigen Abstimmungen, oft auch mitten in der Nacht, wenige Leute anwesend sind. In der Regel nimmt man dann andere mandatsbezogene Termine wahr oder sitzt schlicht arbeitend im Büro, wo am Bildschirm jede Debatte parallel verfolgt werden kann. Es gab zu meiner Zeit den bösen Spruch: "Wer den ganzen Tag im Plenarsaal sitzt, hat nichts zu tun." Aber die neueste Klage, dort kein Wasser trinken zu können, ist an Lächerlichkeit kaum mehr zu überbieten. Gesteigert könnte dies nur noch durch die Katastrophe werden, sich im Plenarsaal keinen Pizzaservice herbeirufen zu können.

Apropos Büro: Drei Räume, leider oft klein wie Hühnerkäfige, werden den Abgeordneten nebst den Beschäftigten in Berlin, einschließlich Ausstattung, kostenlos zur Verfügung gestellt. Geputzt wird es auf Kosten des Bundestags, sodass niemand einen Staubsauger in die Hand nehmen muss. Für das Wahlkreisbüro gibt es die berühmte steuerfreie Pauschale. Zur Zeit sind dies rund 4400 Euro monatlich.

Dieser Betrag ersetzt dann jede Möglichkeit, weitere Aufwendungen als Werbungskosten absetzen zu können. Aber dies ist ja wohl selbstverständlich. Hinzu kommen 1000 Euro monatlich für Bürokosten bis hin zur Telekommunikation und zur Beschaffung von PC, die der Bundestag erstattet. Darunter fielen bei einigen auffällig gewordenen Abzockern übrigens auch die hohe Zahl an beschafften Montblanc- Füllern.

Lassen wir es an dieser Stelle gut sein. Jede dieser Leistungen hat ihre Berechtigung. Aber "menschenfeindlich" ist nicht eine davon. Sicher ist ein Abgeordnetenmandat auch nicht familienfreundlich. Aber auch dies kann ein MdB finanziell und organisatorisch besser bewältigen als die Mehrheit aller Alleinerziehenden.

Wenn ich heute als MdB also einen Grund zur Klage hätte, wären es andere Faktoren. Beispielsweise dass die Exekutive vor diesem Parlament auch durch dessen Schuld keinerlei Respekt mehr hat. Dass auch junge Abgeordnete sich bestenfalls leider noch als Funktionäre ihrer jeweiligen Regierung oder Partei verstehen. Dass die Regierung Abgeordnetenanfragen lapidarer und inhaltsleerer beantwortet, als man sich dies in monarchistischen Zeiten gegenüber irgendwelchen Bittstellern erlaubt hätte. Dass noch immer (und vor allem bezahlte) Lobbytätigkeiten völlig intransparent ausgeübt werden können. Dass Geschäftsgeheimnisse dem Auskunftsrecht der eigentlichen Kontrolleure des Exekutive entgegenstehen (siehe Maut usw.).

Dass Abgeordnete gerne twittern, man "könnte mal, man müsste mal, man sollte mal" statt es dann zu tun und auch einmal einen Konflikt zu wagen. Im Gegensatz zu allem Geschwätz vom Fraktionszwang: Man kann und darf als MdB auch mal gegen die eigene Fraktion stimmen. Das ist nicht erwünscht. Aber es ist möglich. Wer das nie macht, ist feige und hat etwas nicht begriffen. Aber wer das tut, fühlt sich dann manchmal sogar besser als zuvor und hat mehr Spaß am Mandat. Und wer hätte mehr Möglichkeiten als ein MdB, im Interesse einer Sache oder vieler Menschen mehr gute Arbeit leisten zu können und dabei noch Spaß zu haben?

Also hört, werte Abgeordnete, wenigstens auf zu jammern. Es ist peinlich.

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