Im Zwergenland des Bisschens

Wer lebt und Augen und Ohren hat, wird rasch feststellen, dass kaum noch ein Mensch in diesem paralysierten Zwergenland in der Lage ist, einen klaren normalen Satz von sich zu geben

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Ich bitte Sie nur darum: Hören Sie zukünftig genauer zu. Es vergeht kein Statement, ob vom kleinen Mann auf der Straße oder dem draußen vor dem Bildschirm, von irgendeinem unserer Volksvertreter, Experten, Medienschaffenden oder umnachteter Talkshowhocker - kaum ein Satz kommt ohne "ein bisschen" aus, nicht selten körpersprachlich untermalt von einer semidramtischen Händegestik, die an die so fürchterlich misslungene Willy Brandt-Statue erinnert.

Was sich für Sie vielleicht anhört wie ein Boulevard-Blabla ist indessen ein alles durchwuchernden Krankheitsbild unserer Verzagung, die lautlos wie ein wild entschlossener Krebs durch unsere Felder und Auen wuchert.

Jogi Löw stammelt zischend um etwas Verständnis ein für "ein bisschen einen harten Generationswechsel". Norbert Röttgen, der graumelierte Schoßhund von Anne Will, plädiert für ein bisschen mehr Rückgrat gegenüber der Trump-Diktatur. Und ein ferngesteuerter SPD-Trojaner wie Lars Klingbeil steht nach jedem Debakel steinern grinsend vor Mikrophonen und weiß, dass es Zeit wird für ein bisschen mehr Radikalität gerade beim guten Kitagesetz, dem Sozialen und der Bildung. Und dass jeder von uns allmählich ein bisschen mehr für das gute Klima gegen Rechts tun muss, das kacken die Tauben von jeder Dachrinne.

Öffnen Sie bitte nur eine mal zum Spaß eine Stunde ihre Sinne und Sie werden die ellenlange Liste absurdester Verwendungen dieses Indefinitpronomens bemerken. Ein bisschen, das könnte man zur Not visualisieren als einen vorsichtig-winzigen Biss im Sinne des Vorkostens bei Wölfen oder Neandertalern, die erst einmal abchecken, ob der saftige Braten keine Falle darstellt und man der Kost über den Weg trauen kann.

Lange vor der epidemischen Verwendung trug im Jahre 1982 eine jungfräuliche Erscheinung ein Lied vor. Die damals 17-jährige Nicole begleitete sich auf einer taubenweißen Friedensgitarre und gewann für Deutschland den Grand Prix Eurovision de la Chanson. Ornamentiert von Cruise Missiles und regenbogenbunten Friedensmärschen berührte das Mädchen mit der frohen Botschaft die Herzen von gut fünf Millionen Plattenkäufern:

"Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne für diese Erde, auf der wir wohnen. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude, ein bisschen Wärme, das wünsch' ich mir …"

Entschieden für die Unschlüssigkeit, die Indifferenz, das Vage und jederzeit Relativierbare

Ja, ich gebe Ihnen Recht: Die Menschheit steht im Moment sicher vor wichtigeren Problemen als über Nicole und das bisschen Bisschen nachzudenken. Überall Terror, Migration, Klima, Digitales, Trump, Putin, Assad und klar, logo Bildung, Bildung, Bildung und dieser Brezinski-Krieg von Gibraltar bis zum Hindukusch - ja, ich weiß, all das wiegt weitaus schwerer als dieses inflationär-sublative "ein bisschen".

Dennoch lohnt sich ein Zoomen. Ein bisschen heißt zunächst nicht viel, also ein klein wenig, etwas mehr als Nichts und auf gar keinen Fall das volle Maß, ein konkretes Bekenntnis, ein erklärter Wille oder eine feste Überzeugung. Der User des "ein bisschen" mag keiner Seele wehtun, auch und gerade nicht der eigenen. Er entscheidet sich indessen entschieden für die Unschlüssigkeit, die Indifferenz, das Vage und jederzeit Relativierbare. Ein bisschen hat keinerlei Lust auf Konfrontation. Dafür gestattet es jede Form des komfortablen Rückzugs und späterer Negation. Ich? Niemals! Das Dasein verliert sich in einem Schwamm aus Nebel und Morast

Ein bisschen, das ist weit mehr als Sprachverwahrlosung und Ichlosigkeit; es zeichnet einen zutiefst verunsicherten, überforderten und von Ängsten durchseelten Menschen aus - und im kollektiven Sinne eine politisch korrekt sedierte Masse zwischen Luftballons und Mausefallen.

Das "ein bisschen" gehört zur Hinterlassenschaft der Merkel-Ära und dieser sprachlosen, wertfreien und abgeduckten Republik. Keiner hat und will hier noch irgendetwas von Bedeutung sagen. Selbst der arme Nico Kovac ging an seiner Ehrlichkeit zugrunde. Ach, wie schön wäre doch mal wieder ein bisschen mehr Zivilcourage, ein bisschen mehr Biss. Wehner, Strauss, Herrgott, das waren Zeiten! Ein toxisches Piercing hat sich in den Zungen verheddert und die erstickten Melodien sagen mehr über dieses Land und seine innere Verfassung aus als soziologische Wälzer und massenpsychologische Analysen.

Knapp zwei Jahrzehnte nach Nicoles Ballade ging es hierzulande um ein bisschen Krieg. Kurioserweise musste sich ein frisch gewähltes rot-grün-pazifistisches Salonrebellen-Duo dem NATO-Manöver unterwerfen. Madame Albright erinnerte ihren abgemagerten Schoßhund Joschka - der wegen eines Farbbeutelunfalls ein bisschen schwerhörig wirkte - daran, dass es Zeit sei, endlich erwachsen zu werden. Ein Shithole namens Kosovo bot die Chance zur nationalen Mannwerdung. Ein bisschen Kriegslüge aus dem Hause Scharping bot die Rechtfertigung für ein bisschen Uran auf Belgrad, "ein bisschen Freude, ein bisschen Wärme, das wünsch' ich mir …"

Die Orgie des "ein bisschen" klebt an dieser Groko und ihrem trostlosen Weg hinein in die Diktatur des großen Nichts

Täglich erfahren wir das Siechtum der politischen Rhetorik und der nicht minder kläglichen medialen Orchestrierung. Und hat mal jemand Klartext von sich gegeben, folgt umgehend die Relativierung. So habe man es nicht gemeint, zudem wurde es aus dem Zusammenhang gerissen und aus Rücksicht auf ein laufendes Verfahren möge man sich schriftlich an die Kanzlei von Franz Kafka wenden. Wir waten durch ein Disneyland aus Halbherzigkeit und kollektiver Querschnittslähmung.

Würde ein Herodot oder Jonathan Swift in diesem lauwarmen Altweiberherbst durch Deutschland reisen, würden sich ihre Reportagen lesen wie Gullivers Besuch im Zwergenreich. Und in Briefen an die Frauen würden sie anmerken, dass ein schweres Rad der Geschichte über dieses Volk gerollt sein muss, wo sich jeder ständig auf die Zunge beißt, Silben verschluckt und abends ein bisschen viel über den Durst trinkt.

Und so gehen wir halt ein bisschen in uns oder ein bisschen auf Distanz zu diesem und jenem und bei Sonntagsumfragen bekennt man durchaus auch, ein bisschen an Gott zu glauben. Die kleinkriminellen Trickser von VW und Audi geben zu, dass man ein bisschen geschummelt hat und jene bei Bayer räumen ein, sich bei der Übernahme von "Roundup" ein bisschen verspekuliert zu haben. Doch auch ein Gründungssohn von Extinction Rebellion kann lässig mithalten: "Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus. Auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen." So kommen die bald auf mehr als 70 %, wenn sie als Partei antreten würden.

Für alle, die keine Lust haben mitzumachen, empfiehlt es sich, jedesmal, wenn sie sich bei dieser Laber-Formulierung erwischen, 50 Euro in den Strafkarton zu stecken. Wenn man nämlich bei sich selber beginnt, dann wird man in kurzer Zeit nicht nur sehr vermögend, sondern erlangt nach und nach sprachliche Reife und einen gesunden Geist.