Was vom Auto übrig bleibt

Tiefgarage "Parking des Célestins", Lyon. Bild: Fred Romero / CC-BY-2.0

Parkhäuser, die Tempel des ruhenden Verkehrs, weisen über die autogerechte Stadt hinaus

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In einem Parkhaus am Rhein in Ludwigshafen schießt aus dem Nichts ein Wagen hervor und zerquetscht mit lautem Knall einem jungen Mann, der sich gerade am Kofferraum seines Wagens zu schaffen macht, die Beine. Das bereits tote Opfer wird bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der Täter bleibt ebenfalls unkenntlich. Kommissar Kopper, der eine schlechte Nacht verbracht hat, uriniert auf dem Weg zum Tatort auf dem Oberdeck.

Die Szene steht am Anfang eines Ludwigshafener "Tatorts" von 2016. Die Parkdecks sind wie Lamellen geschichtet und setzen sich im anschließenden Wohnhochhaus fort. Die Architektur egalisiert Mensch und Auto.

Der Ort, an dem der Fußgänger zum Autofahrer mutiert, hält alle Zutaten für Krimis bereit. Die Übergang aus dem einen in den anderen "Aggregatszustand" macht aus dem Parkhaus einen "anderen Raum" (Foucault), der sakrale Züge trägt, da er mit Angst besetzt ist. Wir wissen nicht: Von wem gehen die halligen Geräusche aus, die aus der Tiefe des Raumes kommen? Jedes Ereignis ist ein Gespinst von Verdachtsmomenten, jeder ist ein potentieller Täter, wenn er nicht Opfer ist. Der Ort ist böse. Zieht uns das kalte Gegenlicht aus dem dunklen Inneren mit seinen niedrigen Decken zur Brüstung, riskieren wir, suizidal hinabzustürzen oder meuchlerisch gestoßen zu werden. Die Begegnung mit anderen Menschen an diesem Tatort löst ein Fremdheitsgefühl aus, da sie jedweden sozialen Zusammenhangs enthoben ist.

Dabei fing alles ganz friedlich an. In der klassischen Zeit der "Hochgaragen" in den Zwanzigern wurde eine Vierundzwanzig-Stunden-Rundumversorgung geboten: "Die Garage soll dem Auto (...) eine Heimat und Pflegestätte sein." Begriffe wie "Auto-Hotel" oder "Garagen-Palast" lassen auf die Herkunft aus repräsentativen Funktionen der Verstauung und Zurschaustellung von Automobilen schließen, als Autofahren noch Luxus war. Für diese Zwecke wurde 1906/07 die Garage in der Pariser Rue de Ponthieu errichtet, die zugleich als Mietgarage diente. Der Architekt Auguste Perret ließ das Stahlbetonskelett sichtbar und bildete das große Mittelfenster zur Straße als Rosette aus. Die Anklänge an den Jugendstil untermalten die Ausprägung einer industriellen Ästhetik, zu der auch die Lichtdurchflutung der Hallen gehört. Hebe- und Schiebebühnen machten den Typ einer mechanischen Garage komplett.

Parkhäuser (17 Bilder)

Konstantin Melnikow: Modell des Entwurfs für ein Parkhaus in Paris, 1925. Bild: Saliko / CC-BY-3.0

War diese Garage ein frühes - wie wir heute sagen würden: Autohaus für Renault-Modelle, zog im Jahr 1929 Citroen nach mit der "Garage Marbeuf". Mit ihrer haushohen Glasfront sah die Giebelseite wie eine Fortschreibung der Turbinenhalle von Peter Behrens in Berlin-Moabit (1914) aus. Von außen war die Garage eine Vitrine, innen war sie ein "Autotheater". Die Fahrzeugmodelle wurden wie auf Rängen und Balkonen präsentiert.

Die zaghaften Ansätze zu Showrooms sind heute aufgebläht zu wahren Kristallpalästen. In diesen Kathedralen des Lichts hat das Glas den repräsentativen Part übernommen, der Inhalt ist austauschbar. Gläserne Fabriken und Auto-Türme ("Car Displays") etwa von VW oder Smart gravieren die Automarke der Psychogeographie unserer Städte ein. Das Übergaberitual des Neuwagens wird als Total-Erlebnis inszeniert. Der Akt, der an eine Entbindung gemahnt, soll dem Ich-Design des Käufers dienen und ersetzt im selben Atemzug dieses Ich durch das Marken-Design. Der Flop der letzten IAA lässt auf Ernüchterung hoffen.

Das Automobil hat nicht anders als der Fordismus insgesamt als Fetisch des Fortschritts abgedankt. Das Vokabular seiner Verklärung stammt bereits aus den 20er Jahren, der Zeit der "Motorisierung des Bürgertums". Der "Herrenfahrer" wurde von der mobilen Masse verdrängt, die ihrerseits auf die arbeitslose Masse traf. Die Straße unterlag schon damals einer Flächenkonkurrenz. Geschwindigkeit und Licht wurden zu Ingredienzien der Moderne. Le Corbusier: Die Stadt der Geschwindigkeit ist die Stadt des Erfolgs. Die Kraftwagen wurden "Zeitersparungsmaschinen". Sie mechanisierten den Alltag. Das Leben wurde zum Zyklus aus schneller und langsamer, mehr oder weniger.

In der "Maschinenstadt" der 20er Jahre wird das Haus zur Wohnmaschine und die Wohnung zur "Umzugsmaschine". Der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner postulierte "wandernde Gebäude" als Ideal der Stadt. Das war nicht nur eine Metapher. Wagner plädierte für kürzere Amortisationszeiten von Neubauten, damit durch Abriss noch Neueres an deren Stelle treten kann. Ernst Bloch sah darin eine Mobilisierung zu "abfahrtswilligem Wohnen". Sofern die Bewohner nicht ganz so willig waren, werden sie es als Vertreibung gesehen haben.

Mit Le Corbusier begeisterten sich Walter Gropius und Mies van der Rohe für das Haus aus der Fabrik, das serienmäßig aus Vorgefertigtem zusammengefügt wird wie das Auto am Fließband. Heraus kam das "Wohnen am laufenden Band" im Typenhaus. Le Corbusier: "Man muss das Haus wie eine Maschine oder ein Werkzeug zum Wohnen betrachten... ein Haus wie ein Auto." Der Architekt ständerte bisweilen nicht nur Häuser auf, so dass sich die Grundfläche als Parkraum eignete, sondern ihm schwebten auch Autobahnen auf Stützen vor, wenn nicht gar auf den zusammenhängenden Dachbändern von Hochhäusern. "Das Automobil muss die Stadt retten." Die Rettung bot Le Corbusier mit seinem nach einem Automobil- und Flugzeugbauer benannten "Plan Voisin" an, der Paris auf einen Schlag in die autogerechte, nach Funktionen getrennte Stadt verwandelt hätte.

Das zum Auto passende Haus hatte Le Corbusier bereits 1914/15 entworfen. Dom-Ino betitelte er einen abstrakten Prototyp, der im Wesentlichen aus Betondecken und zurückgesetzten Stahlbetonstützen besteht. Die offene Bauweise und der freie Grundriss der Etagen setzt den Rahmen für alle möglichen Nutzungen. Die Konstruktion ist serientauglich. Die Treppen sehen Rampen ähnlich. Der Charakter des Offenen und Unfertigen drängt den Eindruck eines Parkhauses auf, das zum Grundgerüst modernen Bauens wird. Ein Kritiker Le Corbusiers sprach von Entwürfen dieser Art herabsetzend als von "Nomadenzelten aus Eisen und Beton". Unbewusst dürfte er die Pointe solcher baulichen Typen erfasst haben.

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