Aufgrund der türkischen Invasion wird sich der IS in Syrien wieder aufbauen

Milizen der Türkei mit IS-Handzeichen in Syrien. Bild: NPA

Der vierteljährliche Bericht des Pentagon-Generalinspekteurs liest sich als Kritik von Trumps Syrien-Politik, der Tod von al-Bagdadi habe höchstens minimalen Einfluss gehabt

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Der Generalinspektor des Pentagon legt dem Kongress vierteljährlich einen Bericht über den Stand der Operation Inherent Resolve (OIR) vor. Gemeint ist damit der Militäreinsatz im Irak und in Syrien, der vorgeblich den IS bekämpft. Dazu gehört dann auch, das syrische Öl zu "schützen". Nach dem teilweisen Rückzug der US-Truppen aus Nordostsyrien Anfang Oktober, der Invasion türkischer Truppen und mit diesen verbündeten islamistischen Milizen in das Grenzgebiet, das bislang von den Kurden kontrolliert wurde, und das Vorrücken syrischer und russischer Truppen hat, wurde nun der neueste Bericht veröffentlicht, der vom 1. Juli bis zum 25. Oktober reicht. An sich wäre Juli bis Ende September der normale Berichtszeitraum gewesen, aber wegen der Folgen des amerikanischen Rückzugs wurde der Zeitraum verlängert.

Der aktuelle Bericht des Generalinspekteurs Glenn Fine lässt sich als implizite Kritik an der Entscheidung von US-Präsident Donald Trump lesen, auch über das Hin und Her. In der Zusammenfassung wird herausgestellt, dass unmittelbar vor der türkischen Invasion 50 Soldaten abgezogen wurden, dann wurde ein völliger Rückzug angeordnet.

Zuerst hieß es, die abgezogenen Truppen würden im Irak stationiert, um von dort aus den IS zu bekämpfen. Nachdem die irakische Regierung dies ablehnte, sagte Verteidigungsminister Esper, sie würden im Irak nur für die Durchreise sein. Ursprünglich sollte nur noch der Stützpunkt al-Tanf an der jordanischen Grenze behalten werden, dann kam der Schwenk Ende Oktober, dass US-Truppen auch nach Deir ez-Zor im Süden Syriens verlegt würden, angeblich um sicherzustellen, dass die SDF die Kontrolle über die Ölfelder behalten. Ende Oktober habe die Türkei nach Gesprächen mit den USA ein Ende der Kampfhandlungen versprochen, während die Türkei und Russland den Rückzug der SDF von der Grenze und gemeinsame Patrouillen beschlossen haben. Die Kämpfe würden aber weitergehen.

Durch den türkischen Angriff sei eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst worden. Über 200.000 Menschen seien geflohen oder vertrieben worden, zwei Flüchtlingslager an der Grenze wurden verlassen. Zudem sei es durch den Vormarsch syrischer und russischer Truppen in die vom US-Militär hinterlassene Lücke wahrscheinlich, dass "die US-Ziele für eine friedliche Lösung des syrischen Bürgerkriegs" beeinflusst werden. So umschreibt der Generalinspektor, dass Washington seine geopolitischen Interessen in Syrien mit dem Rückzug geschwächt habe, da nun Russland stärker am Zug ist. Und wenn er den Konflikt, an dem viele Länder direkt und indirekt beteiligt sind, noch als "Bürgerkrieg" bezeichnet, ist das zusätzlich eine Verschleierung.

Der IS habe Zeit und Raum seine globale Präsenz auszubauen

Der von Trump befohlene Rückzug habe den Beziehungen mit den Kurden schwer geschadet, die dies als Verrat bezeichnet hätten. Der Rückzug und dann die erneute Stationierung im Süden des Landes habe auch den Kampf gegen den IS betroffen. Die USA würden die SDF-Verbände nicht mehr ausbilden, sie aber weiterhin mit Waffen, Geld und anderen Material versorgen. Die SDF würden 100.000 Kämpfer stark sein, Ziel sei eine Aufstockung auf 110.000. Vermutlich werden die SDF, so der Bericht, den IS weiter bekämpfen. Schon vor dem türkischen Einmarsch, habe das Central Command berichtet, seien neue IS-Netzwerke in Syrien aufgebaut und Anschläge auf die SDF ausgeführt worden. Zudem hätten die Einschüchterungstaktiken zugenommen. Felder seien abgebrannt und lokale Offizielle hingerichtet worden.

Nach dem türkischen Angriff, so heißt es mit Verweis auf den militärischen Geheimdienst DIA, hätte der IS aufgrund des geringeren Drucks, da die SDF ihre Kräfte stärker gegen die Türken richteten, noch mehr Spielraum, heimliche Netzwerke einzurichten, die Operationen in Syrien wieder auszubauen und auch die Fähigkeiten auszubauen, transnationale Anschläge durchführen zu können. Für Letzteres habe man jetzt wieder "Zeit und Raum". Nach dem Geheimdienst wird der IS auch versuchen, Kämpfer aus den Gefängnissen und Lagern zu befreien. Jetzt sind bereits 200 IS-Gefangene und 800 Familienangehörige aus den SDF-Lagern geflohen.

Langfristig werde der IS versuchen, wieder Kontrolle über syrische Gebiete zu erlangen und seine globale Präsenz auszubauen. Der Tod von al-Bagdadi, der sich beim Einsatz eines US-Spezialkommandos nahe der türkischen Grenze selbst in die Luft sprengte, habe höchstens minimalen Einfluss auf den Wiederaufbau des IS.

Die syrischen Truppen werden nach DIA den IS nicht systematisch bekämpfen, sondern eher versuchen, die türkischen Truppen und Milizen zu stoppen und zurückzudrängen. Allerdings seien sie in Gebiete vorgerückt, in denen der IS kaum mehr präsent war. Die islamistischen Milizen der Türkei, hier "türkisch unterstützte syrische Milizen" genannt, seien nicht gegen den IS vorgegangen und würden dies auch nicht machen, da sie mit diesem zusammenarbeiten. Das ist trotzdem eine Beschönigung der Lage, da sich die Milizen zu einem guten Teil aus Kämpfern islamistischer Gruppen und auch vom IS zusammensetzen. Über das Verhältnis der Türkei zum IS schweigt sich der Bericht aus.

Der Teilabzug der amerikanischen Truppen habe die Irak-Operationen gegen den IS aber nicht beeinflusst. Hier halte der IS aber noch in einigen Gebieten und in der Wüste eine "Kampfmacht" und führe weiterhin Anschläge aus, aber er sei nach Angaben von OIR dezentralisiert und könne keine groß angelegten Anschläge planen. Ziel sei auch weiter, ein "Kalifat" zu errichten. Die irakischen Truppen hätten nicht den Willen oder die Möglichkeiten, in manchen Gebieten um Kirkuk oder in Diyala, in der Wüste oder in den Berggebieten den IS zu bekämpfen. Die Spannungen mit der irakischen Regierung und die israelischen Luftangriffe, die Bagdad zu einer Sperrung des Luftraums brachten, würden die Situation ebenso erschweren wie die Reduktion des US-Botschaftspersonals und die Unruhen.

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