Afrika: Merkel für mehr deutsche "Ertüchtigungs"-Rüstung

Drillübung der malischen Armee (2007). Bild: U.S. Air Force/gemeinfrei

"Deutschland muss bereit sein zu Waffengeschäften mit Afrika" - und wahrscheinlich auch für robustere Bundeswehreinsätze in der Sahelzone

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In der EU bekommt Geopolitik ein stärkeres Gewicht, ohne dass genau klar wird, was hinter diesem Schlagwort an konkreten politischen Entscheidungen und Strategien steckt. Für Deutschland gilt Ähnliches. Es geht, so der Anschein, erstmal darum ein neues Rollenverständnis zu verbreiten, wie es die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer vor Kurzem darlegte.

Dabei zeichnet sich ab, dass die Übernahme einer "größeren Verantwortung" einhergeht mit der Aufstockung von Rüstung und mit mehr Militäreinsätzen, wie es die Rede von AKK vor der Bundeswehrhochschule in München verkündete: Mehr deutsches Militärengagement: "Tun wir es nicht, verzwergen wir uns".

Merkel, geostrategisch

Heute hielt die Kanzlerin eine Rede vor dem Bundestag und Merkel ging dabei auch auf geopolitische Aspekte, Sicherheitspolitik und Militärisches ein. Sie versprach wie ihre Verteidigungsministerin zuvor eine sukzessive Erhöhung der Rüstungsausgaben, so dass Deutschland bis Anfang der 2030er-Jahre das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben erreichen werde und sie betonte die Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber "unseren amerikanischen Freunden" und pochte auf die Bedeutung der Nato.

Europa könne sich derzeit nicht allein verteidigen, sondern sei auf das transatlantische Bündnis angewiesen, sagte sie. Das kennt man von ihr. Auch der damit verbundene Seitenhieb auf Macron, der glaubt, dass sich Europa selbst verteidigen kann, kam nicht unerwartet.

Schon etwas mehr aufhorchen lässt ihr Satz zur Kritik an der deutschen und europäischen Haltung zur Türkei angesichts deren militärischer Invasion in Syrien, der das eingangs angedeutete Rollenverständnis verdeutlicht: "Ich sage, die Türkei sollte Nato-Mitglied bleiben, denn es ist von geostrategischer Bedeutung, dass sie dabei ist." Das ist aus einer Feldherrenposition gesprochen.

Dem schließen sich laut weitere Sätze an, die für eine deutsche Kanzlerin bemerkenswerte Richtlinien skizzieren. Deutschland müsse "bereit sein zu Waffengeschäften mit Afrika", fasst ein Medienbericht zusammen. Das sei die logische Konsequenz, wenn die Bundeswehr wie in Mali Sicherheitskräfte ausbilde. In Merkels Rede lauten die Sätze (Video, ab Minute 15:00):

Wenn wir ausbilden und ertüchtigen in anderen Regionen der Welt, stellt sich natürlich auch die Frage, wer die Ausrüstung liefert. (...) Ist das in unserem Interesse, wenn klar ist, Afrika wird nur von Russland, wird nur vielleicht von China und Saudi-Arabien ausgerüstet. Ich glaube, das kann nicht richtig sein. Wenn wir zur Sicherheit und für den Frieden in Afrika ertüchtigen, ich glaube dann können wir uns der Ausrüstung nicht völlig verweigern.

Angela Merkel, Rede vor dem Bundestag, 27.11.2019

Zuvor sprach Merkel davon, dass die Sahel-Zone in der südlichen Nachbarschaft zu Libyen zu den "ernstesten Problemen unserer Sicherheit" gehört und dass sie sich zusammen mit Frankreich um ein robusteres UN-Mandat bemüht. Die Aussagen deuten an, dass es in Berlin neue konzeptionelle Überlegungen zum Waffenhandel und militärischen Engagement in Afrika, insbesondere in der Sahel-Zone gibt.

Bisher: Ausbildung und eine "Ertüchtigungsinitiative"

Bislang ist der deutsche Einsatz in Mali, der im EU-Rahmen geschieht, auf Ausbildungsmissionen beschränkt. Das gilt auch für die Unterstützung der gemeinsamen Einsatztruppe der G5 Sahel, zu der neben Mali vier andere afrikanische Länder gehören (Mauretanien, Niger, Burkina Faso und der Tschad).

Die Verbesserung der Zentrallogistik der malischen Streitkräfte, Unterstützung beim Aufbau einer Pioniermaschinen- und Feldlagerbetriebseinheit und der Aufbau und Ausstattung der Zentralwerkstatt der Pioniere, nennt der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Mitgliedern der Fraktion der Linken als konkrete Beispiele für die Aktivitäten der Bundeswehr in Mali.

Die Anfrage vom April letzten Jahres wollte etwas zu den Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen sowie den Rüstungsexporte nach Nordafrika und in den Sahel zur Grenzüberwachung wissen. Die Antworten, die wie immer nur das Nötigste verraten, weisen kein spektakuläres, sondern ein begrenztes, zurückhaltendes Engagement aus.

Auch bei der kritisch weiter zugespitzte kleine Anfrage der Linken-Fraktion vom März dieses Jahres zu den "Ertüchtigungsinitiativen" der Bundesrepublik erhält im Wesentlichen unverbindliche Antworten, obwohl die Fragestellung schon einen brisanten Aspekt anspricht: Dass zur "Ertüchtigung" nicht nur Ausbildung gehören können, sondern, wie es Merkel bei ihrer Rede heute knapp ansprach, auch Waffenlieferungen.

Sparsame und biedere Auskünfte

Die in diesem Papier aufgelisteten deutschen Lieferungen im Rahmen von Ertüchtigungshilfen nehmen sich im Fall Mali ziemlich harmlos aus. Es sind keine Waffen, sondern nur "Gefechtshelme", die hier ausgewiesen werden. Im Fall Niger sind es "Doppelfernrohre", die ans dortige Verteidigungsministerium gehen.

Die dazugehörige Frage heißt: "Die Ausfuhr welcher Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter wurden im Jahr 2018 im Rahmen der 'Ertüchtigung von Partnerstaaten' genehmigt, und welche Ausfuhren sind bisher tatsächlich erfolgt?"

Die Bundesregierung beantwortet sie mit dem Verweis auf eine Anlage "VS - Nur für den Dienstgebrauch" und den vorgenannten Angaben der Bundeswehr mit den harmlosen Gütern, die geliefert wurden. Auch die Frage danach, ob das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK) an "Ertüchtigungsprojekten" beteiligt ist, die im Rahmen von "Ausbildungs-, Beratungs- oder Trainingsmaßnahmen" laufen, kann laut Bundesregierung "aus Gründen des Staatswohls sowie zum Schutz der Sicherheitsinteressen der Partner der Ertüchtigungsinitiative nicht offen erfolgen".

Keine Antwort auf kritische Fragen

Ein weiterer kritischer Punkt wird ebenfalls nur ausweichend beantwortet: Die Frage danach, ob der Mali-Einsatz ins Leere läuft, weil es eine "Vertrauenskrise der Offiziere und Soldaten an den malischen Staat" gebe, der "dafür gesorgt hat, dass viele deshalb nur fürs eigene Überleben und das der Familie in die eigene Tasche gewirtschaftet haben".

Die deutschen Ausrüstungs-, Ausbildungs- und Beratungsprojekte würden dieser Vertrauenskrise nichts entgegenstellen, so die Annahme der Fragesteller, "so dass Schießtraining und Taktikschulung nur sehr bedingt helfen und auch Schulungen in Personal- und Finanzwirtschaft ins Leere laufen"

Die Antwort der Regierung ist pur bürokratisch:

Die deutschen Ausrüstungs-, Ausbildungs- und Beratungsprojekte sind auf den von den Partnerländern formulierten Bedarf ausgerichtet. Sie sollen das jeweilige Partnerland dabei unterstützen, nachhaltig eigenständig für Sicherheit sorgen zu können. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage

Zu den afrikanischen Partnerländern der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung gehören die Sahel-Länder Burkina Faso, Mali und Niger. In der Grenzregion der drei Nachbarländer - auf Französisch Liptako Gourma - ereignete sich am Montagabend eine Kollision zweier Militärhubschrauber, die 13 Tote forderte.

Sahel: Deaster und Dschihadisten

Zwar war die Ursache nach vorliegendem Informationsstand ein Unglück unter besonders schwierigen Einsatzbedingungen, der Beschuss von feindlicher Seite wurde ausgeschlossen (das Manöver der Hubschrauber hatte gerade erst begonnen, es gab noch keine "Feindberührung"), dennoch führt das Drama beim großen EU-Partner zu einer Diskussion darüber, wie sinnvoll und effektiv der französische Militäreinsatz in der Sahelzone ist.

Dabei zeigt sich, dass Mali, Burkina Faso und Niger nicht nur in dieser Region, aber dort auffällig deutlich, in Wirklichkeit nicht "nachhaltig eigenständig für Sicherheit sorgen können" - aber eben auch, dass der französische Militäreinsatz seit 2013 mit einer Truppenstärke von etwa 4.500 Soldaten nicht verhindert hat, dass dort die beiden dschihadistischen Organisationen IS und al-Qaida eine sehr starke Präsenz haben, verbunden mit all dem Terror, der zu den Aktivitäten der Dschihadisten gehört.

Eine derartige Präsenz, die sich in den letzten Monaten mit einer Serie von Anschlägen mit vielen Toten bemerkbar machte, weswegen sich die französische Operation Barkhane sich zuletzt auch auf diese Region konzentrierte, basiert auch auf politischen Voraussetzungen, dazu kommen hochgepushte ethnische Spannungen und die Förderung durch größere Netzwerke.

Unter dieser Aufzählung verbirgt sich eine Komplexität, die zwar anders ausstaffiert und geopolitisch anders gelagert ist als Syrien aber einen ähnlich hohen politischen Schwierigkeitsgrad für Problemlösungen darstellt.

Ganz offensichtlich ist, dass sie im markanten Kontrast zum Wirklichkeitsbild steht, das die oben erwähnte exemplarische Antwort der Bundesregierung aufstellt. Nicht dass dies ein Ausnahmefall wäre. Prinzipiell zeichneten sich sämtliche Aussagen der letzten Jahre von der Bundesregierung zu den Konflikten in Syrien dadurch aus, dass sie die Realität stark vereinfacht und in biederen politischen Schablonen darstellten.

Wird die Simplifizierung auch so beibehalten, wenn es um die neue Afrika-Politik geht, um ein robusteres Engagement des Militärs und bei der Lieferung von Rüstungsgütern, die über Helme und Fernroher hinausgehen?

Die heutigen Aussagen Merkels sind nicht die ersten, die anzeigen, dass Deutschland sich in der Sahel-Zone stärker engagieren will. Das kündigte sie selbst schon bei ihrem Besuch Anfang Mai dieses Jahres in Burkina Faso, Mali und Niger an (Merkel kümmert sich um Stabilität in den Sahel-Ländern). Damals lag das Augenmerk der Berichterstattung und der Politik aber noch mehr auf der Migration. Jetzt rückt der Kampf gegen die dschihadistischen Gruppen stärker in den Mittelpunkt.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat gegenüber dem französischen Vorschlag, einen Verbund von europäischen Elitetruppen ("Takuba") für den Kampf gegen den Terror in der Sahel-Zone zu bilden, positive Signale geschickt. Eine offizielle Zusage mit genauen Kontingenten gab es aber noch nicht. Die kamen bislang nur von Belgien, Estland und der tschechischen Republik.